Cervantes: Porträt eines schreibenden Abenteurers
So bekannt seine Romanfigur, so unbekannt ist den meisten das Leben ihres Schöpfers: Miguel de Cervantes, Autor des berühmten Ritters von der traurigen Gestalt. Dabei war sein eigenes Leben nicht weniger abenteuerlich als das des Don Quijote, den er während eines Kerkeraufenthalts zum Leben erweckte.
von Marcel Schaefer
Aktuell graben Forscher in einem Kloster in Madrid nach Cervantes Gebeinen, die sie anhand von drei Schussverletzungen identifizieren wollen – der schreibende Abenteurer hatte sie im Krieg davongetragen.
Vater des modernen Romans
„Auf der großen Zeituhr steht ein einziges Wort“, schrieb Miguel de Cervantes Saavedra (1547-1616), Spaniens Nationaldichter und Vater des modernen Romans: „Jetzt. Auf der Straße Nachundnach erreicht man das Haus Niemals.“
Ein Motto, das sich in Cervantes´ bewegtem Leben ebenso widerspiegelt wie in seinem kreativen Schaffen.Das Gesamtwerk des Schriftstellers umfasst eine große Zahl an Novellen, Gedichten, Theaterstücken und Romanen.
Trotzdem war er die meiste Zeit seines Lebens arm. Cervantes entstammte einer verarmten Adelsfamilie mit sieben Kindern. Sein Vater war vermutlich Chirurg. Miguel studierte Theologie in Salamanca und Madrid. Sein weiteres Leben liest sich wie ein Abenteuerroman.
1569 floh Cervantes nach einem Duell, bei dem er seinen Kontrahenten verletzte, vor der Justiz nach Rom. Ein königlicher Erlass ordnete seine Ergreifung an – ihm drohten zehn Jahre Haft und der Verlust seiner rechten Hand.
In Rom diente er dem Kardinal Giulio Acquaviva eine Weile als Kammerdiener, quittierte jedoch noch im selben Jahr seinen Dienst und trat einer in Neapel stationierten Einheit der spanischen Marine bei.
In der Schlacht von Lepanto, später als Sklave in Algerien
1571 kämpfte er unter Juan de Austria in der Schlacht von Lepanto gegen die Türken. Drei Kugeln trafen ihn: Zwei in die Brust, eine verkrüppelte seine linke Hand.
Er erhielt den Beinamen el manco de Lapanto – der Einhändige von Lepanto. Nach seinem Romanerfolg mit dem Ritter Don Quijote schrieb Cervantes später humorvoll, er habe „die Fähigkeit, seine linke Hand zu bewegen, zum Ruhme seiner rechten verloren“.
Doch bis dahin sollten noch Jahre vergehen, Jahre, in denen der spätere Autor von Heldengeschichten selbst ritterlichen Mut bewies.1575 befand er sich auf der Heimreise.
Kurz vor der katalanischen Küste überfielen algerische Piraten die Galeere, auf der neben Cervantes auch sein Bruder Rodrigo war. Kurz darauf fanden sich die beiden auf einem nordafrikanischen Sklavenmarkt wieder.
Trotz Ketten und brutaler Strafen versuchte Miguel innerhalb von fünf Jahren viermal aus der Gefangenschaft zu fliehen – wie sein Romanheld scheute er den Kampf gegen Windmühlen nicht.
Die Algerier verlangten eine hohe Auslösesumme, die seine Familie nicht aufbringen konnte, doch mit Hilfe des vermittelnden Trinitarier-Ordens kam er doch noch in seine Heimat zurück: am 19. September 1580.
Für die Opfer, die er im Krieg gebracht hatte, erhielt er keine Entschädigung. Kaum zu Hause, zog sich der hoch verschuldete Cervantes ein frisches Kettenhemd an und kämpfte von 1580 bis 1582 bei den Kriegszügen Spaniens in Portugal und auf den Azoren.
Erfolglose Romane, Hochzeit mit 37
Nach seiner Rückkehr widmete er sich intensiv dem Schreiben, veröffentlichte erste eher erfolglose Romane. Mit 37 heiratete er Catalina de Salazar y Palacios, die Tochter eines vermögenden Bauern, trennte sich aber bald wieder von ihr. Die Ehe blieb kinderlos, doch hatte Cervantes eine Tochter namens Isabel de Saavedra aus einer Affäre mit der Schauspielerin Ana Franca de Rojas.
Cervantes bewarb sich vergeblich für einen Gouverneursposten, arbeitete als Kaufmann und erhielt schließlich eine Beamtenstelle als Versorgungskommissar bei der spanischen Kriegsflotte.
Wegen angeblicher Veruntreuung von Staatsgeldern geriet er 1597 für drei Monate in Schuldhaft. Im Gefängnis begann er mit der Arbeit an seinem bedeutendsten Werk: Der sinnreiche Junker Don Quijote von La Mancha.
Der Roman über den idealistischen Ritter von der traurigen Gestalt und seinen treuen Begleiter Sancho Panza gilt heute als eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur, setzte neue Maßstäbe für die literarische Gattung Roman.
Cervantes-Preis, Cervantes Institut, Cervantes-Statue ...
Der lang ersehnte Erfolg stellte sich endlich ein, das Geld verlor der Schriftsteller allerdings wieder. Verarmt starb er mit 69 Jahren. Es ist anzunehmen, dass er seine Erfolge dennoch gebührend gefeiert hat, schrieb er doch einst: „Wer das Glück nicht genießt, solange er es hat, sollte sich nicht beklagen, wenn es vorbei ist.“
Am 23. April 1616 begrub man ihn unter den Bodenfliesen des Klosters der Unbeschuhten Trinitarierinnen in Madrid, jenes Ordens, der maßgeblich an der Befreiung Cervantes´ aus der Sklaverei mitgewirkt hatte.
Posthum erhielt der Dichter nun endlich die verdiente Anerkennung. Ehren, die er sich zu Lebzeiten wohl nicht hätte träumen lassen: So heißt das Kulturinstitut Instituto Cervantes nach ihm, ebenso der Cervantes-Preis als wichtigster Literaturpreis der spanisch sprechenden Welt.
Theater erhielten seinen Namen und die spanischen 10-, 20- und 50-Cent-Münzen sein Abbild. Beeindruckend ist auch das Cervantes-Denkmal auf der Plaza de España in Madrid:
Die überdimensionale sitzende Skulptur des Cervantes schaut herab auf seine beiden Romanhelden Don Quijotte und Sancho Panza hoch zu Ross und zu Esel (siehe Aufmacherbild).
Das Geheimnis des Dichters
Cervantes Gebeine sind aufgrund von Umbauten in dem Nonnenkloster seit dem 17. Jh verschollen. Nach erneuten Umbauten der Kirche versuchen mehrere spanische Forscher inzwischen, mit Hightech seine Knochen aufzuspüren.
Identifizieren wollen sie die sterblichen Überreste des Dichters anhand der drei Schusswunden und der letzten sechs verbliebenen Zähnen.
Auch ist vermutlich nicht nur die linke Hand verkrüppelt gewesen, sondern der ganze Arm war steif, mit wahrscheinlichen Folgen für das gesamte Skelett.
Dem Projektleiter Fernando Prado zufolge gibt es zwar heute lebende Nachkommen eines Bruders von Cervantes, doch 400 Jahre alte Knochen mittels DNA-Analyse zu identifizieren, sei unwahrscheinlich.
Wie sah Cervantes wirklich aus?
Die Archäologen hoffen, aus den Knochen Informationen über Todesursache und Aussehen des Schriftstellers zu gewinnen.
Cervantes´ Aussehen ist bis heute nicht sicher belegt – es gibt zwar ein Porträt des Malers Juan de Jauregui, das einen Mann mit schmalem Gesicht zeigt, doch zweifeln Forscher daran, dass es sich wirklich um Cervantes handelt.
Auch die Todesursache ist unklar. Litt der Schriftsteller an Wassersucht und an Leberzirrhose, obwohl er kein Trinker gewesen sein soll? Um jeden wahren Helden ranken eben Geheimnisse.
Sicher ist nur eines: Für die literarische Welt wäre er von besonderer Bedeutung, der Fund der Gebeine jenes Schriftstellers Miguel de Cervantes, der sich dem Leben ebenso heroisch stellte wie sein Romanheld Don Quijotte de La Mancha, Ritter von der traurigen Gestalt.
Weiterführender Link
Spaniens Nationalbibliothek bietet Don Quijote-Ausgaben online an.
Der Autor
Seine Vorliebe für interessante Biografien entdeckte der freiberuflich tätige Journalist Marcel Schaefer während seines literaturwissenschaftlichen Studiums an der RWTH-Aachen.
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