Buchrezension: Spanien heute

Der Vervuert Verlag hat das Standardwerk "Spanien heute" in einer sechsten, vollständig neu bearbeiteten Auflage herausgebracht. Unter Leitung der Professoren Walther L. Bernecker und Carlos Collado Seidel sind ausführliche Analysen zu Politik, Sport, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft entstanden. Teils schwer lesbar, aber mit hoher Informationsdichte.

von Tobias Büscher

Eingedenk und ephemer? Also bitte ...

Beim Lesen der Einleitung wirkt das Buch zunächst sprachlich wie eine Doktorarbeit aus der Adenauerzeit. Kostprobe eines einzigen Satzes:

"In den letzten 15 Jahren wallte darüber hinaus eine Sezessionsbestrebung in Katalonien auf, die im Herbst 2017 nicht nur in einer ephemeren Unabhängigkeits- erklärung mündete und die grundsätzliche Frage der Verfasstheit des spanischen Staates aufwarf, sondern auch maßgeblich dazu beigetragen hat, den eingedenk der Diktaturerfahrung unter Franco bis dahin überwunden geglaubten spanischen Nationalismus in ungeahnter Weise zu befeuern."

Aha. Da hätte auch stehen können: Die einseitige Unabhängigkeitserklärung der Katalanen im Jahr 2017 hat Spanien innenpolitisch stark geschwächt.

"Externe Energiequellen"

Das Buch ist reich an Quellen, an Statistiken und Analyse. Doch fällt neben Akademiker-Jargon und Zahlenfetisch ab und an auch ein Hang zum Allgemeinen auf.

Bei der Analyse der spanischen Außenpolitik beispielsweise schreiben die Autorinnen Susanne Gratius und Marie Brockmann, Spanien sei extem abhängig von "externen Energiequellen wenig stabiler Staaten wie Nigeria".

Was denn für Energiequellen? Diese hier: Der afrikanische Ölgigant ist der erste Öl- und dritte Gaslieferant für den spanischen Markt. Madrid intensiviert in die Beziehungen zu Lagos seit dem Ukraine-Krieg sogar noch mehr als je zuvor. Und liefert bald selber Ökostrom innerhalb Europas. Doch fairerweise muss man sagen: Das war bei Drucklegung des Buchs im Jahr 2022 erst in Planung.

Rolle der Frau und der Medien

Dennoch, der Band ist wie schon die Auflagen zuvor ein Standardwerk für Spanienfans. 675 Seiten dick und garniert mit vielen Literaturtipps und Quellen, was auch den Preis von 44 Euro rechtfertigt.

Einige Kapitel sind besonders gut verfasst. Werner Altmann beschreibt die Entwicklung der Rechte von Frauen, Schwulen und Transen zwar chronologisch, aber sehr fundiert.

Sabine Tzschaschel hat das Thema Landnutzung und nachhaltige Zukunft hervorragend recherchiert und dargestellt.

Und Spiegel-Journalistin Helene Zuber analysiert die Rolle der Medien in Spanien nicht nur sehr faktenreich, sondern auch sprachlich wohltuend lesbar. Ganz ohne eingedenk und ephemer ...

Fazit: Gut belegte, sehr ausfühliche Fakten, auch wenn die Texte teils sehr aufgeblasen formuliert sind. Wohl in dem Glauben, dadurch würden die Analysen wichtiger klingen.