„Die sollen uns endlich bezahlen wie Feuerwehrleute und Polizisten“

Interview mit einem spanischen Krankenpfleger

In den ersten Monaten der Pandemie brachte Corona das spanische Gesundheitswesen fast zum Erliegen. Die Bilder aus Madrid waren furchteinflößend. Im April 2020 haben wir erstmals einen spanischen Intensivpfleger aus Granada zur aktuellen Lage interviewt. Nun, im Jahr 2022, haben wir nachgefragt.

Von Tobias Büscher 

Eduardo, in unseren ersten Interview hast Du uns über Spanien nach Ausbruch der Pandemie informiert. Wie geht es euch seither?

Die Lage ist entspannter. Und meine Freundin und ich wohnen jetzt in einem Haus in Granada. Da mein Job als Krankenpfleger ziemlich sicher ist, werde ich es wohl gut abbezahlen können. Und wir hatten Glück: Keiner von uns beiden hat sich infiziert.

Arbeitest Du noch im Hospital San Cecilio de la Ciudad in Granada?

Inzwischen arbeite ich in einem anderen Krankenhaus im Zentrum von Granada, im Reanimationsdienst (der Ort, an den Patienten nach einer OP gehen, um sicher aufzuwachen, bevor sie in ihr Zimmer zurückkehren).

Ich habe aber noch keine Festanstellung als Krankenpfleger. In Spanien müssen wir zuvor eine Auswahlprüfung bestehen und dürfen nicht umziehen. Das schaffen wir nur, wenn wir viele Jahre arbeiten und eine gute Prüfung ablegen.

 Hat sich Dein Job sehr verändert?

Die Zeitverträge für uns Pfleger sind besser, sie gehen inzwischen sogar schon über sechs Monate. Früher waren wir viel kürzer angestellt und hatten ständig Angst, die Arbeit zu verlieren.

Geht es Spanien heute besser als zu Beginn der Pandemie?

Spanien ist extrem vom Tourismus abhängig. Die Branche hätte ohne staatliche Hilfe nicht überlebt.  Lange durften wir nicht raus und haben unsere Terrassen und Balkone repariert. Inzwischen gehen die Menschen hier aber wieder mit Enthusiasmus auf die Straße.

Wärst Du Krankenpfleger geworden, wenn Du die Pandemie erahnt hättest?

Ja, auch ohne Pandemie war die Situation in den Notfallstationen nicht ganz ohne. Als Corona kam, brauchten wir Solidarität, Freundschaft und Familie wie nie zuvor.

Wir haben immer gedacht: Einen Tag länger arbeiten um ein weiteres Leben zu retten ist kein Problem. Gemeinsam müssen wir Corona überwinden und das geht nur mit weiterer Kraftanstrengung. Wir Krankenpfleger haben einen wichtigen Job. Und wir müssen Stress einfach aushalten können, selbst diese furchtbar lange Phase.

Was macht Dir am meisten Sorgen?

Dass wir noch einmal so viele Tote erleben müssen wie damals, als Du mich das erste Mal interviewt hast. Das war der Horror.

Wie geht es Deiner Freundin?

Sie arbeitet nicht mehr im Supermarkt und wird sich als Grundschullehrerin bewerben, da sie die Voraussetzungen dafür mitbringt. Sie will sich nun mit ganzer Kraft den Kindern widmen.

Wie hat sich Dein Arbeitsalltag geändert?

Die Arbeitsbelastung ist deutlich geringer. In meinem Krankenhaus werden nur Patienten mit negativem PCR-Test aufgenommen. Daher muss ich keine Ganzkörper-Schutzausrüstung mehr tragen. Ganz wichtig auch: All die chirurgischen Eingriffe, die durch Corona verzögert wurden, werden endlich durchgeführt.

Die Lage in Deinem Krankenhaus bleibt aber angespannt, oder?

Hauptproblem: Es gibt zu wenig Pfleger. Wer sich derzeit mit Omicron ansteckt, muss sofort ersetzt werden. Doch neue Pfleger zu finden ist schwer. Auch weil viele Kollegen in Regionen gezogen sind, wo sie bessere Konditionen haben.

Die Situation in Granada ist im Vergleich zu Madrid entspannt?

Ja, in Granada war es viel weniger schlimm als in Madrid. Granada ist kleiner und heute auch weniger unter Druck als die große Stadt Sevilla, wo die Infektionszahlen viel höher sind und es mehr Tote gegeben hat.

"Ich würde Impfgegner zur Kasse bitten"

Anders als die Spanier sind viele Deutsche Impfgegner. Kannst Du die verstehen?

Nicht wirklich. Wir sollten den Wissenschaftlern, der Weltgesundheitsorganisation vertrauen und uns gemeinsam impfen. Spekulationen und Manipulationen brauchen wir wirklich nicht.

Ich würde die Patienten, die sich ohne echten Grund nicht haben impfen lassen, für ihren Krankenhausaufenthalt und die Behandlung zur Kasse bitten.

Das Einkommen der Pfleger und Ärzte liegt in Spanien zwischen 1600 und 2500 Euro. Findest Du das gerecht?

Weißt Du, das Leben in Spanien ist günstiger als bei Euch. Wir kommen mit dem Gehalt einigermaßen über die Runden. Allerdings ist auch wahr: Wir arbeiten Tag und Nacht und kommen an unsere physischen und psychischen Grenzen. Mit 60 sind die meisten von uns komplett erschöpft.

Wir sollten wenigstens genauso viel verdienen wie Feuerwehrleute und Polizisten. Die können es sich leisten, mit 60 in Rente zu gehen. Wir nicht.

Durch Corona muss Dein Job doch noch viel mehr anerkannt werden, oder?

Das kommt darauf an. Manche sagen: Ist euer Job, also macht ihn auch. Andere applaudieren.

Ich glaube, wir Spanier haben das beste Gesundheitswesen der Welt. Nicht wegen moderner Apparate, sondern wegen der hervorragenden Ausbildung. Wir sind sehr selbstkritisch. Doch in Wahrheit schlagen wir uns gerade jetzt sehr gut.

Ich habe einen Arzt aus Galicien interviewt, der seine Heimat verlassen hat und jetzt nahe meiner Stadt Köln praktiziert. Verstehst Du die Ärzte und Pfleger, die in Zeiten der Pandemie im Ausland arbeiten, weil sie besser verdienen und schneller Karriere machen?

Ich glaube, jeder will für sich das Beste im Leben. Und es wäre schön, wenn niemand seine Familie verlassen muss aus ökonomischen Gründen. Ich habe eine Weile in Murcia und Alicante gearbeitet. Aber ich war nie gezwungen, mein Land zu verlassen.

Wie entspannst Du Dich von der Arbeit?

Mit Klettern, Biken und Ski fahren. Granada mit der Sierra Nevada bietet uns eine Menge. So schalte ich ab und viele meiner Kollegen auch.

Was ist das Beste, was Dir in den letzten Monaten passiert ist?

Meine Freundin und ich haben im Dezember ihre Schwester in Griechenland besucht, die dort arbeitet. Das war wunderbar, wir hatten uns eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. Wir sind mit dem Boot aufs Meer gefahren. Griechenland ist ein super schönes Land.

Eduardo, vielen Dank für das Gespräch.