Glosse über Reisebücher: Böse Autoren wie ich
Eine Glosse von Tobias Büscher über sein Reisebuch Galicien & Jakobsweg, erschienen im Verlag DuMont. Verflucht, warum habe ich die nordwestspanische Region so in die Hände wildender deutscher Touristen gelegt?
Mal ganz unter uns: wir Reiseautoren sind doch das Gedöns unter den Autoren, tiefgangfrei, als Minister wären wir Sparte, im Sport nicht mal Trikot-Bügler, in der Küche selbst als Wanddeko zu peinlich.
Und unser Ruf: Umsonst-Übernachter, Gratis-Restauranttester, bestochen und ungeil, zudem Langeweiler mit Geheimtipps, die höchstens dann welche sind, wenn sie es mal waren. Vor der Drucklegung, versteht sich. Wir haben nichts richtiges gelernt, außer in der eigenen Redaktion zu sitzen und bei deutschem Nieselregen das Fernweh für den Jahresurlaub zu manipulieren.
Und das in einem Stil, der nach Erbarmen schreit. Wir schreiben nicht: der Strand hat Sand. Das wäre ja noch fair. Wir schreiben: traumhafter Puderzuckerstrand. Bei uns sind Märkte nicht praktisch sondern quirlig, Buchten nicht oval sondern atemberaubend beschaulich. Hach, ist das schön da!
Zwischen Puderzuckerstrand und Nieselregen
Das entspricht dann ungefähr den Statuten der entsprechenden Verlagshäuser. Zum Träumen bringen, Fantasien anregen, Wohlfühlnuancen einstreuen, kurz: Realitäten schönfärben.
Besonders drastisch wird es, wenn wir nebenbei auch noch fotografieren und dabei punktgenau das selbe tun. Ein Bekannter war mal mit meinem Buch unterwegs und hat die Kirche auf einem der Bilder vor Ort kaum wiedererkannt.
Ich hatte sie so fotografiert, dass man die kalten Wohnblöcke neben dem Gotteshaus nicht sieht. Sonst hätte ich das Bild niemals verkauft, habe ich ihm gesagt.
Schöne, junge, heile Welt
Auch müsse man immer junge, knackige Menschen auf den Fotos haben, ab 25 plus geht nichts mehr, nimmt uns keiner ab. Der hat nur mit dem Kopf geschüttelt und diesen Ausdruck im Gesicht gehabt, den er schon mal hat, wenn ihm jemand wirklich Leid tut.
Eine Text-Bild-Schere, soviel ist sicher, gibt es nicht bei Reisebüchern. Im Gegenteil, beides ergänzt sich nahezu perfekt. Schöne, junge, heile Welt. Dagegen sind die Werbefachleute von Oil of Olaz geradezu Fanatiker radikal klarer Betrachtungsweisen.
Reisen tun wir auch nicht viel. Manche Autoren finden ihre Bücher so gelungen, die überlegen ernsthaft, im nächsten Jahr selbst mal hinzufahren. Sie glauben, ich mache Witze? Aber nein.
Ich bin da nicht viel besser. Eine attraktive Frau mit einem Faible für fremde Länder hat mich einst als Traveler ins Auge gefasst, um später festzustellen: der ist nicht viel unterwegs, höchstens auf dem Fußballplatz. Linksverteidiger. Wenn er nicht ganze Spiele auf SAT 1 guckt!
Aber soll ich Ihnen was sagen? Fußball ist nicht nur kreativer, er ist auch weit weniger zerstörerisch als diese ganze Reiserei und Reiseschreiberei. Kalorien- statt Kerosinverbrauch.
Lohn und Niveau – tiefer gelegt
Reden wir zunächst mal über Geld, pardon: über Honorare, wie wir Autoren das betulich nennen. Wirklich, wir verdienen beim Tippen ein Zehntel eines Aldi-Mitarbeiters an der Kasse, tippen aber garantiert langsamer und mehr Unsinn.
Ich muss das wissen. Mein Verlag hat das Motto: „Man sieht nur, was man weiß“. Aha. Goethe reloaded. Lassen Sie sich den Spruch auf der Zunge zergehen, wie eine Mon-Chéri-Kirsche.
Heißt nämlich: nur wenn Sie unsere (miserabel bezahlten) Autoren lesen, haben Sie das Wissen, um Sehend durch das Urlaubsgebiet zu fahren. Die Wahrheit ist: ich habe immer nur geschrieben, was ich wusste. Man schreibt nur, was man weiß. Und das war nicht allzu viel.
Leserbriefschreibende Oberstudienräte
Das Pikante daran ist allerdings: die Inhalte wussten dann meine Leser und all die Autoren, die so gerne von mir abschreiben. Haben die den Verstand verloren?
Ich habe Sachen geschrieben, das glauben Sie gar nicht. Verdi mit Vivaldi verwechselt, die Entenmuschel für ein Säugetier gehalten und bei Romanik schon mal ein süßes T eingebaut.
Merkt keiner. Außer Oberstudienräte, und die verfassen dann Leserbriefe, die einen gnadenlos an die Wand stellen. Richtig so. Die bekommen noch nicht mal Mitleid, wenn man denen sagt, dass kein Verlag dem Reisebuchautor über 8 Prozent vom Nettoladenpreis bezahlt.
Manche gehen auf fast 5 Prozent runter. Glauben Sie nicht? Aber Hallo. Motto Nummer 2: Man saugt nur aus, wen man kann. Das war jetzt nicht Goethe.
Soll nun aber keine Entschuldigung sein, Herr Oberstudienrat. Sie haben völlig recht: Wer solche Verträge unterschreibt, dem ist ohnehin nicht mehr zu helfen.
Werben statt Werten
Das ist unsere Welt. Und die gilt im Grunde auch für Reisejournalisten von Tageszeitungen. Ja sicher, die verwechseln doch auch ständig Werbung und Wertung: Gedöns sind die genauso wie wir, haben aber zusätzlich auf ihrer internen Karriereleiter die Ellebogen vergessen, und schreiben jetzt über Rimini statt über Politik.
Ich war selbst schon mal dabei: die werden auf arrangierten Reisen durch die Hotelanlagen geschoben und ihre Ansprechpartner sind freundlich lächelnde Hotelmanager.
Einen Kilometer entfernt werden gerade afrikanische Flüchtlinge vom Meer angespült? Egal. Wir machen doch Reise. Und dann geht es an die Arbeit: Aufmacherbild. Dreispalter. Reizend hier. Fertig.
Wer bitte redet da noch von Recherche, von pointierter Sicht, von Sinnlichkeit und Engagement? Egon Erwin Kisch ist tot. Es lebe das Nichts.
Aber immerhin sind die Tageszeitungsjournalisten noch einigermaßen in Brot und Lohn, wir dagegen sollten besser bald mal Ehepartner von Siemensmanagern im Ausland werden, betrogen aber reich, sonst verhungern wir noch.
Auf dem Massentrampelpfad
Nur wenn wir Autoren über den Jakobsweg veröffentlicht haben, und das hab ich, dann sind wir plötzlich wieder wer. In jeder Fernsehsendung werden wir hofiert, beim Deutschlandfunk sind wir im einstündigen Interview mit dem Ressortleiter auf Sendung und sagen einem Millionenpublikum so illustre Sätze wie „der Jakobsweg ist im Grunde eine Reise zu sich selbst“ und „es gibt einen Unterschied zwischen Pilgern und Laufen“.
Ach du meine Güte. Wir dürfen sogar in Intellektuellenkreisen wie beim Karstadt Vorträge halten und dann Fragen beantworten wie: „Herr Büscher, wie haben Sie den Weg spirituell erlebt?“
Die ehrliche Antwort wäre gewesen: gar nicht, ich habe euren Massentrampelpfad überhaupt nicht erlebt. Und auf Partys in Köln bin ich neuerdings der Hit, schlichtweg mystisch, fast schon umgeben von einem Hauch Coelho. So im Stil Frauenstimme: das ist ja spannend, Tobias…
Früher hätte sie sich weggedreht und wäre in die Küche zum Prosecco-Kühlschrank geflüchtet, wenn ich das Wort Jakobsweg nur erwähnt hätte. Die hätte mich stehen lassen.
Heute pochert es, es kerkelt geradezu, ich bin neuerdings wieder umringt von Bewunderern und richtig stolz auf mich. Und besaufe mich auf solchen Partys unter den wohlwollenden Augen der anderen bis zum Anschlag, denn dann brauche ich nicht darüber nachdenken, was ich eigentlich angerichtet habe.
Unsere Texte zerstören Landschaften und Kulturen
Denn das Buch, das ich geschrieben habe, heißt nicht Jakobsweg, sondern Galicien & Jakobsweg. Das fand ich viel ehrenhafter als ein Band über Mallorca. Diese Teutonen, habe ich gedacht, die sollen doch alle auf ihre Insel, ich schreib was spannendes, Neuland, Abenteuer, entlegene Ortschaften noch ohne Stromanschluss nahe der portugiesischen Grenze. Entdeckungstouren.
Galicien, das war es, dieses unentdeckte Gebiet am Ende der Welt. Vor lauter Selbstverwirklichung war mir gar nicht klar: das wird am Ende das Ende für diese Welt. Mallorca oder der Costa Blanca kann man nichts anhaben, diese Reiseziele sind komplett schmerzfrei. Wohl aber einer Gegend, über die es bis dato noch keinen einzigen Reiseführer in deutscher Sprache gab.
Ich war der erste Galicienautor. Ich habe Orte in den inneren Provinzen aufgesucht, deren Bewohner von Franco nicht für den Bürgerkrieg rekrutiert worden sind, weil niemand wusste, dass es die kleinen Weiler überhaupt gab. Die steinalten Männer haben mich neugierig angesehen und mich zur Kohlsuppe eingeladen. Das war idyllisch. So lange, bis mein Buch erschien.
Idyllisch ... bis mein Buch kam
Pionierreisen führen zu grausamen Entwicklungen, das hat man schon bei Kolumbus gesehen: es kamen reihenweise ungebetene Gäste, die es keineswegs nur dabei beließen so zu tun, als wären sie zuhause.
Auf dem Jakobsweg ist es inzwischen voller als in den Bars von El Arenal, aber das ist Hape schuld. Für mein eigenes Buchprojekt war der Camino eher ein Anreiseweg und ein Marketingtrick. Ein reines Galicienbuch hätte zu sehr nach dem polnischen Galizien geklungen, fanden die Verlagsvertreter.
Und so erschien er nun auf dem Titel, der Jakobsweg. Gewandert bin ich auf ihm übrigens wirklich nie. Wozu denn auch. Man kann ja auch so drüber schreiben. Und selbst mal irgendwann da langlaufen? Ich bitte Sie.
Schlange stehen vor der romanischen Brücke? Im Stechschritt zur nächsten Herberge, damit man noch unter den ersten 40 ist und einen Platz bekommt? In dem Fall das ganze Schnarchen und Ausdünsten wie in der Jugendherberge ertragen? Nervtötende Gesinnungsläufer, die an einem dran bleiben, so sehr man auch den Schritt beschleunigt? Den Teufel werd ich tun!
"Hier wimmelt es von Deutschen"
Wo ich allerdings war, sehr ausführlich sogar, das war in Galicien. Schlimm ist, was ich mit der nordwestspanischen Region gemacht habe.
Ich habe über Wildpferde geschrieben, über einen Kinderstaat, den ein Jesuitenpater ins Leben gerufen hat mit zotteligen Straßenbengeln, war mit Fischern auf ihren Booten an der gefährlichen Küste unterwegs.
Habe eine Hexe im Schatten der Jakobskathedrale interviewt über Glaube und Aberglaube, keltische Elemente und Intuition und das Gespräch wortwörtlich ins Buch gebracht.
Habe die wildromantischen Steilküsten fotografiert, die kleinen versteckten Inselchen, die schönen, lebhaften Dorfeste (ohne Müll), die Strände der Rías Bajas und damit den ganzen gierig-neugierigen Pulk angelockt. Ja, was glauben Sie denn?
Ein spanischer Journalist notierte vor kurzem in der Voz de Galicia: an der Todesküste wimmelt es so von Deutschen, dass man die Restschäden der Ölpest nicht mehr erkennt. Wunderbar auf den Punkt gebracht hat er das.
Die sind im Wohnmobil unterwegs, mit Hund und Zelt, gucken in den Sonnenuntergang und werden jedes Jahr mehr. Sind Sie auch aus Deutschland?
Horden, wo Wildpferde einst friedlich grasten
Erst kam mein Buch, dann die Animation. Denn danach kamen dann all die anderen Nordspanienbücher. Horden tauchen nun dort auf, wo Wildpferde einst friedlich grasten.
Die stämmigen, kleinwüchsigen Tiere ziehen sich längst erschrocken in die verbliebenen Wälder zurück. An den abgeschiedenen Naturparks parken Autos mit Mannheimer Kennzeichen.
Die keltische Hexe wird von esoterischen Protestanten heimgesucht, die Winzer mit ihrem selbstgemachten Tresterschnäpsen sind heute Opfer von Schnäppchenjägern, die Inselchen quellen teutonisch über und die Buchten der Rías Bajas stöhnen unter der Last eines massiven Individualtourismus.
Individualtourismus ist Massentourismus
Individualtourismus. Auch so ein suboptimales Substantiv. Bei genauem Hinsehen ist Individualtourismus Massentourismus und Geheimtipps sind Bekannttipps .
Wer eine Auflage von 15 000 Stück über ein Urlaubsgebiet bringt und dabei allen Ernstes von Geheimtipps spricht, sollte in den Bundestag gehen und den Abgeordneten Aufbaukurse darin geben, wie man richtig schamlos lügt.
Doch wer ein Reisebuch in hoher Auflage über ein noch weitgehend unbekanntes Gebiet veröffentlicht, gehört hinter Gittern.
Fremdenverkehr vergewaltigt!
Reisebuchautoren können nichts? Oh doch. Sie können Landschaften beschädigen, gereifte Kulturen verwüsten, lokale Bräuche mit Fremdenverkehr vergewaltigen. Nachhaltig.
Sie können den Menschen ihre Lieblingsorte nehmen, weil dort jetzt Parkplätze gebaut sind. Sie wirken verheerend. Fast wie TUI. Und das ist um Längen dramatischer als ein paar alberne Adjektive im Manuskript.
Oft habe ich mich damit getröstet, dass die Hostal-Besitzerin Maria in Santiago nur deshalb über die Runden kam, weil ihre Unterkunft bei mir im Buch stand und deshalb ständig Pärchen aus Alemania bei ihr wohnten.
Doch die Blicke früherer galicischer Freunde sollten Sie mal sehen, die mir deutlich machen, dass ich meinesgleichen über ihre Heimat habe herfallen lassen: über ihre Bars, über ihre Häfen, über ihre Märkte. Über ihr Leben.
Hätte ich doch bloß Tischler gelernt
Hätte ich doch nur über Mallorca geschrieben damals, Galicien wäre wohl noch über Jahre verschont geblieben. Oder besser noch: hätte ich doch etwas anständiges gelernt. Tischler oder so.
Dann wäre ich heute kein Gedöns, sondern ein Mann in den besten Jahren mit aufrechtem Gang. Entschuldigung Galicia. Ich kann es nicht mehr rückgängig machen, es ist zu spät.
Aber wenigstens kauft nun kein spanien-reisemagazin-Leser mehr mein Buch. Und das, glauben Sie mir, das ist auch verdammt gut so.
PS: ich bin dann mal kicken.