Alleskönner, Querschläger, Ikone
El Greco: Spaniens Maler im Porträt
El Greco ist zwar längst nicht so berühmt wie Goya, Picasso oder Dalí. Dennoch bezeichnet die Fachwelt ihn als einen der besten Maler Spaniens. Aus gutem Grund.
von Claudia Kühnen
Lange Gesichter, pathetische Szenen, gesättigte, düstere Farben und harsche Kontraste. "Das Begräbnis des Grafen von Orgaz" (Bild rechts) veranschaulicht den Stil und die Wirkung seines Erschaffers El Greco besonders gut.
Das 3,60 x 4,80m große Werk sorgte seinerzeit für Besucheranstürme, danach führte es in der Kapelle Santo Tomé jedoch jahrhundertelang ein Schattendasein. Und so wie sein Werk wurde auch El Greco selbst nur noch wenig geschätzt, bis ihn die Im- und Expressionisten des 19. Jahrhunderts wiederentdeckten.
Moderne Kunst spaltet die Betrachter zu jeder Zeit in Kenner und Laien. Die einen reden von Müll, die anderen zahlen Millionenbeträge. Der Kunstmarkt ist schon immer so lukrativ wie umstritten.
Dass die Werke El Grecos monumentale Werke der Kunstgeschichte sind, steht heute außer Zweifel. Entsprechend hängen die Bilder mit den langen, fast fratzenhaften Gesichtern und krassen Farben in den Museen dieser Welt, inklusive den beachtlichen Greco-Museen in Fodele auf Kreta und im spanischen Toledo.
Große Kunst, krasse Notizen
Zu Lebzeiten El Grecos, eigentlich Domḗnikos Theotokópoulos (1541-1614), fiel das Urteil weniger deutlich aus. Mit seiner Abkehr vom Naturalismus und Hinkehr zu einem ganz eigenen, auch eigenartigen Stil wurde der Grieche nicht nur zum Vorreiter des Barocks, er wurde eine Stilikone. Doch die Anerkennung fiel zu Lebzeiten dürftig aus, auch die Bezahlung. El Greco verdiente längst nicht so viel wie der Hofmaler Goya oder der Surrealist Dalí. Als er starb, war er hoch verschuldet.
Heute ist der spanische Grieche nur schwer zu fassen. Redselig und arrogant soll er gewesen sein, was sich aber nur aus Anmerkungen rekonstruieren lässt, die er in seine Bücher kritzelte: Michelangelo wisse nicht, wie man malt. Wörtlich: "Der stellt irgendwas her, das Fleisch imitiert." Der Italiener, so Greco, male ohnehin nur vom Hörensagen.
Als Architekt und Bildhauer hingegen bewunderte er Michelangelo sehr – und mindestens ebenso respektierte er Tizian, Tintoretto, Correggio und Parmigianino. Vielleicht war er doch kein solcher Grießgram, sondern einfach nur ein Kenner.
Vorreiter des Barock
Das Streben nach Anerkennung war ihm so wichtig wie vielen Menschen: 1541 auf Kreta geboren und geschult, verschlug es ihn zuerst nach Venedig, dann nach Rom, und dann um 1576 nach Toledo.
Er bekam einen Sohn, doch seine Lebensgefährtin starb früh. All diese Schritte prägten sein vielfältiges künstlerisches Schaffen. Er war Maler, Bildhauer, Architekt und Kunsttheoretiker – ein Todoterreno nicht nur in Bezug auf die Formen seiner Kunst, sondern auch im Stil.
Die Formensicherheit und Technik hatte er schnell inne. Und eigentlich hätte das genug sein können. Denn vor allem in den Kirchen, an ihren Wänden und Altären, gab es genug zu tun.
Aber sein Stil entwickelte sich weiter, er suchte nach einem neuem Ausdruck spiritueller Empfindungen. Er brachte neue Bildthemen und neue Ikonographie in die Kunst, erarbeitete in seinen Werken neue Sichtweisen auf traditionelle Motive.
Reuige Heilige waren das sozusagen: "Die büßende Maria Magdalena", "Der reuige Heilige Petrus", die als isolierte Halbfiguren in den Fokus des Bildes gestellt werden. "Franz von Assisi", die Augen demütig gen Himmel gerichtet, mit einem Totenkopf statt Wundmalen.
Auch seine Portraits, die er für etliche Promis aus der Stadt Toledo anfertigte, zeigten bald die für El Greco so charakteristischen langen Gesichtszüge, gesättigte, gedeckte Farben in scharfem Kontrast zur großen Leuchtkraft anderer.
Licht und Schatten avancierten vom Element der natürlichen Welt zu etwas Symbolischen, was mit seiner Abkehr vom Naturalismus Hand in Hand ging. Immer wieder brach er dabei mit gängigen Konventionen. Sein Portrait von Giulio Clovio zeigte den Maler „im Querformat“, im Fenster hinter ihm ein aufbrausender Sturm.
Eine ganz neue, eigene Bildsprache entstand und kulminierte in gestalterischer Form in einem Individualstil, der ihn nicht nur zu einem Vorreiter des Barock, sondern auch zu einer Ikone des Manierismus-Stils machte.
Stilbruch auf höchstem Niveau
Manierismus (vom ital. maniera, „Art und Weise“, ca. 1520-1600) als Epochen- und Stilname beschreibt weniger El Grecos Stil an sich, sondern eher das bewusste Ausbrechen aus der stilistischen Form, der Schablone – der bewusste Bruch mit gängigen Konventionen hin zu einer Eigenart des individuellen Künstlers, einer eigenen „Manier“.
Der Bruch mit den „klassischen“ Regeln der Zeit war in Grecos Fall der Bruch mit dem Renaissance-Verständnis von Proportionen und Perspektiven. Das kommt selbst heute nicht gut an, im 16. Jahrhundert aber noch weniger. War das jetzt Kunst oder schon Entartung? Ob hier ein fast gottgleiches Genie am Werk war oder ein künstlerischer Dilettant, das fragten sich die Menschen schon damals im 16. Jahrhundert. Greco stand genauso in der Kritik wie die „Manier“ des Michelangelo oder auch das Spätwerk von Raffael.
Verwunderlich ist das nicht. Denn der Manierismus entstand in einer Zeit extremer politischer, religiöser, und wirtschaftlicher Umbrüche und Konflikte: die Reformation 1517 und die anschließenden Konfessionskriege erschütterten die Welt.
Die Entdeckung Amerikas 1492 durch Kolumbus veränderte das Weltbild. Selbst Rom, die religiöse Hauptstadt der damaligen Zeit, wurde 1527 geplündert, der Papst gefangengenommen. Der Manierismus entwickelte sich infolgedessen als europäische Kunstbewegung.
In der Krise wird die Kunst internationaler.
So wie die Bevölkerung befinden sich die Werke dabei im Umbruch, in Unruhe – statt einfache, kalkulierte Formen und Kompositionen wie in der Renaissance werden die Bilder nun komplex, geziert, dramatisch und fast wimmelnd vor Leben und Chaos. Eleganz und Anmut werden bei Greco zum neuen Ideal des Körperlichen, erkennbar an den überlangen schlanken Gliedmaßen, verzerrten Gesichtern, teils aber auch Muskelpakete wie Michelangelos Frauendarstellungen.
Die Körper posieren dramatisch, in teils kuriosen Haltungen und Verdrehungen. Bei vielen von El Grecos großen Vorbildern ist dies schon zu finden, so bei Tintoretto und Parmigianino. Perspektive? Egal. Natürliches Farbschema? Egal. Regeln über ordentliche, übersichtliche Kompositionen und Anordnungen? Weg damit.
Realistisch ist Ordnung ja sowieso nicht, kann also weg.
Sein größter Fan: Picasso
Jegliche Abweichung von Normen erfährt sowohl Bewunderung als auch Widerwillen, das liegt in der Natur der Sache. Dementsprechend fiel El Grecos Rezeption schon zu Lebzeiten sehr unterschiedlich aus.
Als einer der bedeutendsten religiösen Porträtisten seiner Zeit musste er dennoch immer wieder um Anerkennung kämpfen: Wegen Kritik an seinem Werk "Christus wird seiner Kleider beraubt" zahlte die Kathedrale von Toledo ihm nur ¼ des Preises, was zu jahrelangem Streit führte.
Nachdem er später auch den Rahmen gestaltete, bekam er schließlich fast die Hälfte der ursprünglich geforderten 900 Dukaten. Seine "Anbetung des Namen Jesu" im Jahr 1580, mit dem er in Madrid beim König Gefallen suchte, widersprach mit seiner Abkehr vom Naturalismus dem Stil der Zeit. Hierfür wurde er zwar bezahlt, die erhofften königliche Aufträge gab es jedoch nicht. Nach seinem Tod 1614 geriet er lange in Vergessenheit, seine sterblichen Überreste gingen beim Abriss der Kirche sogar verloren.
Sein Werk wirkt dennoch bis heute. Schon Picasso, bekanntlich ja auch ein großer Maler, bewunderte El Greco sehr und bezeichnete sich zeitweise selbst so.
„Picasso ahmt den Kopftypus und die Stilisierung von El Grecos Heiligenbildern nach,“ sagen Kunstkenner gerne.
Und falls Sie die Gelegenheit bekommen, ein Werk von El Greco selbst live zu sehen, achten Sie auf das Datum des Bildes: Vor allem die ersten Bilder stehen unter Einfluss Michelangelos.
Die Autorin
Claudia Kühnen kommt aus Krefeld und hat einen Faible für Kunst, Literatur und Fotografie. Sie lebt in Aachen umringt von ihren geliebten Pflanzen und Büchern.
Buchtipps
Die folgenden Greco-Bücher sind Tipps unserer Autorin. Sie sind auf Englisch erschienen und teils aktuell erhältlich. Per Klick auf die Button geht es direkt zu den Titeln.
Fernando Marias, Kunsthistoriker und Professor aus Madrid: El Greco: Life and Work – A New History (2013). Das Buch des berühmtesten Greco-Kenners gibt es mit etwas Glück bei amazon und im Antiquiariat ab 92 €.
Anke von Heyl, Kölner Autorin: El Greco: Artist Monography (2019)“. Das Schnäppchen unter den Greco-Büchern kostet nur 16.53 €.
Rebecca J. Long, Mitarbeiterin am Museum of Art in Indianapolis: El Greco: Ambition and Defiance (2020). Die gebundene Ausgabe (32 €) ist sehr gut illustriert.
Anne Gregersen, Kunsthistorikerin aus Kopenhagen: El Greco: Cut and Paste (2023) ist das aktuellste unter den Büchern. Die gebundene Ausgabe gibt es für 44 €.