Entdeckungsreise für Leser
Spanien zu Gast auf der Frankfurter Buchmesse
Vom 19. bis 23. Oktober 2022 kommen spanische Autoren und Verlage nach Frankfurt. Mit dem Hashtag #MuchosLibrosPorDescubrir (#Viele Bücher zu entdecken) will die Buchmesse die neuesten spanischen Trends in Literatur und Kultur präsentieren. Das ist auch bitter nötig, denn vor allem die einst so erfolgreichen spanischen Romane sind bei uns ziemlich aus der Mode gekommen.
Von Iris Sygulla
Sie sieht aus wie ein Model, ist aber ein Bücherwurm. Auf ihrem Instagram-Profil stellt sie sich sehr sendungsbewusst, künstlerisch und lesesüchtig dar. Andrea Abreu kommt aus Teneriffa und hat mit „Panza de Burro“ (wörtlich Eselbauch) ein Romandebüt lanciert, das viele erstaunte. Der andalusische Verlag Editorial Barrett verkaufte innerhalb von zwei Monaten 130.000 Exemplare. Und darüber hinaus Lizenzen für Übersetzungen in acht europäische Sprachen. Unter anderem an den Kölner Verlag Kiepenheuer und Witsch.
Abreu ist Jahrgang 1995, den Barrett-Verlag gibt es seit 2016. Beide sind Teil der viel versprechenden Neuentwicklungen der literarischen Szene Spaniens, von denen uns die Buchmesse mehr in Aussicht stellt. In Abreus Roman geht es um die Schattenseiten des Touristenparadieses Fuerteventura.
Die neuen Autorinnen und Autoren Spaniens behandeln eine interessante Bandbreite an Themen, bewegen sich am Puls der Zeit. Eindringlich und unerwartet ist auch die Form. Spanien hat viel zu bieten, auch wenn auf dem Buchmarkt in Deutschland davon in den letzten zehn Jahren nicht viel angekommen ist.
Auch für Spanien selbst gilt das offenbar. Der durchschnittliche Leser dort ist eine Frau, im Schnitt über 65, mit Uniabschluss und Lieblingsautor. Schaut man sich die meistverkauften Bücher an, findet man bekannte Größen wie den einstigen Kriegsreporter Arturo Pérez-Reverte, die Madrilenin Almudena Grandes, Elisabet Benavent, die die Vorlage für die Netflix-Serie Valeria schrieb. Darüber hinaus den Thriller-Autor Javier Castillo, der auch international erfolgreich ist, so wie auch einige Sachbücher aus Spanien.
Und dann gibt es natürlich noch die Phänomene, die niemand vorhersieht, ähnlich wie bei Andrea Abreu: „El infinito en un junco“ ist ein Essay über die Geschichte des Buches von der Autorin Irene Vallejo, die 150.000 mal verkauft und in 30 Sprachen übersetzt wurde.
Spanische Autoren okay, aber gerne etabliert
Für deutsche Verlage, die sich um Titel aus Spanien kümmern, ist die Bestsellerliste im Herkunftsland leider kein Maßstab: Spanier lesen andere Bücher als Deutsche. Ein Beispiel hierfür ist ein in Spanien unglaublich erfolgreicher Roman von Albert Sánchez Piñol: Der Untergang von Barcelona. Er war der Bestseller in Spanien. Nie seit Cervantes Don Quijote war ein Buch so erfolgreich. Doch dem deutschen Publikum war das recht egal. Das mussten die Fischerverlage schmerzlich feststellen, die auf den Literaturrenner gesetzt hatten.
Ansonsten sind die Fischerverlage neben dem Verlag Klaus Wagenbach, Suhrkamp Insel und Reclam bekannt dafür, spanische Autoren im Programm zu haben. Allerdings vertreten diese schon Javier Marías und Javier Cercas, die weiterhin alle paar Jahre einen neuen Roman schreiben.
Wir erinnern uns: Javier Marías’ Roman „Mein Herz so weiß“ war 1995 auf der Spiegel-Bestsellerliste und ist mittlerweile ein moderner Klassiker. So kamen die deutschen Leser in den Genuss von Erzählliteratur auf hohem erzählerischen Niveau, die mit postmodernen Mitteln wie Autofiktion arbeiten.
Auch aktuelle Themen werden dort erzählt, wie im Ende Juli 2021 erscheinenden Thriller „Terra Alta“ von Cercas. Dieser thematisiert auch die islamistischen Attentate in Barcelona von 2017, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung und die Nachwirkung des spanischen Bürgerkriegs. Dabei porträtiert er treffend unterschiedliche Gesellschaftsschichten.
Was will das Publikum?
Eine junge Autorin wie Andrea Abreu kommt dann im Verlagsprogramm nicht mehr unter, da die Plätze für spanische Literatur schon vergeben sind. Hinzu kommt, dass der Roman nicht der Erwartung entspricht, die Fans des Fischerverlags haben. Bei Kiepenheuer & Witsch ist das etwas anderes. Die französische Autorin und Feministin Virginie Despentes, ist zu hören, habe Abreu als weibliche, unverblümte Stimme den Weg geebnet.
Zu spanisch oder nicht spanisch genug?
Allzu „spanisch“ sollten die Themen dem deutschen Leser allerdings auch nicht vorkommen: Manche sind für den deutschen Leser nicht attraktiv, weil nur verständlich, wenn sie die tagesaktuelle Berichterstattung in Spanien als Kontext haben oder den Bezug zur eigenen Landesgeschichte haben. Beim Untergang von Barcelona ist das sicher so, oder auch bei Manuel Vilas Roman Ordesa. Eine Ausnahme mag da Patria von Fernando Aramburu sein. Der Roman hat zwar die baskische Terrororganisation ETA zum Thema, diese wird aber durch die Romanhandlung um zwei Familien veranschaulicht.
Andererseits passiert es sicher auch, dass man sich aktuelle europäische Themen lieber von Stimmen aus dem eigenen Land beschreiben lassen möchte.
Förderprogramme für Übersetzungen
Im Jahr 2019 wurde in einer Diskussionsrunde im Rahmen der Frankfurter Buchmesse die Haltung der spanischen Kulturpolitik kritisiert. Es wurde bemängelt, dass die spanische Regierung keine Anstrengungen unternahm, ihre Autorinnen und Autoren in Deutschland zu bewerben.
Roland Spahr (Fischer) sagt aber, dass in der Zwischenzeit sehr viel passiert ist. Wo damals kaum Initiative war, haben sich Förderprogramme entwickelt, das Auftreten sei mittlerweile „super professionell“. Positiv habe sich auch ausgewirkt, dass sich der Gastlandauftritt Spaniens um ein Jahr nach hinten verschoben hat, also auf 2022. Es gebe auch viele regionale Engagements wie die des katalanischen Ramón-Llull-Instituts, das Fördermittel zur Bewerbung der Literatur Kataloniens vergibt.
Verlagshäuser wie Penguin Randomhouse in Spanien lobt er: Sie haben nicht nur ein tolles Programm, sondern pflegen auch einen regen Austausch mit deutschen Verlagen. Sie wiesen überdies auf Förderprojekte für Übersetzungen hin. Um diese Gelder bewerben sich Verlage, um Übersetzungen von Büchern aus anderen Sprachen in Auftrag geben zu können, deren Lizenzen sie erworben haben.
Agenturen als Mittler zwischen den Sprachen
Auch Agenturen sind hier wichtige Akteure. Casanovas & Lynch aus Barcelona sei eine Agentur, die sich für den Verkauf spanischer Lizenzen unter anderem in Deutschland einsetze. Wenn man den Namen im Internet sucht, wird man sofort auf eine englischsprachige Seite geleitet. Hier denkt man offensichtlich international.
Wie es scheint, hat Spanien viel Neues in seinen Literaturen zu bieten. Wenn man den Blick auf die aus Spanien stammenden Autorinnen und Autoren hält, die auf Spanisch, aber auch auf Katalanisch, Baskisch und Galicisch schreiben, wird man sicherlich nicht enttäuscht.
Wir erwarten daher freudig die Buchmesse. Mit neuem Input für unsere Bücherregale und Köpfe!
Rezensionen zu Büchern aus Spanien
Rezension zu Berta Isla von Javier Marias
Rezension zu Dreimal im Leben von Pérez Reverte
Rezension zu Strand der Ertrunkenen von Domingo Vilar
Die Autorin
Iris Sygulla wollte die Kultur ihrer Familie über ihr Studium besser kennenlernen und hat sich dabei in die spanischsprachige Literatur verliebt.
Besonders zeitgenössische Romane haben es ihr angetan.
Ihre Lieblingsautoren sind Enrique Vila-Matas und Roberto Bolaño.