Julio Medem, Spaniens Seelenforscher im Porträt

Der gutaussehende Spanier könnte als Schauspieler in der Rolle eines Latin Lovers agieren, aber Julio Medem steht lieber hinter der Kamera. Er dreht verstörend geheimnisvolle Filme.

von Alexandra Horn

In all Filmen von Medem, der auch immer die Drehbücher schreibt, offenbart der Regisseur ein Interesse an existenziell menschlichen Themen wie Leben, Tod, Wiedergeburt, die Kraft der Liebe oder den Schmerz über den Verlust des geliebten Menschen.

Der Regisseur taucht dabei tief in die Träume und Albträume seiner Figuren ab und schildert die Geschichten aus der Innensicht seiner Protagonisten, sodass die Trauer und der Schmerz seiner Figuren nicht nur sichtbar, sondern spürbar und nachvollziehbar werden.

Die dunkle Seite des Verstandes

1958 in San Sebastián geboren, wächst Medem abwechselnd im Baskenland und in Madrid auf. Als Jugendlicher leiht er sich mit seiner Schwester Ana nachts heimlich die Super-8 Kamera seines Vaters aus, um damit herumzuexperimentieren.

Weil ihn die dunkle Seite des menschlichen Verstandes fasziniert, absolviert er ein Medizinstudium, um Psychotherapeut zu werden. Neben dem Studium dreht er Kurzfilme, arbeitet als Filmkritiker und schreibt eigene Drehbücher, besucht aber nie eine Filmschule.

Diese Erfahrungen schlagen sich deutlich in seinen Filmen nieder, denn Medem entwickelt nicht nur eine eigenwillige, unverwechselbare Handschrift als Filmemacher. Seinen Geschichten ist anzumerken, dass er viel Einfühlungsvermögen für die verletzten Seelen seiner Figuren besitzt.

Kühe, Lucia, Sex und der Polarkreis

Schon nach seinem Spielfilmdebüt „Vacas“ (1992) wird Julio Medem mit zahlreichen Preisen überhäuft und als neue Hoffnung des spanischen Films gefeiert. Filme wie „Die Liebenden vom Polarkreis“ (1998) und „Lucia und der Sex“ (2001) machen Medem auch weit über Spanien hinaus bekannt - obwohl seine Filme mit ihrer komplexen, verschachtelten Erzählperspektive alles andere als leichte Kost sind.

Auch in dem Film „Die Liebenden vom Polarkreis“ (1998) wird die Geschichte aus zwei Perspektiven erzählt, die sich teilweise widersprechen: aus der Sicht von Otto und Anna.

Seit ihrer Kindheit verbindet die beiden eine Seelenverwandtschaft, später werden sie ein Liebespaar, verlieren sich jedoch irgendwann aus den Augen. Viele Jahre verbringen sie mit der Suche nach dem anderen, aber das langersehnte Wiedersehen am Polarkreis endet in einer Katastrophe.

Über seine neuesten Filme berichtet der Reisseur Medem auf seiner eigenen Homepage.

Reisen in die Vergangenheit, ins Unterbewusste

Ein ähnliches Thema verfilmt Medem in „Lucia und der Sex“ (2001) auf eher leichte und sinnliche Weise. Nach dem Verlust ihres Geliebten flüchtet Lucia auf der Suche nach einem Neuanfang von der Großstadt auf die Insel Formentera, wo die Vergangenheit sie schnell einholt.

Der tot geglaubte Liebhaber versucht die gescheiterte Beziehung in einem Roman zu verarbeiten, bis die beiden nach vielen Schicksalsschlägen auf der Insel wieder zueinander finden.Formentera  ist auch Ausgangspunkt von „Caótica Ana“ (2007). 

Diesmal verlässt die weibliche Hauptperson Ana die Insel, um in Madrid Malerin zu werden. Hier findet und verliert auch sie die erste große Liebe.

Während einer Hypnosesitzung erfährt Ana von ihren früheren Leben und all den anderen Frauen die noch in ihrem Unterbewusstsein lebendig sind.

„Menschen, die kaum sichtbar sind“

Wie eng Medems Filme mit seinem Privatleben verbunden sind, verrät die Widmung am Ende des Films „Caótica Ana“: "Meiner Schwester Ana, die ging, meiner Tochter Ana, die kam".

Die Schwester des Regisseurs war Malerin und einige ihrer Bilder tauchen in dem Film auf. Sie starb einige Jahre zuvor bei einem Autounfall, woraufhin Medem seine gerade geborene Tochter nach ihr benannte.

Auch mit der Behinderung seiner ältere Tocher Alicia, die unter dem Down-Syndrom leidet, setzt sich Medem filmisch auseinander: 2006 dreht er einen Dokumentarfilm über die am Down-Syndrom leidende Künstlerin Judith Scott und 2009 wird er Produzent des Films „Me too, wer will schon normal sein“ dessen Hauptfigur ebenfalls am Down-Syndrom leidet.

Medems Leidenschaften sind Traum und Poesie

Medem erzählt, dass er sehr stolz auf den Film ist, „weil er sehr direkt über unseren einfachen Horizont hinausweist. Denn hinter diesem Horizont leben Menschen, die wir vielleicht nicht verstehen, die kaum sichtbar sind“…

Um diese Menschen sichtbar zu machen, folgen seine Geschichten der widersprüchlichen Logik eines Traums, die jedoch, von einem poetischen Standpunkt aus wahrer sein kann als die Realität.

Medems Filme erforschen nicht nur die Seelen der Menschen, sondern auch die (filmischen) Möglichkeiten, sich durch Kunst dort auszudrücken, wo die Sprache versagt.

Die Autorin

Alexandra Horn ist freie Autorin in Köln. Sie studierte Medienwissenschaften mit dem Schwerpunkt Film und hat bereits für diverse Sender als Cutterin gearbeitet.