Interview mit Lluís Llach

Lluís Llach (*1948) ist der bekannteste Vertreter der Nova Cançó. Diese Sänger traten mit ihrer Kunst in den 1960er Jahren gegen die graue Franco-Kultur an. 1985 gab Llach vor über 100.000 Zuhörern ein legendäres Konzert im Stadion des FC Barcelona.

Torsten Eßer im Gespräch mit Lluís Llach in Cadaqués.

Ist Katalonien heute so, wie Sie sich das 1968 vorgestellt haben?

In Zeiten des Franquismus hatten wir viel Zeit für Träume, die sich zunächst kaum verwirklichen ließen. Wir dachten, dass nach dem Tode Francos eine stabile Demokratie kommt und dass Kataloniens nationale Rechte weitgehend anerkannt werden. Insofern hatten wir recht. Das einzige Problem ist: wir haben viel, viel mehr erträumt, denn Träume haben keine Grenzen. Einer Theorie zufolge leben wir die Träume unserer Großeltern, und unsere Enkel werden unsere Träume leben. Also müssen wir sehr viel Kühnes und Gutes träumen, damit unsere Enkel es gut haben.

In Ihren Konzerten sang das Publikum die zensierten Texte ...

Ja, ich habe oft nur Klavier gespielt. Die Zensoren dachten, wenn sie meine Texte verböten, zerstörten sie meine Arbeit. Aber da Faschisten meist auch zutiefst dumm sind, erreichten sie nur das Gegenteil: sie machten aus mir - vor allem aber aus diesen Liedern wie „L’estaca“ - einen Mythos und ein Symbol für den Widerstand. Fast jeder konnte sie mitsingen.

Wie haben Sie auf Francos Tod reagiert?

Ich befand mich im Exil in Paris und habe mich riesig gefreut. Wir haben uns betrunken, was bei mir schnell geht, denn ich vertrage nur sehr wenig Alkohol. Ich dachte an alle die Menschen, die gefoltert oder ermordet worden waren oder auf andere Art gelitten hatten. Das war nun vorbei!

Sie kehrten Anfang 1976 zurück nach Barcelona und haben direkt drei Konzerte gegeben ...

Diese drei Konzerte am 15.-17. Januar im „Palau d’Esports“ waren die angespanntesten und spannendsten meines Lebens: Die Repression war noch nicht vorbei, trotzdem schmuggelte das Publikum katalanische Symbole in die Halle. Frauen trugen anstatt BHs zusammengefaltete Flaggen. Und obwohl die Kontrolleure vermeldeten, dass keine Flagge durchgekommen sei, sah man eine Banderole von 30 Metern Länge im Saal. Die Leute schrieen llibertat, immer noch bedroht, aber nicht mehr so wie vor dem Tod Francos. Es war unglaublich.

Haben Sie in den 80ern auch unpolitische Lieder gesungen?

Man findet schon auf meinen ersten Platten sehr persönliche Liebes- oder Heimatlieder. In den 70ern wollten die Leute anklagende Lieder hören, in den 80ern waren sie es satt, nach soviel Kampf und Franquismus. Da haben sie sich aus meinem Repertoire die Lieder rausgesucht, die nicht so politisch waren, und entdeckt, dass es auch schöne Melodien gab und gute Arrangements. Das hat mich als Künstler gerettet, denn sie begannen auch meine Musik zu mögen und nicht nur mein politisches Engagement.

Warum haben Sie 1989 einen Hungerstreik in der Generalitat veranstaltet?

Wir sind ein so komplexbeladenes Volk und uns erscheint alles so gefährlich, dass katalanische Texte im katalanischen Radio immer noch die absolute Ausnahme waren. Und darum haben Raimon, Maria del Mar Bonet, ich und andere uns in der Kulturabteilung der Generalitat eingeschlossen und aus Protest einen Hungerstreik veranstaltet. Wir als kleine Kultur können deren Verbreitung nicht dem Markt überlassen. Selbst als meine Platten Topseller waren, blieb der Gesamtverkauf doch lächerlich gering. Und die Politiker hatten Angst, eine Quote von 20 % katalanischer Titel festzulegen. Aber wir hatten damals keinen Erfolg und wurden einfach hinausgeworfen.

Sie und viele ihrer Kollegen haben Texte katalanischer Dichter vertont. Ist das eine politische Geste oder eignen sie sich einfach so gut? In Deutschland kommt das seltener vor.

Vielleicht haben die deutschen Liedermacher mehr Talent als wir (lacht). Nein, es gibt einen speziellen Grund: Anerkennung! Unser Land hat dunkle Zeiten erlebt, ohne jeden nationalen Bezugspunkt und ohne eigene Medien. Da waren die Dichter die einzigen kleinen Lichter im Dunkeln. Sie entzündeten Kerzen in ihren Fenstern und schrieben ihre Verse, als wir noch nicht wussten, wer wir waren und wohin die Reise ging. Und sie schrieben Texte, die, nur weil sie auf Katalanisch verfasst waren, uns eine Identität verliehen. „Ein Volk, das seine Dichter nicht liebt, hat keine Zukunft“, hat mal jemand gesagt. Und darum ist es mehr als gerechtfertigt, dass wir unsere Identität sehr stark auf diesem kulturellen Faktor aufbauen.

Erreicht die Lyrik der Nova Cançó in 100 Jahren den gleichen Status wie heute die Lyrik der Renaixença?

Nein, wir sind nur passable Texter. Ich kenne genug gute Dichtung, um sagen zu können, dass ich kein Dichter bin, ebenso wie ich kein richtiger Sänger bin, obwohl ich das seit über 30 Jahren mache. Und auch nur ein Musiker-Anwärter, obwohl ich Klavier spiele. Aber ein Liedermacher ist eben kein Dichter, kein Sänger, kein Musiker. Er kocht diese drei Elemente zu etwas Neuem zusammen.