Spaniens Dörfer im Dornröschenschlaf
Weil die Jugend in die Städte abwandert und die Dorfbevölkerung ausstirbt, stehen in Spanien über 3000 Dörfer leer, oft inmitten idyllischer Landschaften. Ihren Reiz entdecken inzwischen Künstler, Großstädter und Reiche sogar aus Deutschland.
Von Ann Kristin Kesy
Laut spanischem Statistikamt gibt es bereits über 3000 verlassene Dörfer. Tendenz steigend. Diese Entwicklung ist nicht neu. Im 19. Jh. und in den 1960er Jahren waren Landflucht und Emigration die Gründe. Wer im Hinterland von Andalusien ohne Arbeit war, suchte ein neues Leben in Madrid, Barcelona oder sogar Buenos Aires. Nach Francos Tod 1975 zeigte zudem die bessere Bildungspolitik schnell Erfolge. Bald waren unter 10 Prozent der Bevölkerung Analphabeten und die Zahl der Studenten vervierfachte sich. Die Folge: Kulturangebote in den Metropolen waren längst viel gefragter als die Zucht von Merino-Schafen. Während in den 50er Jahren nur jeder dritte Spanier in der Stadt lebte, waren es 2011 bereits über 77 %.
Dörfer zu Freilichtmuseen – mit Hilfe der EU
Heute stehen vor allem in Nordspanien ganze Ortschaften frei zum Verkauf. Mehr als die Hälfte der Interessenten sind Privatleute aus Deutschland, Großbritannien, Russland und Mexiko. Angelockt durch günstige Preise und idyllische Landschaften kaufen sie ganze Dörfer auf. Zwischen 45.000 und 1.500.000 Euro kostet hier der Traum vom eigenen Stück Land. Natürlich inklusive Herrenhaus und Dorfkapelle.
Der Zustand der Gebäude variiert. Neben verfallenen Ruinen stehen Häuser mit 100 Jahre altem Inventar. Mithilfe von EU-Fördergeldern sollen hier Freilichtmuseen und Urlaubsunterkünfte entstehen. Auch zahlreiche Unternehmen beteiligen sich am Geschäft. Das Ziel: Die touristische Erschließung des Landesinneren. Wilde Gebirgslandschaften, einsame Täler, Flüsse und romantische Seen bieten dabei vielfältige Möglichkeiten für jeden Urlauber.
Projekt der Uni von Santiago zur Zukunft der Pueblos
Ob Schafzucht oder Künstlerkommune, neue Heimat oder Ferienort: Die verlassenen Dörfer bieten viel Platz für Neues und Freiraum für Ideen. Eine davon ist das Projekt der Universität Santiago de Compostela mit dem Titel „Von verlassenen Dörfern zu Dörfern des 21. Jahrhunderts“. So sollen zukünftig über 1300 leerstehende Ortschaften in Galicien mittels eigener Energiegewinnung und autarker Lebensmittelproduktion neu belebt werden. Makler rechnen bei anhaltendem Interesse bereits mit einer Verdreifachung der Preise. Die umliegenden Regionen erhoffen sich in erster Linie eine touristische Aufwertung. Das Land gewinnt mit den allmählich zum Leben erwachenden Dörfern aber vor allem eins: Neue Perspektiven in einer perspektivlosen Zeit. So ist der Ausverkauf der spanischen Dörfer ein Lichtblick in Spaniens andauernder Krise. Adiós Dornröschenschlaf! Das ist dem Land wirklich zu wünschen ...
Die AutorinAnn Kristin Kesy studierte Ethnologie, Spanisch und Jura. In ihrer Freizeit geht sie gerne in Theater, Museen und Ausstellungen.