Medienrummel in Spanien: Stier statt Kaninchen

Sie berichten live vor Ort, schicken schockierende Bilder nach Frankfurt, London und Madrid. Journalisten aus aller Welt haben das spanische Kaff Tordesillas zur medialen Schaubühne umfunktioniert. Grund: ein mit der Lanze erlegter Stier. Was die Reporter nicht sehen, sind die Transporter mit den weißen Kaninchen auf dem Weg zur Schlachtfabrik.

von Tobias Büscher

"Rompesuelas ist tot", melden El País und La Vanguardia online. Andere bringen Blogeinträge im Minutentakt wie bei einem Fußballspiel: Guardia Civil beruhigt Tierschützer. Bürgermeister tritt auf den Balkon. Tierschützer bitten Vatikan telefonisch um Hilfe.

11.12 Uhr: Stier leicht verwundet.

11.18 Uhr: Stier schwer von Lanze getroffen.

11.25 Uhr: Stier tot.

Inzwischen hat die Frankfurter Allgemeine Zeitung getitelt: Der peinlichste Stier der Sozialisten, weil seit Mai ein Politiker der linken PSOE das Städtchen regiert. Die Süddeutsche nennt es "Traurige Tradition".

Nur Der Spiegel hält sich raus und erklärt lieber: In dem Ort haben Spanier und Portugiesen 1494 mit Papst Alexander die Welt untereinander aufgeteilt. Johanna die Wahnsinnige hat auch hier gelebt.

Währenddessen wollen so viele auf die Webseite von Tordesillas zugreifen, dass der Server im Bürgermeisteramt abstürzt.

Lanze im Bauch, alles im Kasten

Toro de la Vega heißt das magnetisch anziehende Spektakel im kastilischen Hinterland. Und Rompesuelas, der "Sohlenbrecher" war wie jedes Jahr ein Prachtexemplar aus einer angesehenen Zucht, ein Kampfstier erster Güte. Seit über 500 Jahren jagen die Bewohner Toros mit Lanzen, bis sie sterben.

Das ist zwar nur der Auftakt für die Fiesta in dem Städtchen nahe Valladolid. Mit Kinderkarussell, Kochwettbewerben, Theaterstücken und viel Blasmusik feiern die Bewohner ihr Peña-Fest noch tagelang weiter. Doch die Medienvertreter reisen wieder ab. Alles im Kasten. So ein Tier, verwundet, archaisch geopfert, das bringt Leser, Klickzahlen, megaspanische Überschriften. Ist doch klar.

Leben wie ein König, sterben für China

Jedes Jahr im September wiederholt sich das Spektakel. Jedes Jahr kommen die Tierschützer und Kameraleute. Und nie sehen sie die Fabrik Hermi 38 km weiter östlich bei Valladolid.

Die Arbeiter schlachten dort jeden Tag mehrere Hundert weiße Kaninchen. Das Bauchfleisch und die Pfötchen der Tiere gehen in die spanische Paella, das schneeweiße Fell fast zu 100 Prozent in die chinesischen Kleidungsfabriken. Wer einmal einen Transport der kleinen Löffler gesehen hat (siehe Bild oben rechts), stellt fest:

Die hatten nie ein Leben, der prächtige Toro Rompesuelas aber schon. Von dem Stier wissen wir alles: 6000 Euro wert, 640 Kilo schwer, sechs Jahre alt. Und sein Besitzer erklärt El Mundo: "Der war nie krank, der hat wie ein König gelebt".

Die kastilischen Kaninchen dagegen haben keine Namen. Keine Lobby. Keine Freunde.

Doch wenn sie geschlachtet werden, ist eine Zahl schon bekannt. Sie sind dann genau 1,3 Kilo schwer. Als unser Chefredakteur sie sah, lebten sie nur noch wenige Minuten.

Sie guckten ihn mit großen runden Augen vom Transporter aus an. Und pissten ihm vor Angst und Enge durch das Gitter gegen das Kameraobjektiv.

PS: Für blutrünstige Reporter keine gute Nachricht: Am 13. September 2016 hat die Regierung in Madrid das tödliche Stiertreiben in Tordesillas verboten.

Der Bürgermeister ist sauer, die Anti-Stierkampf-Fraktion hat eine Demo-Pllattform weniger und über die Kaninchenfabrik redet immer noch keiner.

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