Galicien: Spaniens Nordwesten verliert seine Jugend

Immer mehr Spanier emigrieren wegen der Wirtschaftskrise. Vor allem Nordwestspanien verliert seine Jugend. Seit 2008 haben junge Galicier zwischen 15 und 34 Jahren scharenweise ihre Heimat verlassen.

Spaniens Zeitung La Voz de Galicia hat veröffentlicht, was überall rund um der Hauptstadt der Region, Santiago de Compostela, schon sichtbar ist: Junge Galicier verlassen ihre Region. Über 118 000 haben seit 2008 schon die Koffer gepackt. Und 2014 hält der Trend an.

Denn die Jugendarbeitslosigkeit liegt hier wie in ganz Spanien bei über 50 Prozent.

Forscher warnen: Galicien vergreist

Der Geograf und Uniprofessor Carlos Ferrás (*1965) von der Uni in Santiago sagt: "Uns fehlen die Arbeitsbedingungen, und Galicien verhält sich innovationsfeindlich." Stimmt, vor allem im Bereich Werbung in eigener Sache. Die PR-Nummer seit Jahrhunderten, und zwar die einzige, heißt in Galicien Heiliger Jakob. Pilger ziehen deshalb jedes Jahr scharenweise nach Santiago de Compostela am Jakobsweg, während die dortige Bevölkerung abzieht. Vor allem die Jugendlichen.

Deshalb, meint Carlos Ferrás, sieht es in ganz Galicien bald so aus wie in manchen Dörfern der Provinzen Lugo und Ourense: Dort leben fast nur noch Menschen mit über 80. Ferrás: "Der Mut zu emigrieren ist da. Die Energieleistung ließe sich doch auch hier vor Ort nutzen."

Aber wie? Die Frage können Statistiken, die der Professor so liebt, nicht beantworten. Fakt ist: Die Baubranche in Nordwestspanien ist am Boden. Sogar das Prestigeprojekt Ciudad de la Cultura vor den Toren Santiagos steht still. In Vigo verkaufen die Autobauer immer weniger Citroens, weil die Käufer ausbleiben. Und sogar die Fischindustrie leidet unter der schwindenden Bevölkerung, obwohl sie immerhin noch viel nach Japan exportiert.

Spaniens Ingenieure nach Aachen, galicische Köche nach Köln

Tatsächlich ist die Emigration in Galicien nicht neu (zur Geschichte). Schon im 19. Jahrhundert wanderten viele ab, vor allem nach Argentinien. In den 1960ern kamen dann viele als Arbeiter nach Deutschland. Und heute sind es die Studenten, die Ärzte, die Ingenieure.

Doch die Chancen im Ausland sind gar nicht so gut. Junge spanische Ingenieure verstehen kaum Deutsch und schon gar nicht das völlig andere Berufsbild hier: Das duale Modell Architekt und Ingenieur. Ärzte haben da schon eine bessere Chance, und erst recht die Köche.

Die Folge: Nordwestspaniens versierte Köche arbeiten zu Minilöhnen in durchschnittlichen Restaurants. Gerne auch in solchen mit Spanienbezug in Köln. Und in Galicien selbst bleibt nur noch, wer genug ausländische Gäste im Restaurant hat, wie beispielsweise Nacho aus Pontevedra.

Was aber stoppt die Emigrantionswelle? Se vende Pueblo

Inzwischen versucht der Nordwesten des Landes Spanien, Ausländer als Immobilienkäufer zu locken. Ganze Dörfer inklusive Kirchenruine stehen mancherorts schon zum Verkauf: Se vende pueblo, Dorf zu verkaufen. Hilflos. Doch der größte Fehler der Lokalregierung ist das Drosseln der Werbeausgaben im Tourismussektor.

Kaum ein britischer oder deutscher Journalist ist mehr vor Ort, und in deutscher Sprache gibt es nur einen einzigen Reiseführer mit Galicien im Titel. Während der Jakobsweg boomt und Santiago de Compostela vor Besuchern überquillt, ist der Rest der Region unbekannter als das polnische Galizien.

Nach Tui, A Guarda oder Baiona kommen nur wenige Besucher. Genau hier aber liegt ein gewaltiges Potential und ein echter Wirtschaftsmotor: Galicien hat Wildpferde, Küstenorte mit wunderbarem Charme, Strände der Extraklasse und eine beachtliche Kochkunst.

Die Krux: bislang kamen viele Besucher aus Madrid und Barcelona, doch die haben kein Reisegeld mehr. Und so helfen langfristig zwei Dinge: Ein besseres Image im Ausland und die Rückkehr der galicischen Jugend. Mit besseren Sprachkenntnissen durch die Emigration ... (tb)