Bewährtes statt Ballermann

Durch die Coronakrise leidet Spanien innerhalb Europas besonders. Erst die Immobilienkrise, dann der komplette Stillstand des Tourismus. Wenn die vielen Besucher ausbleiben, wird das Land neue wirtschaftliche Schwerpunkte brauchen: darunter den effektiveren Export von Weizen, Olivenöl, Leder und Granit.

Von Tobias Büscher

Ab Anfang Juli soll Reisen nach Spanien wieder möglich sein. Doch was passiert auf Teneriffa, an der Costa Brava und Blanca, wenn weniger Flugzeuge landen? Weil Abstandsregeln den Begrüßungskuss ersetzten, Hygiene die Strandpartys. „Das Geschäftsmodell Ballermann und Fiesta wankt“, sagt Sebastian Schoepp, der Südeuropa-Experte der Süddeutschen Zeitung.

Seit März 2020 ist die Arbeitslosigkeit in Spanien wieder hochgeschnellt. Viele haben in den Betrieben ihre Arbeit verloren, auch in der Autobranche. Es gibt fast so viele Erwerbslose wie in Griechenland. Über eine Millionen Menschen bekommen inzwischen eine Grundsicherung, um überhaupt Nahrung kaufen zu können. Und da die vielen Millionen Touristen bis auf weiteres Geschichte sein könnten, braucht Spanien neue Ideen. 

Miguel Blanco, Chef des Verbandes der Bauern und Viehzüchter COAG, hat da einige. Er hat dem spanischen Parlament unlängst 100 Maßnahmen vorgelegt, damit der Agrarsektor in Zeiten von Covid-19 wieder hochfährt.

Wichtig ist ihm: Agrar und auch besonders die Viehwirtschaft sollen sozialverträglicher und umweltschonend werden, mit Unterstützung der spanischen Regierung und EU-Subventionen. Darin könnte in naher Zukunft eine Chance liegen, wenn die sommerliche Sause ausbleibt. Patatas statt Pauschalurlaub sozusagen. Agrar ist nichts schlechtes, gerade in Krisenzeiten. Das wissen alle, die noch wesentlich drastischere Zeiten erlebt haben, vor allem die Nachkriegszeit. Da waren Kartoffeln wertvoller als Stahl.

Schinken, Olivenöl, Meeresfrüchte

Spanien ist mit seiner großen, vielfältigen Fläche und der 5000 km langen Küste ein Garant für Lebensmittel, Baumaterial und Kunsthandwerk. Das war etwas in Vergessenheit geraten dank dem schnellen Geld im Tourismusgewerbe nach dem Motto „todo bajo el sol“, alles unter der Sonne. 60 Millionen Olivenbäume stehen in der andalusischen Provinz Jaén. Rekord. Kastilien und die Extremadura sind auf Serrano-Schinken spezialisiert, Galicien auf Meeresfrüchte. Das zu puschen, meint Blanco, könnte jetzt eine Chance sein für das ehemalige Land der Knechte, Kleriker und Kreuzritter.

Starke Produkte, schwache PR

Denn so gut die Produkte auch sind, das Land hat in Sachen Marketing lange geschlafen. Bei uns ist der Chianti schon viel länger bekannt als der Rioja. Olivenöl gilt als Spitzenprodukt Italiens, wobei viele der Oliven aus Andalusien stammen. Das gilt auch für die französischen Perigord-Trüffel, die teils aus Soria stammen. Kaum einer weiß, dass der Norden der Extremadura ein Eldorado ist für Kirschen, Feigen und Nüsse. Und selbst die Jakobsmuscheln bringen die Konsumenten eher mit Frankreich in Verbindung, trotz Jakobskult.

Natürlich gibt es heute längst geschickte spanische Produzenten, die die Pandemie überstehen. Bio-Bauern setzen sich vom Plastikgemüse aus Almería ab und betreiben Crowdfarming, wobei der Käufer sein eigenes Schaf für den Bio-Käse adoptiert. Der Weingigant Protos hat sich in den USA einen Namen gemacht und Pozo-Schinken gibt es bei uns in vielen Supermärkten. Modelabels wie Desigual und Inditex (Zara) haben den Weltmarkt erobert. Auch Safran und Sherry sind im Export erfolgreich. Doch viele wertige Produkte kennt man außerhalb der Landesgrenzen gar nicht. Die Rotweine der Ribeira Sacra sind so unbekannt wie der Honig aus Deza und der Granitstein aus Quintana de la Serena. Und Lederschuh-Hersteller auf Menorca bieten ihre Ware online ausschließlich auf Spanisch an. Wenn solche Produkte bekannter werden, könnten so einige neue Arbeitsplätze entstehen, die in Hotels, Strandbars und Discos weggefallen sind. 

Und dann gibt es eines Tages auf Teneriffa vielleicht statt Service à la British Breakfast wieder mehr Arbeiter in der Bananenplantage - und leckerere Plátanos statt Chiquita bei uns. Kein so furchtbarer Gedanke.

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