Spanisches Kultgetränk: Wermut ist der neue Gin Tonic

Discounter entdecken in Deutschland gerade das Absatzpotential von ausgefallenen Gin-Sorten und Tonic-Wässern. In Madrid ist Gin Tonic längst wieder ein alter Hut. Vorbei die Renaissance des Klassikers, den clevere Barkeeper mit Kräutern, Gewürzen - ja sogar Teebeuteln aufpeppten und zum Star der jungen Szene machten. Das neue In-Getränk ist der gute alte Wermut. Oder wie der Spanier sagt: Vermut.

Und wie schon bei seinem Vorgänger Gin Tonic gilt: Experimentieren ist erwünscht. Mit einem Schuss Angostura, aufgefüllt mit Soda oder sogar einem Hauch Absinth - Hauptsache nicht langweilig.

Dazu eine leckere Tapa. So genießen Spanier ihren Vermut. Besonders die Madrilenen: Alte Herren aus Tradition. Die junge Generation, weil es gerade angesagt ist.

Stimmungsaufheller vom Fass

Dabei hat Wermut in Spanien eine lange Tradition. Und war zumindest bis heute ein Armeleute-Getränk. Schon immer schenken ihn Gastwirte in den Tavernen vom Fass (al grifo) aus. Die Tapa dazu ist obligatorisch und natürlich kostenlos. Für rund ein bis zwei Euro ein preiswertes Vergnügen - jedenfalls in den Tavernen außerhalb der Touristenmeilen.

Vielleicht ein Grund, warum auch junge Spanier in der Krise das Getränk von Oma und Opa wieder für sich entdeckten. Außerdem soll Wermutkraut (Artemisia absinthium ) eine stimmungsaufhellende Wirkung haben. Wer sich gerade den Bauboom auf Madrids Prachtmeile Gran Via anschaut, glaubt das sicher sofort.

Wermut-Tavernen mit Kachel-Charme

Alte Lokale - wie beispielsweise das El Doble im Madrider Stadtteil Chamberí - mit ihren oft wunderbar gekachelten Wänden, der langen Bar und natürlich meist einem Fernseher an der Decke - haben meist eine rauen Charme. Viele Touristen trauen sich nicht hier herein. Denn die Gäste sind oft einfach gekleidete ältere Herren. Und Englisch oder gar Deutsch spricht garantiert keiner von ihnen.

Ab 12 Uhr trinken sie hier einen Wermut als Aperitif. Ihre Frauen kaufen derweilen auf dem Markt ein und kümmern sich ums Mittagessen. Etwas später, zwischen 13.30 und 14 Uhr, kommen auch die jungen Männer aus den umliegenden Büros auf einen Drink vorbei – die Krawatte lässig in die Jackentasche gesteckt.

Wermut und Absinth: eine lange Geschichte

Je nach Taverne und Wermutart kommt das weinhaltige Getränk mit oder ohne Eis, mit einer Zitronen – oder Orangenscheibe, mit oder ohne Olive ins Glas. Erfunden haben es die Spanier allerdings nicht.

Bereits die alten Ägypter tranken mit Kräutern versetzten Wein. Auch Mesopotamier, Chinesen und Römer schätzen Würzweine – versetzt mit Blüten, Rinde und gerne gesüßt mit Honig. Schon sie kannten und lobten die heilende Wirkung des Wermutkrauts. Es soll gegen Kopfschmerzen helfen, den Appetit anregen und die Verdauung unterstützen.

Als Erfinder des heutigen Wermuts gilt Antonio Benedetto Carpano aus Turin. Er verkaufte ab 1786 eine mit Zucker, Karamell und rund 30 Kräutern versetzten Rotwein. Allerdings war schon im 16. Jh. im Königreich Savoyen Wermutwein bekannt.

Wermutkraut (bitterer Beifuß, Alsem oder lateinisch korrekt: Artemisia absinthium L.) ist übrigens auch Bestandteil des berühmt-berüchtigten Absinth – neben Auszügen von Anis, Melisse und Fenchel.

Der war lange Zeit in Europa verboten. Denn die Konzentration des mittels Alkohol dem Wermutkraut gelösten Tujons war zu hoch. Dieser Bestandteil ätherischer Öle kann Benommenheit, Erbrechen und im schlimmeren Fällen Nierenschäden und Schädigungen des zentralen Nervensystems hervorrufen.

Aber keine Sorge: Im heutigen Absinth und natürlich auch Wertmutwein ist die Konzentration viel zu niedrig.

EU-Verordnung regelt Wermut und Wermutwein

Heute regelt die EU-Verordnung Nr. 251/ 2014 im Anhag II, was Wermut bzw. Wermutwein ist. Nämlich ein „Aromatisierter Wein, der mit Alkohol versetzt wurde, und dessen dessen charakteristisches Aroma durch Verwendung geeigneter, aus Artemisia-Arten gewonnener Stoffe erzielt wird.“ Mit einem Alkoholgehalt von 14,5 bis knapp 22 Prozent ist der aufgesprittete Wein - besonders mit Soda aufgegossen – ein relativ leichter Aperitif.

Je nach Zuckergehalt gibt es ihn als:

- extra trocken (30 g Zucker und min. 15 % vol Alkohol)

- trocken (50 g Zucker und min. 16 % vol Alkohol)

- halbtrocken (50 - 90 g Zucker)

- lieblich (90 - 130 g Zucker)- süß (ab 130 g Zucker)

Vermut a la madrileña

Und wo in Spanien gibt es nun den besten, den hippsten, den traditionellsten Vermut? Erstens Indiz: Die Taverne schenkt ihn vom Fass (al grifo) aus. Zweites Indiz: In der Lokalität halten sich viele Spanier auf. Und drittes und wichtigstes Indiz: Der Vermouth schmeckt einem selber – mit oder ohne Chi Chi.

In Madrid - so sagt Pilar Gimeno, die mich auf einer offiziellen Pressetour durch die spanische Hauptstadt begleitet – ist das La Concha in der Straße Cava Baja ein Tipp für guten Wermut.

Und an der Plaza Santa Ana gibt es im Casa Alberto neben leckerem Wermut eine kleine Besonderheit: Direkt am Anfang der Theke fließt Wasser aus einem kleine Wandbrunnen. Ursprünglich spülten hier die Gäste ihre Gläser selber.

Madrid-Experte, Reisebuchautor (u.a. Citytrip Madrid) und zufällig Ehemann der Autorin hat noch einen Tipp parat: Die Taberna Antonio Sánchez im madrilenischen Stadtteil La Latina.

1870 kaufte ein berühmter Stierkämpfer das 1830 gründete Lokal. Stierkampfbilder zieren seither die Wände der rustikalen Taverne. Vorher sollten sich Gäste mit schwachen Nerven selbige besser mit dem einen oder anderen Gläschen Wermut stärken. Denn auch der eine oder andere Stierkopf aus berühmten Kämpfen muss als Deko herhalten. Na dann: ¡Salud!

 

Adressen und weiterführende Infos

Cervecería El Doble
Calle de Ponzano, 5828010 Madrid (Chamberí)
Tel: +34 915 91 94 62

Casa Alberto
Calle de las Huertas, 1828012 Madrid (Huertas)
Tel: +34 914 29 93 56

Taberna Antonio Sánchez
Calle del Mesón de Paredes, 1328013 Madrid (La Latina)
Tel: +34 915 39 78 26