Schlüsselfiguren vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert
Eine andere Geschichte Spaniens
Im Verlag Böhlau ist ein neuer Geschichtsband zu Spanien erschienen. Autoren sind die Spanienkenner Birgit Aschmann und Klaus Herbers sowie ihre „Hilfskräfte an den Lehrstühlen“. Es ist ein wertvoller Band, was man auf den ersten Blick nicht unbedingt erwartet.
Eine Rezension von Tobias Büscher
Zunächst kommt einem der Titel des Verlags Böhlau ziemlich spanisch vor. Zwölf Fotos und Zeichnungen zeigen unter anderem einen Maler, eine Kommunistin, eine Nonne und einen Diktator.
Dann ein Blick in die Inhaltsangabe. Auch hier wirkt die Zusammenstellung dieser Schlüsselfiguren eigenartig: Ein gewisser Raimundus Lullus wird porträtiert, Miguel de Cervantes nicht. Die Königinnen Isabella I. und Isabella II. bekommen ausführliche Kapitel, Johanna die Wahnsinnige findet nicht statt. Und erst Recht nicht die Schlüsselfiguren des 21. Jahrhunderts.
Aber so ist das bei Geschichtsprofessoren mit Spezialgebiet Mittelalter und Neuzeit. Allzu Gegenwärtiges ist eben Politikwissenschaft, allzu entferntes Antike. So als wären Jakob der Ältere und Felipe González nicht mindestens auch Schlüsselfiguren der Spanischen Geschichte.
Tiefgang statt Schnappschuss
Auf 400 Seiten ist die Geschichte Spaniens allerdings sehr gut aufbereitet. So gut, dass der Titel „Eine andere Geschichte Spaniens“ einfach nicht stimmt. Die Historie des EINEN Spaniens wird Anhand von Porträts anschaulich dargestellt, denn die Texte bieten alle einen tiefen Einblick in die jeweilige Gesellschaft. Eben mittels der ausgewählten Persönlichkeiten.
Ein Beispiel dafür ist das Porträt über die Kommunistin Dolores Ibárruri (1895-1989). Der Text analysiert die Politikerin mit dem legendären Satz „No pasarán“ und beginnt in Madrid, wo 200.000 Menschen den Leichnam begleiten.
Ein szenischer Einstieg also. Dann erfährt der Leser viel über diese begnadete Rednerin und Anführerin der Linken gegen die Franco-Truppen, über ihre einfache Herkunft und die religiöse Erziehung, die keine Widerworte zuließ. Dann über ihre Arbeit in der neu entstandenen KP, die ebenfalls bedingungslosen Gehorsam einforderte.
Es gibt einen Blick zurück in die Kindheit, dann ihr erster Kontakt zur Arbeiterbewegung. Der Leser erfährt etwas über ihren ersten Mann, der oft im Gefängnis saß, während sie selbst unter bitter armen Verhältnissen lebte. Es ist ein brillantes Porträt, dass die berühmteste Kommunistin Westeuropas von allen Seiten beleuchtet, inklusive ihrer Stimme, ihrer zierlichen Gestalt, ihrer schwarzen Kleidung, ihrer unglaublichen Aura, ihrer Träume und ihrer Zeit in der Sowjetunion.
Das ist das Wertvolle an dem Buch: Die gesellschaftlichen Befindlichkeiten sind genau dargestellt und analysiert. Was deshalb so gut lesbar und verständlich ist, weil die wichtigste Person im Text die Hauptrolle spielt wie in einem Theaterstück.
Alle Kapitel sind ähnlich aufgebaut, Quellenangaben gibt es. Dafür verzichten die Autoren fast gänzlich auf akademischen Hochschulsprech, sondern arbeiten lieber mit knackigen und belegbaren Zitaten.
Fazit: Ein wertvolles Buch zur Geschichte Spaniens für ein breites Publikum. Und eine Steilvorlage für Akademiker, damit in den Hörsälen keiner mehr einschläft.