Buchrezension: Die Reise nach Ordesa

Die unerträgliche Schwierigkeit des Seins

Der Roman Die Reise nach Ordesa war 2018 in Spanien das Buch des Jahres. Es verkaufte sich in wenigen Monaten über 100.000 mal. Piper bringt den Roman von Manuel Vilas jetzt auf Deutsch heraus. Es ist eine finstere Lektüre auf hohem Niveau. 

Eine Rezension von Tobias Büscher

Gleich vorweg: Das Buch ist hervorragend übersetzt. Doch Manuel Vilas hat seinen Roman eindeutig für Spanier geschrieben, für Leser aus Madrid, Zaragoza, Santiago. Keinesfalls für Wuppertaler, Berliner oder Kölner. 

Daher ist die Variante auf Deutsch vor allem für Spanienfans geeignet, die mit dem Seat 600 etwas anfangen können, mit der Francozeit und dem ersten Satz aus dem Don Quijote.

Sinnsuche im Vergänglichen

Im Kern geht es im Buch von Manuel Vilas allerdings um sehr Grundsätzliches: um die Brutalität des Vergänglichen. Vilas arbeitet sich ab an seiner chaotischen Mutter, die sich nicht für Franco interessierte, sondern für Julio Iglesias. Am lebensfrohen Vater, einem Handelsvertreter, der den Sohn beschützte aber kaum wahrnahm. Und dem Sinn des Lebens.

Er denkt nach über die Sprache der Liebenden, die nach der Trennung für immer verschwindet. Und darüber, wie das Schweigen des Vaters regiert. Ein entscheidender Satz steht dazu auf Seite 90: "Das größte Geheimnis eines Mannes ist das Leben jenes anderen Mannes, der ihn in die Welt gebracht hat."

Vilas stammt spürbar nicht aus Andalusien, er stammt aus dem nordspanischen Aragon. Er kam 1962 in der Provinz Huesca auf die Welt, lebte in armen Verhältnissen, studierte in Zaragoza und wurde Lehrer für unzugängliche, pubertierende Berufsschüler.

Und hatte keine Ahnung, dass die Redakteure von El Mundo, ABC, El País und La Vanguardia ihn noch für seine Lyrik schätzen würden und er eine gelbe Krawatte binden musste für einen Empfang im Königspalast.

Der Vater und sein Berg

Sein Buch ist eine packende, düstere Biografie. Ein halbes Jahrhundert Lebensgeschichte, zugleich realistisch und mystisch geschrieben. An zwei, drei Stellen kann der Leser sogar auch mal lachen. Und der Titel sitzt: Die Reise nach Ordesa. 

Ordesa ist eine Bergwelt in den Pyrenäen, wo die Dörfer nicht weiß sind sondern verlassen. Wo das Unkraut am Kirchenaltar wächst. Dort steht ein Berg, den der Vater liebte. Der Vater, den Vilas verlor. Der Berg heißt Monte Perdido, Verlorener Berg.

Warum ist dieses Buch so erfolgreich?

Die Kritiken waren voll des Lobes. Kein Buch hat sich 2018 in Spanien so gut verkauft wie Ordesa. Vilas hat keine Ego-Biografie geschrieben, er spiegelt seine Familiengeschichte an der Kulturgeschichte der 70er Jahre. Er lässt uns nachdenken über die Vergänglichkeit, die Illusion des Gegenwärtigen.

Er berührt einen mit seinem schonungslosen Blick auf seine Scheidung, den Suff, die Tabletten. So schreibt einer, dem der Erfolg nie zu Kopf gestiegen ist. Weil er weiß, wie vergänglich das Leben ist, während der Monte Perdido immer weiter dort steht wo er steht. Unverändert. Seit einer Ewigkeit. Und noch in ferner Zukunft.

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