
Wie die Bourbonen nach Spanien kamen
Frankreich und Spanien hatten nie ein besonders entspanntes Verhältnis. Nachbarn eben. Umso erstaunlicher, dass Bourbonen seit 1700 trotz einiger Unterbrechungen die Geschicke des spanischen Königshofs leiten. Und das bis heute mit König Felipe auf dem Thron. Unser Autor und Historiker ist der Frage nachgegangen.
von Frank Hardt
Derzeit kommt aus Spanien keine frohe Kunde. Neben der krisengeschüttelten Wirtschaft und der schwierigen Lage in Zeiten von Corona sorgt sogar der Königshof für negative Schlagzeilen. Einst war er das Symbol für Spaniens Weg in die Demokratie.
Doch nach Jahrzehnten auf dem Thron wankte Juan Carlos I. 2014 einem unrühmlichen Ende entgegen und musste die Herrschaft schließlich seinem Sohn Felipe überlassen und hat das Land 2020 sogar verlassen.
Viele Spanier stellen mittlerweile die Monarchie an sich in Frage. Vor einigen Jahren war das undenkbar, Kritik am König schlicht ein Tabu.
Viva el Rey: Juan Carlos
Mit Juan Carlos Alfonso Victor Maria de Borbón y Borbón dos Sicilias kehrte nach dem Tod des faschistischen Diktators Franco 1975 eine alte europäische Dynastie auf den Thron Spaniens zurück.
Seit mittlerweile über 300 Jahren sind die Bourbonen die gekrönten Häupter des erzkatholischen Landes. Und stammen doch aus Frankreich.
Um zu verstehen, wie es zu dieser Einwanderung kommen konnte, ist ein kleiner Besuch im Zeitalter des Barock geboten, bei einem direkten Vorfahren des heutigen Königs.
Blick zurück ins 17. Jahrhundert
Ludwig XIV. von Frankreich (1643-1715) ist schon zu Lebzeiten der alles überstrahlende Stereotyp des barocken Herrschers. Mit Haut und Haar König von Gottes Gnaden, konzentriert er in seiner Person, der Sonne gleich, mehr Pracht, Prunk und Macht als jeder andere Herrscher.
Und beinahe alle anderen Herrscher wollen ein wenig Glanz von Versailles erhaschen, es dem großen Sonnenkönig gleichtun. Es ist der Höhepunkt des Absolutismus in Europa, in dem Staat und Herrscher zu einer Einheit verschmelzen. Nach 57 Jahren an der Macht lässt Ludwigs Strahlkraft jedoch immer mehr nach.
Tagein, tagaus in das Korsett einer unbarmherzigen Hofetikette geschnürt, ist der ebenso fromme wie brutale und ruhmsüchtige Monarch ein 62jähriger, zunehmend kranker Mann. Es ist ausgerechnet eine Todesnachricht, die in Ludwig einen kaum noch für möglich gehaltenen Traum wiederauferstehen lässt.
Spaniens Thron – Eine umstrittene und gefährliche Erbschaft
Madrid, 1. November 1700. In der spanischen Hauptstadt stirbt Karl II. (Carlos II. 1665-1700), letzter Monarch aus dem Haus der spanischen Habsburger, ohne legitimen Erben.
Das setzt bei den Regierungen Europas ein lang bekanntes Problem auf die Tagesordnung. Wer wird Erbe der spanischen Krone? Diese ungelöste Frage beschäftigte alle Beteiligten schon seit geraumer Zeit, denn es war aufgrund genetischer Degeneration absehbar, dass der spanische König ohne Nachkommen bleiben würde.
Zwar zeugte Karl mit einer ganzen Reihe von Mätressen gesunde Kinder, aber jahrhundertelange Inzucht innerhalb der Habsburger ließ legitime Erben entweder im Kindesalter sterben oder sie blieben ganz aus. Somit sah sich der König schon frühzeitig mit dem gefährlichen Politikum seiner Nachfolge konfrontiert.
Spanien hatte zwar ein Jahrhundert des politischen Niedergangs hinter sich, aber es besaß noch immer ein großes Kolonialreich in Lateinamerika mitsamt seinen Warenströmen und reichen Silberminen.
Das macht das Königreich auf der Iberischen Halbinsel zu einer begehrten Erbschaft, auf die ausgerechnet zwei rivalisierende Monarchen Erbansprüche geltend machen.
Die Habsburger beanspruchen den Thron
Für die österreichischen Habsburger beansprucht der römisch-deutsche Kaiser Leopold I. (1658-1705) die Nachfolge. Er war mit einer Schwester Carlos II. vermählt und selbst ein Enkel Philipp III. (Felipe III. 1598-1621).
Er will die Krone für seinen Sohn sichern. Auf der anderen Seite steht Ludwig XIV., der ebenfalls mit einer Schwester Carlos´, Maria Theresia, verheiratet war.
Sein einziger erwachsener Sohn und alle weiteren Nachkommen gingen aus dieser Ehe hervor. Zwar musste die junge Infantin vor der Vermählung auf alle Erbansprüche verzichten, doch diese Klausel war an eine nie bezahlte Mitgift gebunden. Ludwig erklärt die Bestimmung kurzerhand für ungültig und besteht auf das Erbrecht seiner Linie. Karl II. sieht sich in einer Zwickmühle.
Die Ansprüche beider Parteien sind legitim, für beide Parteien bedeutet das Erbe einen großen Machtzuwachs, der das komplizierte politische Gleichgewicht auf dem Kontinent dramatisch verschiebt. Fällt Madrid mitsamt seinen Besitzungen in den spanischen Niederlanden und Italien an die österreichische Verwandtschaft, sieht sich Frankreich noch mehr von Monarchen aus dem Habsburger Haus eingekreist und bedrängt.
Verleibt sich Ludwig jedoch Spanien ein, wird Frankreich zu einem globalen Imperium, in dem die Sonne nie untergeht. Ein Reich vom Elsass bis Gibraltar und von der Hudson Bay zum Río de la Plata, dazu all die sagenhaften Reichtümer der Neuen Welt.
Nach all den Konflikten in Ludwigs langer Regentschaft stellt der größte Traum des Sonnenkönigs für seine Gegner die größte anzunehmende Katastrophe dar. So oder so, ein neuer europäischer Krieg scheint unausweichlich zu sein.
Philipp V. als erster Bourbonenkönig Spaniens
Mit dem Tod des Königs ist nun der Ernstfall eingetreten. Ludwig XIV. sieht seine Stunde gekommen, um Frankreich aus der jahrhundertelangen Umklammerung der Habsburger zu befreien und seine Herrschaft mit der Errichtung eines Weltreichs zu krönen.
Der ewige Ruhm wäre ihm gewiss. In der Handelsrepublik der Vereinigten Niederlande leuchtet derweil die rote Laterne. Seit Ludwigs Feldzug gegen die Niederlande erbitterte Gegner, stehen sie mit Englands König Wilhelm III. (1689-1702) von Oranien (der gleichzeitig Statthalter der Niederlande ist) und Kaiser Leopold in Wien Gewehr bei Fuß.
Alle warten auf die Bekanntgabe des Testaments des Verstorbenen. Der hat, in der Absicht den drohenden Konflikt noch zu verhindern, eine Klausel eingebaut. Die Bourbonen folgen ihm, mit Ludwigs Enkel Philipp von Anjou, auf dem Thron. Aber Spanien und Frankreich dürfen nie vereint und nie von demselben König regiert werden, ansonsten fällt das Erbe an den Sohn Kaiser Leopolds.
Der französische König akzeptiert das Testament und sein Enkel wird schon einen Monat später in Madrid als Philipp V. (Felipe V. 1700-1746) zum König von Spanien gekrönt.
Die Spanier freut es, garantiert doch die neue Dynastie den Fortbestand des Landes und zerstreut Befürchtungen, die europäischen Mächte könnten das Reich unter sich aufteilen. An dieser Stelle hätte die Geschichte ein ruhiges Ende nehmen können.
Ludwig XIV. provoziert den Spanischen Erbfolgekrieg
Es sollte jedoch anders kommen, denn Ludwig XIV. setzte sich in bewusster Provokation über die Klausel des Testaments hinweg und sprach öffentlich von der Einheit Frankreichs und Spaniens.
Von Versailles aus lässt er spanische Regierungsposten mit Franzosen besetzen, postiert französische Truppen zum Schutz Mailands (das zu Spanien gehört) in Italien und besetzt Häfen in den spanischen Niederlanden (dem heutigen Belgien). Mit einem Edikt, das dem neuen König von Spanien auch weiterhin einen Erbanspruch auf den französischen Thron ermöglicht, überspannt Ludwig den Bogen endgültig.
Im September 1701 schließt Kaiser Leopold I. mit England und den Niederlanden ein Bündnis gegen Frankreich. Und Ludwig schüttet noch Öl ins Feuer. Als der katholische, englische Exilkönig Jakob II. (1685-1688) in Frankreich kurz darauf stirbt, proklamiert er dessen Sohn zum neuen König von England.
Eine unerhörte diplomatische Provokation gegen den calvinistischen Wilhelm III., der vom englischen Parlament in der Glorious Revolution 1688 aus den Niederlanden importiert wurde. Eine Eskalation des Konflikts ist jetzt kaum mehr zu vermeiden. Im Mai 1702 erfolgt die offizielle Kriegserklärung der Verbündeten - der Spanische Erbfolgekrieg entflammt.
Es wird ein Krieg in bislang unbekannter Form, geführt auf mehreren Kontinenten und zur See, ein europäischer Konflikt mit globalem Ausmaß. Als er 1714 zu Ende geht, sind über eine Million Soldaten tot. Die politischen Verhältnisse in Europa stehen vor einer großen Umwälzung, kaum ein Staat von Bedeutung, der nicht betroffen ist. Und die Hauptakteure?

Die Kräfte in Europa verschieben sich
Das vormals so mächtige Königreich Frankreich geht finanziell völlig ruiniert vom Schlachtfeld. Ludwig XIV. hat sich in seinem letzten Krieg so verausgabt, dass er zuletzt das Versailler Tafelsilber für den Soldatensold veräußern musste.
Gegen Ende hat wohl auch er erkannt, wie unklug der Griff zu den Waffen war. Als der ersehnte Friede im Vertrag von Rastatt die Kämpfe beendet, sind die Bedingungen für Europas Hegemonialmacht hart.
Der Sonnenkönig muss kurz vor seinem Tod einen großen Teil der amerikanischen Besitzungen an Großbritannien abtreten und seinen großen Traum von der Einheit Spaniens und Frankreichs begraben.
Die Bourbonen werden kein Weltreich beherrschen, das ist der Preis, damit sein Enkel König in Madrid bleiben darf.
Philipp V. (Felipe V.) verliert unterdessen alle spanischen Besitztümer in Italien (Königreich Sizilien und Neapel, sowie Mailand) sowie das wichtige Gibraltar und wird fortan Herrscher einer degradierten Mittelmacht sein, deren große Tage als Kolonialmacht immer mehr im Dunkel der Geschichte verschwinden.
Am Ende halten sich die Bourbonen in Spanien, bis heute.
Doch taucht jetzt ein neuer „Mann der Stunde“ am Horizont der Geschichte auf: das frisch geeinte Inselreich Großbritannien. Es geht als Gewinner vom Platz und baut fortan weiter an einem Weltreich wie es einst Spanien besaß - in dem die Sonne nie untergeht.
Der Autor
Frank A. Hardt, Historiker und Politologe aus Düsseldorf, hat eine Vorliebe für brisante historische Themen. Für dieses Portal hat er bereits über Pedro J. Ramírez geschrieben.