Irene Cruz im Porträt
Die innere Welt ihres blauen Lichts: Die Madrilenin Irene Cruz gehört aktuell zu den besten Fotografinnen Spaniens. Porträt einer ungewöhnlichen Frau, verfasst von einer Kollegin, die in Syrien ganz andere Motive fotografierte, bis sie nach Deutschland kam.
von Nour Kelze
Sie wirkt ruhig, hat fransiges Haar und große Augen. In einer ihrer Fotosessions geht sie barfüßig durch den Wald und fotografiert. Ihr Charakter schwankt zwischen introvertiert und extrovertiert.
Als Workaholic und Tagträumerin verbringt sie die Hälfte der Zeit in einer Parallelwelt. Sie lässt sich schon mal gehen und wechselt gerne die Perspektive. Leicht zu fassen ist diese Frau nicht.
Irene Cruz (Madrid, 1987) interpretierte im Sommer 2011 Berliner Landschaften, nachdem sie das dunkelblaue Licht in Nordeuropa entdeckt hatte. Sie ist Fotografin, Kinematographin, Videokünstlerin und manchmal auch Lehrerin an Schulen und Universitäten.
Erfolgreich in Berlin und weltweit
Irene Cruz hat ihre Kunst weltweit bereits auf mehr als 350 Messen, Ausstellungen und Festivals gezeigt, und sich dabei erfolgreich in der Kunstszene Berlins etabliert.
Sie fotografiert zu 99% mit natürlichem Licht. Ihre Werke lassen sich als mysteriös, introspektiv und poetisch beschreiben. Ihre Bilder fließen durch Raum und Zeit und bieten Zugang zum Schwellenzustand/Liminalität: „zwischen Tag und Nacht, Ruhe und Unruhe. Ein geeigneter Augenblick der Reflexion.“
Ein besonderes Merkmal ihrer Arbeit ist der Kontrast zwischen der warmen Haut und der kalten Landschaft, die in das blaue Licht eingetaucht ist. Das wirkt nicht wirklich erotisch, sondern eher körperbetont, wobei sie selten Gesichter zeigt.
Stattdessen erlaubt sie anderen Körperteilen, universelle Emotionen und Gefühle zu repräsentieren.
„In meiner Fotoserie drückt der Körper die Atmosphäre aus, und die Landschaft reflektiert subjektive Gefühle. Ich rede über etwas Unoffensichtliches.
Es ist der Ort des Mysteriums, umhüllt vom Anfang der Nacht. Ich appelliere an diejenigen, die es sehen, an ihre Empathie.“ erklärte sie. Durch ihre Fotografien lernte sie, sich selbst zu entdecken.
Sie arbeitet an Themen, die sie bewegen oder steuern: „Sie sind eine interne Reflexion dessen, was ich extern leben muss.“
Hinter und vor der Linse engagiert, beginnt ihr Kurzfilm Die Stille während der Dämmerstunde mit einer Szene von schattenspendenden Bäumen, die eine Bucht umgeben.
Mit einer Feder in der Hand tritt Cruz' in den Rahmen. Sie bahnt sich ihren Weg ins Wasser. Ihre Hände stören die Oberfläche, erzeugen Wellen und plätschernde Geräusche, die den klassischen Bach-Soundtrack kontrastieren.
Es endet, wie es begonnen hat, mit Cruz, die den Rahmen verlässt und wieder hinter die Kamera zurückkehrt.
Im Fokus: Nietzsche und Berlins Tempelhof
Ihre Vorstellungskraft erwacht, und sie findet sich selbst zum Schaffen inspiriert. Sie beobachtet Menschen, schaut sich Filme an, denkt über Dialoge nach und liest Werke der Philosophie und Soziologie. Nietzsche, Simmel, Ritter, Spinoza, Heidelberg und Sennett gehören zu ihren Lieblingsautoren.
Zuerst erscheint ein Bild in ihrem Kopf, dann schreibt sie ihre Ideen auf, diskutiert sie mit anderen oder liest nach. Wenn die Idee gefestigt ist, bereitet sie schließlich die Dreharbeiten vor.
Sie kreiert inzwischen gerne auch kleine Bildbände und erinnert sich, wie ihr Vater sie schon als kleines Kind mit Dias inspirierte, die er nach Reisen an die Wand projizierte.
Zum 6. Geburtstag erhält sie ihre erste Kamera, eine halbautomatische Nikon. Seither ist sie Fotografin:
„Mein ganzes Leben habe ich mich durch die künstlerisch-fotografische Sprache ausgedrückt. Ich denke, dass sie in mir viel stärker verankert ist als meine spanische Sprache.“
Ihre Serientitel (Stimmung, Waldeinsamkeit, Heimat) entsprechen unübersetzbaren deutschen Ausdrucksformen, die sich auf Stimmungen beziehen, die sie durch ihre eigene visuelle Sprache erforscht.
Für ihre Heimatserie hat sie den verlassenen Flughafen Tempelhof als Standort gewählt. Es spiegelt die Veränderungen wider, in denen wir leben, ohne uns bewusst zu sein.
Heimat bezieht sich auf einen inneren Raum, tief im Herzen der Erinnerung, tief in der individuellen „territorialen Wurzellosigkeit, aber emotionalen Wurzeln.“
Ihre Fotos sind ihre Kinder. Das kreative Multitalent setzt seine Mission fort, um das fotografische Medium zu erforschen und eine Spur in der Welt zu hinterlassen.
Vor kurzem hat sie ein (CEART) Stipendium für die Realisierung ihres Projektes erhalten. Sie will Chromatismus und Farbraum (RGB) im Vergleich zur Malerei- Farbmodell (CMYK) erforschen und digitale und analoge Fotografie mit Acryl- und Ölfarbe kombinieren, und dabei immer wieder die Kunstwelt in Frage stellen.
Diese Frau wird uns sicher auch in Zukunft noch überraschen.
Die Autorin
Nour Kelze stammt aus Syrien. Als Englischlehrerin in Aleppo dolmetschte sie für einen Fotografen von Reuters, der ihr schließlich eine Kamera gab.
Ihre Bilder vom Krieg und von den Menschen haben große Medien wie Die Zeit und das ZDF veröffentlicht.
Heute lebt Nour Kelze mit ihrem Mann in Köln.