Flamenco: Stars und Kultur

Flamenco unterscheidet sich sehr von den uns geläufigen Musikstilen, wenn auch seine Spontaneität und emotionale Tiefe Ähnlichkeiten mit dem Jazz oder dem frühen Blues zeigen.

Auch diese Musikstile waren Ausdruck und Ventil der Niedergeschlagenheit gesellschaftlicher Randgruppen. Es sind insbesondere die Texte und Rhythmen, weshalb der Flamenco eine Sonderstellung einnimmt.

Diese stehen im Gegensatz zur uns gewohnten westlichen Musik, bei der wir dazu neigen, zuerst der Melodie zu folgen und meist dann erst den Rhythmus und die Worte zu beachten.

Der Rhythmus vieler Stilrichtungen des Flamenco unterscheidet sich zudem stark von dem uns gewohnten und wird ohne Einweisung vom einem unkundigen Publikum kaum verstanden.

Jede Darbietung ist einmalig

Die Art und Weise, wie der Sänger oder die Sängerin die gesungenen Texte interpretiert, die Begleitung durch die Gitarre und die Darbietung der Tänzer ergeben sich aus großer Spontaneität und einer großen Neigung zur Improvisation.

So kommt es, dass jede Aufführung einzigartig bleibt. Die nächste Darbietung kann ähnlich sein, aber nie identisch. Und wenn, dann ist dies eine neue Tendenz des modernen Flamencos, der wenig Ähnlichkeit mit der ursprünglichen authentischen Version hat.

Zu Besuch in einem Tablao (Flamenco-Club)

Der Besuch einer Flamenco-Darbietung ist eine tiefe und bewegende Erfahrung. Das Ausmaß des Gefühls und der Leidenschaft guter Flamenco-Künstler ist ein Erlebnis, an das Sie sich lange erinnern werden, auch noch nachdem Ihr Urlaub beendet ist und Sie zu Ihrer normalen Tagesarbeit zurückgekehrt sind.

Mosaik, Ziegeln und Keramik als Begleiter

Viele Flamenco-Clubs sind mit auffallenden Mosaikziegeln ausgekleidet, vergilbte Poster erzählen von längst vergangenen Stierkämpfen, es gibt reich verzierte Schmiedearbeiten, große Weinfässer aus Eiche türmen sich an der Wand …

So oder ähnlich verbleibt die Erinnerung eines jeden, der einer Flamenco-Show in Andalusien beigewohnt hat.

Andalusische Stühle mit ihrer hohen Rückenlehne, von einem hängt ein schwarzer Hut, ein anderer ist drappiert mit einer seidenen mantón de manilla, dem Schultertuch der Tänzerinnen, glasierte Keramiktöpfe in verschiedensten Farben, Kupferwaren hängen an den Holzbalken - im liebevollen Arrangement auch der kleinsten Details unterscheidet sich ein Flamenco-Club vom anderen.

 

Flamenco lebt von seinen Künstlern

Die Rolle der Gitarrenspieler unterscheidet sich sehr von der unserer Vorstellung. Sie müssen nicht nur immer wieder die gleichen fünf, zehn oder zwanzig Lieder begleiten wie mancher Pop- oder Rockgitarrist und vielleicht ein oder zwei Soli spielen.

Ihre Aufgabe ist viel weitreichender. Ihre Leistung ist es, die gesamte Darbietung zu begleiten und zusammenzuhalten – egal, was da kommt.

Hierbei wird die Gitarre teils nur perkussiv gespielt, allerdings oft mit atemberaubender Geschwindigkeit. Sie brauchen ein umfangreiches Wissen aller Gesangs- und Tanzstile, um der Spontaneität der Darbietenden zu folgen, fast so, als wären sie selber Sänger oder Tänzer.

Schauspiel der Flamenco-Sänger

Das Schauspiel der Sänger scheint auch ein fremdes Phänomen. Hände und Arme strecken sich aus, als suchten sie nach den Worten, das Gesicht rot vor Leidenschaft, die Finger, als versuchten sie den Rhytmus zu packen, so verlieren sie sich im tiefsten Irrgarten ihrer Seele.

Auch die Ausdrucksstärke des Flamenco-Tanzes, wenn die Darsteller mit instinktiver Routine ihrer Kraft freien Lauf lassen, stolz, anmutig und würdevoll eine fesselnde Spannung aufbauen und halten, ist eine wunderbare und leidenschaftliche Erfahrung.

Rhythmen, Klatschen und Cajón

Die aufregenden Rhythmen, die das Lied hinterlegen - durch palmas (Klatschen) und oft auch ein cajón (siehe Kasten) sowie die maschinengewehrartige Perkussion der Füße der Tänzer - werden Ihre Ohren betäuben und Sie auch lange dann nicht verlassen, nachdem die Show längst beendet ist.

 

Die Erregung wird weiter gesteigert durch die aufrührerischen jaleos, den Ausrufen von 'Olé' und 'Guapa' an die Tanzenden im Versuch zu helfen, ihr Maximum zu erreichen, den duende zu finden, den unsichtbaren guten Geist, der sie in ihrem Tanz führen wird.

Flamenco ist Tradition

Flamenco ist eine Kultur, die vielerlei Wurzeln hat und einzigartig bleibt. In Andalusien begegneten sich sehr früh Orient und Okzident. Die von den Einwanderern mitgebrachten Musikstile mischten sich mit den einheimischen. So entstand eine neue eigenständige Musikkultur. Die Ausübenden des Flamenco setzen diese Tradition fort, die ihnen von Generation zu Generation überliefert worden ist, von jenen, die nie Künstler waren oder keinerlei Bestrebungen hatten, als solche zu gelten. Jenen Leuten war Flamenco einfach ein Teil ihres alltäglichen Lebens und in den meisten Fällen wurde er nur in der Umgebung ihrer eigenen Häuser ausgeübt. Dass der Flamenco in jüngster Geschichte die Konzertsäle der Welt erobert hat, wird von vielen Puristen kritisch beäugt. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Tradition des Flamenco in unserem digitalen Zeitalter nicht verliert ...

 

Andalusien als Wiege des Flamenco

Einen maßgeblichen Einfluss auf den Flamenco hatten die Zigeuner und viele glauben, Flamenco sei ihre ureigenste Kreation. Wenn diese alleine seine Entwicklung bestimmt hätten, warum pflegen dann Zigeuner in anderen Teilen der Welt nicht eine ähnliche Musikkultur?

Die Antwort ist einfach: die Zigeuner von Andalusien standen unter Einfluss dieses geheimnisvollen Landstriches, den sie vor Hunderten von Jahren als ihre Heimat wählten, und dem seiner Geschichte.

Es war Andalusien, das den Flamenco inspiriert hat, gerade auch mit seiner maurischen Vergangenheit. Die Zigeuner brachten durchaus ihre eigenen Musikstile mit, aber erst in der Gesamtheit von Mensch, Raum und Geschichte formte sich der Flamenco in seiner unglaublichen Vielfalt, die sich für uns nur erahnen lässt; und Zigeuner haben den Flamenco bis heute geschützt und bewahrt.

Dies ist der Grund, warum viele glauben, dass sie seine alleinigen Schöpfer waren. Ohne die Zigeuner wäre der Flamenco wahrscheinlich verloren  gegangen und vergessen worden. 

 

Und wir hätten nie den Urvater des modernen Flamenco zu hören bekommen ...