Berta Isla – Vom Wissen, nichts zu wissen

Spaniens Erfolgsautor Javier Marías erzählt in "Berta Isla" die Geschichte eines Paares, das sich wegen der Geheimdienstarbeit des Ehemannes immer fremd bleibt. Dabei ist der Roman weit mehr als nur eine tragische Liebesgeschichte. Eine Rezension.

von Julia Pater

Als sich Berta Isla und Tomás Nevinson mit 14 Jahren in Madrid kennenlernen, wollen sie für immer zusammenbleiben. Auch als Tomás, halb Engländer, zum Studium nach Oxford geht, führen sie ihr gemeinsames Leben fort – beschränkt auf seine vorlesungsfreie Zeiten in Madrid.

Die monatelange räumliche Trennung wird bestimmend für ihr gesamtes Leben, auch später als Ehepaar. Denn Tomás, begabt in Sprachen und Dialekt-Imitationen, sieht aufgrund unerwarteter Ereignisse keine andere Möglichkeit, als sich dem britischen Geheimdienst zu verpflichten.

Ein Doppelleben beginnt. Berta weiß zwar von seiner Spionagetätigkeit, erfährt zeitlebens aber nie, was er genau tut. Der Madrilenin ist klar: Will sie mit ihrem Mann zusammenbleiben, muss sie die Leerstellen hinnehmen.

„Berta Isla war sich im Klaren, dass sie teils mit einem Unbekannten lebte. Und wem es verboten ist, über ganze Monate seines Lebens Auskunft zu geben, der nimmt es als Freibrief, sich gar nicht mehr zu erklären.

Aber Tom war ihr auch teils mehr als vertraut, so selbstverständlich wie die Luft. Und die Luft prüfte man niemals kritisch“ (Seite 13). So lebt Berta jahrelang zugleich mit und ohne ihren Mann. Bis Tomás plötzlich verschwindet und nicht einmal der Geheimdienst zu wissen scheint, was mit ihm passiert ist.

Javier Marías vereint in Berta Isla tragische Liebes- und spannende Spionagegeschichte, die grundlegende Fragen vielschichtig beleuchtet: Wie gut kennen wir einen anderen Menschen, einen Geliebten wirklich? Wie gut das System, in dem wir leben? Wie bedeutend ist das Leben eines Einzelnen für die Welt?

Die Frage nach Verantwortung, Schuld und Selbstbestimmung, aber auch nach dem moralisch Vertretbaren trägt den Leser durch die Seiten, heftet sich an ihn.

Fiktion zwischen Franco und Falklandkrieg

Gekonnt verwebt Marías dabei historische und fiktive Aspekte. Seine Geschichte reicht von den 1960ern bis in die 1990er – das Franco-Regime, der Nordirland-Konflikt, die Falklandkriege. Anders als bei Arturo Pérez-Reverte, der auch in der Fiktion in einer sachlich-geschichtlichen Darstellung verharrt, spielen bei Marías die psychologischen Auswirkungen auf seine Figuren eine wichtige Rolle.

Bertas Leben ist geprägt von einem missbräuchlichen und korrupten System unter Franco. Der britischen Regierung dagegen unterstellt sie unumstößliche Rechtsstaatlichkeit.

Um diesen Eindruck zu prüfen, befasst sie sich mit Englands Operationen während des Zweiten Weltkriegs. Ihr neues Wissen nutzt Berta, um mit Tomás zu diskutieren und ihn aus der Reserve zu locken. Zugleich befeuert es aber auch ihre Spekulationen um seine Tätigkeit. 

Dass sich Marías‘ Figuren sowohl mit den Konflikten ihrer Zeit als auch mit ihren persönlichen Herausforderungen intensiv beschäftigen, macht sie plastischer, transparenter, glaubwürdiger.

Dazu trägt auch die dynamische Erzählweise bei, die zwischen Allwissendem und Ich-Erzähler wechselt. Der Leser weiß um das komplexe Innenleben der Protagonisten.

Deren Zerrissenheit und Zweifel spiegeln sich in den langen, verschachtelten Sätzen Marías‘ wider. Sie entschleunigen das Lesen genauso wie die bildhafte Sprache und die wiederkehrenden Motive. Charakter erlangen die Figuren aber auch durch spanische und englische Redewendungen. Diese sind in der Übersetzung so geschickt verpackt, dass Sinn und Tonalität auch für nicht Spanisch Sprechende greifbar werden. 

„Es gibt uns, aber wir existieren nicht“

Javier Marías hat mit Berta Isla einen Roman geschaffen, der tiefgreifende Fragen über die Erzählung hinaus aufwirft. Er verwöhnt seine Leser nicht mit einer abgeschlossenen Geschichte. Was ihnen bleibt gleicht Bertas Schicksal – spekulieren, zweifeln, hinterfragen. Denn Tomás‘ Tun bleibt ein Geheimnis ganz im Sinne seines Vorgesetzten Tupra.

Zitat: „Wir sind jemand und zugleich niemand. Es gibt uns, aber wir existieren nicht, oder wir existieren, aber es gibt uns nicht. Wir tun etwas, tun aber nichts, Nevinson, oder wir tun, was wir tun, oder was wir tun, tut niemand. Es geschieht einfach“ (Seite 146 – 147).

Daten zum Buch
Titel: Berta Isla
Autor: Javier Marías
Verlag: S. Fischer 
Übersetzerin: Susanne Lange
Erschienen: Mai 2019
ISBN 978-3-10-397396-9
656 Seiten
Preis: 26,00 €

Die Autorin
Julia Pater ist Germanistin, Redakteurin und Generalistin. Sie liebt Geschichten – poetische, alltägliche, skurrile. In ihrer Bachelorarbeit befasste sie sich mit Heinrich Heine, in ihrer Masterarbeit mit den Autoreninszenierungen von Günter Grass und Rainald Goetz. Sie hat ein Faible für Poetry Slams, Open Stages und Tagebuch-Lesungen.