Madrid in Zeiten von Corona
Madrid gilt als das Epizentrum des Coronavirus in Spanien. Und die sozialen Folgen sind noch nicht absehbar. Kommt es sogar zu sozialen Revolten? Mónica ist Soziologin mit Schwerpunkt Ökonomie und erzählt im Interview, wie es ihr geht.
von Tobias Büscher
Das Interview ist online entstanden, da meine Redaktion derzeit nicht nach Spanien reisen kann. Den richtigen Namen von Mónica darf ich nicht nennen, denn die Chefs von ihr könnten mitlesen ...
Wie geht es Dir gesundheitlich?
Mónica: Gut im Moment. Ich habe mich ein paar Tage eigenartig gefühlt. Mit Schmerzen im Brustkorb und Rücken, Müdigkeit und leichtem Fieber. Aber nur kurze Zeit. Keine Ahnung, ob das ein leichter Infekt mit dem Coronavirus war. Vielleicht ja, aber sicher bin ich mir nicht.
In meiner Familie ist mein Onkel mit 87 Jahren gestorben, der kerngesund war. Nach nur vier Tagen. Seine Frau (80) war mit schlimmen Beschwerden auf der Intensivstation, mein Cousin (53) auch. Aber sie haben überlebt.
Wie hat Covid-19 Dein Berufsleben verändert?
Ich habe Homeoffice seit dem 12. März. Aber das hatte ich vorher sowieso schon an zwei Tagen in der Woche. Doch es gibt viele Kollegen in meiner Firma, die das nicht gemacht haben. Im Moment haben wir schrecklich viele virtuelle Treffen und Besprechungen, die in meinen Augen vor allem ein Ziel haben: Kontrolle über die Mitarbeiter. Hinzu kommt die Welle an Absagen von Studios und so weiter, was die Stimmung massiv drückt … Gleichzeitig haben sich die Anfragen, die wir über E-Mail, WhatsApp, Skype etc. erhalten mehr als verdoppelt, wir arbeiten mindestens zehn Stunden am Tag und leisten viel mehr als vertraglich vereinbart.
Flucht aus den Städten?
Du lebst in Madrid, hast Du Angst?
Ich bin besorgt wegen der Toten, aber ich glaube, dass es Möglichkeiten genug gibt, nicht an dem Coronavirus zu sterben. Ich denke an meine Tochter, an ihren Vater, an mich selbst …
Und ich mache mir Sorgen wegen meinem eigenem Vater und meinem Bruder, die ein viel höheres Risiko haben. Aber man weiß ja nie …
Inzwischen kaufen wir für die beiden ein, damit sie nicht auf die Straße müssen. Mein Vater allerdings würde gerne wieder raus gehen. Er sagt, eingesperrt sein in der Wohnung mache ihn noch irre …
Ich glaube, dass eine komplette Isolation sehr problemantisch ist. Wir müssen handeln, klar, aber wir dürfen nicht in Paranoia verfallen und durchdrehen. Es ist jetzt wichtig, besonders gesund zu leben (Vitamin C, Bewegung, Schlaf), damit wir ein möglichst gutes Immunsystem gegen das Virus haben.
Vor ihm habe ich auf jeden Fall einen riesen Respekt. Vor allem weil er so schnell ist und jemanden, der gerade noch gesund war, in wenigen Tagen umbringen kann.
Als ich mich schlecht fühlte und nicht wusste, ob das an Covid-19 liegt, hatte ich ein ganz komisches Gefühl. Mir ging es ähnlich wie bei den ersten Wehen bei der Geburt meiner Tochter: Unsicherheit, nicht zu wissen, was kommt, sich mit etwas völlig neuem auseinandersetzen …
Was passiert mit unserer Gesellschaft nach dem Virus?
Das Virus hat Solidarität hervorgebracht, Nachbarschaftshilfe und Fürsorge für die Älteren und Schwächeren. Gleichzeitig gibt es soziale Kontrolle, Kritik am Verhalten der anderen, zum Beispiel daran, wie sie sich im Supermarkt falsch verhalten. Und wir telefonieren plötzlich mit Menschen, die wir vorher fast komplett ignoriert haben.
In naher Zukunft, wenn die Wirtschaft am Boden ist und die Seuche vorbei, werden wir Corona schnell wieder vergessen und in unsere alten Muster zurückverfallen. Nur etwas anders. Die Digitalisierung wird immer wichtiger werden, selbst beim Dating, der Onlinekonsum wird steigen, und die Arbeitswelt vom Homeoffice immer mehr geprägt sein. Ich glaube aber nicht, dass das Virus besonders „heilsam“ sein wird. Wir werden nicht weniger konsumieren, die Umwelt schonen und ein einfacheres und natürlicheres Leben führen. So sind wir nicht. Datenschutz wird schwinden, Sicherheitskontrollen steigen bis hin zum Ausmaß wie in Asien. Und China wird nach dieser Krisenbewältigung seine Führungsposition in der Welt wohl noch ausbauen. In Spanien würde eine drastische Wirtschaftskrise zu Zwangsmaßnahmen führen wie im Krieg. Es sind Veränderungen, wie wir sie in 50 Jahren nicht erlebt haben. Noch ist offen, wie es weiter geht. Möglichweise gibt es aber einen Rückzug aufs Land und Revolten in der Städten.
Davor habe ich am meisten Angst.