Sebastian Schoepp: Mehr Süden wagen

Kennen wir Spanien und Italien wirklich? Blicken wir beim Urlaub in der Toskana und auf Malle in die südliche Seele? SZ-Redakteur Sebastian Schoepp hat ein Buch über die Frage geschrieben, was Südeuropa heute eigentlich ist. Und welche Möglichkeiten der Spannungsgrad zwischen Nord und Süd bietet.

von Tobias Büscher

Wie ticken die Italiener, wie die Spanier? Ist die Mittelmeersonne gut für den Urlaub und schlecht für die Arbeitsmoral? Und warum sehen wir im Norden die südeuropäischen Länder als Wiege der Kultur und Schlamassel für die EU?

Der Journalist Sebastian Schoepp ist diesen Fragen nachgegangen. Sein Credo: Wir im Norden brauchen den Süden viel mehr als wir so wunderbar analytisch unterkühlt denken.

Pasta, Punks und PIGS

Zunächst einmal zum Wert des Buches: Der Autor hat die Länder nach dem Zivildienst bereist und dann unter anderem in Siena und Salamanca studiert. Heute ist er Redakteur der Süddeutschen Zeitung mit Schwerpunkt Spanien und Lateinamerika. Er erzählt auch davon, aber nicht als Ego-Tripp.

Es ist vielmehr eine Legitimation für seine Analysen. Denn wer vom Zusammenhalt der italienischen Familie redet, sollte bei Mama gewohnt haben. Hat er. Und wer die Generationsbande von Papa und Sohn in der spanischen Punk-Kneipe schildert, sollte mit am Thresen gestanden haben. Hat er.

Eingeflochten sind Statements von Wissenschaftlern und Schuhputzern, Erfahrungen vor Ort, Überlegungen zum Schimpfkürzel PIGS für vermeintliche Problemstaaten. Das über 250 Seiten dicke Buch ist insofern eine Art Feature XXL.

Deutsche verstellen sich, Italiener lieben sich

Das Buchcover ziert ein Osborne-Stier. Länderanalysen sind ohnehin großartige Klischee-Fallen. Schoepp weiß das nur zu gut, berichtet von einem Kommilitonen, der einst an der italienischen Uni ganz auf selbstbewussten Italiener machte, und dabei doch deutsch war wie eine "fränkische Bratwurst".

Und das Thema Denken und Hitze schildert er anhand einer unklimatisierten Redaktionsbude in Palma de Mallorca. Um dann zu wiederlegen, was uns immer noch im Kopf rumspukt: Ist ja kein Wunder, dass der Andalusier nicht arbeiten kann. Da muss man bloß mal in Málaga Urlaub gemacht haben: Brüllheiß. Da geht nichts mehr ...

Perder el Norte, Perder el Sur

Der SZ-Redakteur beleuchtet viele Facetten. Etwa die Tatsache, dass der Süden ganz grundsätzlich fahriger wirkt, der Norden gefasster. Er spricht vom Aufstand der Jugend, Wanderkult am Jakobsweg und Cäsaren der Wirtschaft. Und wenn es überhaupt etwas auszusetzen gibt: Etwas weniger Weber, Goethe und Co hätte es auch getan.

Das ist bei Autoren der Süddeutschen halt so. Auch Schoepps Kollege Alex Rühle schreibt in seinem Buch "Ohne Netz" über seine Erfahrungen offline etwas sehr viel von einstigen Literaten und Freigeistern auf Sinnsuche in der Einsamkeit. Um dann sehr schön in Tagebuchform zu verdeutlichen , wie ein halbes Jahr ohne Internet und Handy geht.

Als Journalist wohlgemerkt. Sebastian Schoepp belässt es nicht bei sechs Monaten. Er bringt einen Rundumschlag über Jahrzehnte, sogar mit Blick weit in die Antike hinein. Und er war dabei, er war vor Ort, als Andreotti die Fäden zog und Felipe González die Frauen betörte. Er kennt die Länder, er vergleicht sie.

Er wirft Fragen auf, was spannender ist als simple Antworten. Und er hat Humor. Es ist kurios, was der Autor an einer Stelle im Buch festhält. Dass Spaniens brillante Weltensegler nie die Orientierung verlieren wollten: Perder el Norte ging gar nicht, wörtlich: den Norden verlieren. Dieses Buch handelt davon, wie wir angesichts von Staatsverschuldung und Armut in der EU aufpassen sollten, den Süden nicht zu verlieren. Wir Viertkantschlüsselköpfe brauchen ihn tatsächlich weit mehr als wir denken.

Fazit: "Mehr Süden wagen" ist ein Erfahrungsbericht gepaart mit nachdenklichen und auch überraschenden Analysen. Sehr empfehlenswert!

Details zum Buch

Autor: Sebastian Schoepp

Seiten: 256 Seiten

Erschienen: 15. Sept. 2014

Verlag: Westend

ISBN-10: 3864890705

Preis: 17.99 Euro