Interview mit Antoni Tàpies
Antoni Tàpies (1923-2012) gilt als der wichtigste katalanische Maler und Grafiker der "Informellen Kunst". Unter seinen über 10.000 Werken finden sich aber auch Porträts im Stile Picassos sowie abstrakte und surrealistische Werke.
Torsten Eßer sprach mit Antoni Tàpies kurz vor dessen Tod über Buddhismus, Katalanismus und Graffiti.
Als der BBC einen Film über Sie drehte, sagten Sie, dass Ihre Werke sowohl das Negative als auch das Positive der heutigen Gesellschaft widerspiegeln. Den Katalanen wiederum sagt man nach, seny (geschäftstüchtig) und rauxa (leidenschaftlich) zu sein. Gibt es da Verbindungen?
Ja und nein (lacht). Bezogen auf Katalonien reflektieren meine Werke häufig den traditionellen demokratischen Geist. Denn hier wurde schließlich die erste demokratische Verfassung Europas schriftlich fixiert, noch vor den Engländern, auch wenn diese schon verbindliche Regeln mündlich aufgestellt hatten. Eine veränderte – im Fall der Franco-Diktatur zum Beispiel negative - politische Situation zu erleben, heißt allerdings nicht, dass man dadurch seinen Malstil ändert. Das spielt sich eher unbewusst ab und führt dazu, dass meine Kunst nicht einfach zu "lesen" ist. Man braucht dafür eine gewisse Vorinformation.
Aber in vielen Ihrer Werke ist das Katalanische sehr offensichtlich.
Ja, mit voller Absicht. Die vier roten Balken zum Beispiel spielen auf die Entstehungslegende unserer Fahne an, wonach der fränkische König seine Finger auf die Wunde des verletzten katalanischen Grafen gelegt haben soll, um dann auf dessen Wappenschild die vier roten Streifen zu malen. Aber oft ist der Katalanismus auch symbolisch enthalten. Bei mir kommt alles von innen heraus, auch die religiösen und mystischen Motive.
Sind Sie religiös?
Nicht im Sinne der offiziellen Religionen, ich bin eher Agnostiker, ein Zweifler, nicht nur bei religiösen Themen. Ich zweifle an allem. Sind Sie zum Beispiel gerade hier? Bin ich Tàpies?
Im erwähnten Film sprechen Sie viel über Buddhismus.
Als ich die Katastrophe wahrnahm, die uns die vielgelobte westliche Zivilisation gebracht hat, fiel mir auf, dass es eine Kultur ist, die uns immer wieder in den Krieg führt, mit Tod und Zerstörung über viele Jahrhunderte hinweg. Und so begann ich, andere Kulturen und ihre Religionen zu studieren, vor allem des Fernen Ostens, denn aus ästhetischer Sicht korrespondieren sowohl die Philosophien Chinas als auch Japans gut mit meiner Kunst.
In den 60ern haben die Sänger der Nova Cançó sehr zum katalanischen Stolz beigetragen. Gab es entsprechendes in der Malerei?
Schon, allerdings arbeiteten wir mit versteckten Motiven, die die Polizei nicht erkennen konnte. Wir wurden scharf beobachtet. Einmal kam ich auf die Hauptwache und verbrachte einige Tage in Haft. Das passierte, als die Studenten der Universität Barcelona 1966 eine demokratische Gewerkschaft gründen wollten. Das war unter Franco natürlich nicht tolerierbar, und so verhafteten sie etwa 500 Studenten, Intellektuelle und Künstler – u.a. mich -, die am Gründungsakt teilgenommen hatten, der in einem Kapuzinerkloster stattfand. Aber da ich im Ausland schon bekannt war, haben sie mich bald gehen lassen, um keinen Skandal zu provozieren.
Nach solchen Erfahrungen hat Sie der Tod Francos sicher gefreut?
Das hat jeder auf seine Art gefeiert. Aber mit seinem Tod war der Franquismus ja nicht zu Ende. Die extremen Rechten haben mehrfach versucht, zurück an die Macht zu kommen.
Zurück zur Kunst. Sie haben einmal gesagt, der Bürgerkrieg habe großen Einfluss auf Ihre Kunst gehabt.
Ja. Es gab immer wieder Zeiten, ich denen ich Formeln gefunden habe, die die Entwicklung Kataloniens gut erklären. Dabei stützte ich mich auf konkrete Ereignisse wie zum Beispiel die vom Krieg zerstörten Mauern. In der zweiten Hälfte der 50er Jahre entwickelte ich eine dem heutigen Graffiti ähnliche Malerei. Denn solche hatte ich während des Bürgerkriegs zu hunderten gesehen, selbst auf Autos. Jede Partei, jede Gewerkschaft oder Organisation verbreitete so ihre Parolen. Das hat mich schon sehr beeindruckt und beeinflusst.
Ihre Werke sind oft versehen mit dunklen Farben und Kreuzen, das erinnert an den Tod.
Darum muss man, wie schon erwähnt, eine gewisse Vorbildung, ein Vorwissen haben, über den menschlichen Charakter und warum es Symbole gibt, die uns negativ oder positiv berühren. Darum habe ich mich nicht nur mit der Vision des Buddhismus beschäftigt, sondern auch mit dem Taoismus, der sich sehr intensiv mit der menschlichen Natur auseinandersetzt. Wesentlich tiefer als die westlichen Religionen. Die asiatischen Religionen sind eher Weisheiten. Und ich habe große Anstrengungen unternommen, diese Weisheiten zu verstehen.
Warum haben Sie 1984 die Fundació Antoni Tàpies gegründet?
Um mein Werk zu präsentieren und neue Künstler zu fördern. Dabei ist der Kunstbegriff sehr weit gesteckt. Aber darum kümmere nicht mehr ich mich, sondern die Angestellten der Stiftung.
Neben Ihnen haben Salvador Dalí, Joan Miró und Antoni Gaudí internationalen Rum erlangt. Was halten sie von ihnen?
Mit Miró war ich gut befreundet, obwohl er viel älter war. Hier an diesem Tisch hat er mich gefragt, ob ich nicht Gründungsmitglied seiner Stiftung werden wolle, was ich dann auch wurde. Ich kann ihn teilweise auch als künstlerisches Vorbild bezeichnen. Aber noch wichtiger für mich war Picasso. Die beiden sind für mich und mein Werk die wichtigsten Maler. Natürlich existieren auch andere Einflüsse auf meine Bilder, von den Höhlen von Altamira bis zur romanischen Kunst Kataloniens oder den Dadaisten.
Salvador Dalí habe ich auch kennen gelernt. Er hatte Sympathien für mich und hat in einer amerikanischen Kunstzeitschrift – "ArtNews" glaube ich - einen positiven Artikel über meine Bilder geschrieben. Das konnte ich nicht erwidern. Mir gefiel weder seine Malerei noch er als Person. Als Maler hat er die akademischen Systeme der Malerei weiter ausgebeutet, die figurative Malerei oder den akademischen Realismus. Außerdem hat er viele katholische Symbole benutzt. Er gehört nicht in meine Welt der Kunst. Aus theoretischer Sicht sind die Surrealisten zwar sehr wichtig, ihr Werk aber weniger, denn die meisten folgten Dalís Art zu malen. Es gibt wenige bedeutende Surrealisten in der Malerei, eher Literaten. Und Dalí hat Franco und seine Familie porträtiert, das ist unverzeihbar.Gaudís Bauwerke haben auf mich einen gewissen Eindruck gemacht, aber er war sehr katholisch. Was nicht heißt, dass es keine guten Katholiken gibt, was ja schon daran zu sehen ist, dass wir bei der erwähnten Studentenversammlung in einem Kapuzinerkloster festgenommen wurden. Und auch das Kloster Montserrat hat während der Diktatur immer sehr auf Seite der Katalanen gestanden.
Weiterführende Links
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