Baukunst: Castro trifft Kulturstadt

2021 ist sie wieder im Fokus, trotz Corona. Die Kathedrale von Santiago. Sie ist das Symbol des Heiligen Jahres, wenn der 25. Juli wieder auf einen Sonntag fällt. Sie ist ein Meisterwerk der nordwestspanischen Baukunst. Und sonst? Die umliegenden Klöster gehören zu den besten des Landes. Und das modernste Bauwerk der Stadt ist der Grundform eines Keltendorfes nachempfunden. Das ist kein Zufall.

von Tobias Büscher

Zwei Baumeister haben Galiciens Hauptstadt Santiago de Compostela maßgeblich geprägt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Meister Mateo und Antonio Maroño Cal.

Der erste war wahrscheinlich Franzose und verdiente sich seine Goldstücke mit dem Bau des spektakulären Figurenportals Pórtico de la Gloria der Kathedrale. Das war im Jahr 1188.

Der zweite kam 1965 in A Coruña zur Welt und ist heute Präsident der galicischen Architektenkammer. International berühmt ist er seit 1999, damals war er bereits Bauleiter der Anlage Cidade da Cultura außerhalb des Zentrums von Santiago.

Die Kulturstadt sollte sogar das Museum Guggenheim in Bilbao (Architekt Frank Gehry), das Centro Niemeyer des gleichnamigen brasilianischen Arrchitekten in Avilés und die „Stadt der Künste und der Wisssenschaft“ in Valencia (Architekt Santiago Calatrava) in den Schatten stellen.

Der Grundriss der galicischen Kulturstadt in Form einer Keltensiedlung ist genial. Und das Granit als Baumaterial wertvoll, welches Antonio im Auftrag von US-Stararchitekt Peter Eisenman liefern ließ.

Doch die gewaltige Anlage hat anders als das hochmittelalterliche Tor von Mateo niemand vollendet. Aus Geldmangel wegen der Immobilienkrise, als von Corona noch niemand sprach.

Bis dato hat das Projekt schon weit über 300 Millionen Euro verschlungen. Und heute finden dort nur ein paar Ausstellungen und Konzerte statt. Das, sagen galicische Journalisten, sei keine Baukunst, sondern Pfusch am Bau.

Keltensiedlungen und römischer Leuchtturm

Nicht nur die Cidade da Cultura lehnt sich architektonisch an die Bauten der Kelten an, sondern auch so manches Wohnhaus und sogar das Rathaus von Lalín, in dem alles inklusive der Aufzüge rund ist.

Die Keltendörfer (castros) entstanden vor der Römerzeit an vielen Orten in Galicien. Erhalten sind die kleinen steinernen kreisrunden Grundmauern besonders auf dem Berg Santa Tegra nahe der portugiesischen Grenze.

Rätselhaft an den Dörfern: Sie verfügten über keinen zentralen Dorfplatz, dafür deuten Funde daraufhin, dass manche der Siedlungen sogar eine Sauna hatten.

Die gute Lage hat aus manchen Castros schließlich moderne Anlagen werden lassen, sogar ganze Städte. Santiago gehört allerdings nicht dazu. Dort lebten keine Kelten. 

Auch die Römer haben in Santiago kaum Spuren hinterlassen, dagegen entstand in Lugo die bis heute funktionierende Stadtmauer, in Ourense viele Thermen und in der Hafenstadt A Coruña ein bis heute noch funktionierender Leuchtturm, der Torre de Hércules.

Religiöse Bauten: Klöster und Cruceiros

Nichts keltisches, kaum römisches, aber für viele die schönste Kathedrale der Welt. Das hat Santiago. Dieses Bauwerk hat viele Bischofstädten Nordwestspaniens geprägt, vor allem die Eingänge der Kathedrale von Ourense.

Dutzende Klöster liegen in und um Santiago. Allerdings sind die meisten Monasterien inzwischen zu Hotels umgebaut, stehen wegen dem Alter der Nonnen und Mönche bald leer oder verfallen schon.

Ein Kuriosum übrigens ist das Oca-Kloster: Es liegt nahe A Guarda direkt am Meer. Normalerweise haben die Benediktiner und Franziskaner einsame Gegenden im Inland bevorzugt. Wo genug Platz für den Weinanbau war.

Eine Besonderheit der Region sind die Wegkreuze aus Granit, die Cruceiros. Rund 700 gibt es in Galicien, und der von Méride 50 km vor Santiago stammt sogar aus dem 13. Jh.

Besonders wertvoll ist der in Hío, doch leider weiß keiner, wer ihn erschaffen hat. Er zeigt die Kreuzabnahme samt Leiter mit Sprossen. Eine Leiter mit Sprossen aus einem Granitstein herausmeißeln, das kann nur ein echter Profi.

Zivilbauten: Casas Rurales und Pazos

In Santiago gibt es anders als in A Coruña und Vigo wegen der geschützten Altstadt keine Wolkenkratzer. Dafür aber preisgekrönte Bauten wie das Kulturzentrum CGAC des portugiesischen Architekten Álvaro Siza und die Musikfachhochschule.

In der Landwirtschaft beliebt sind die Maisspeicher, die Hórreos. Die länglichen Granitbauten auf Stelzen haben etwa die Größe eines Sarges. Ihr Dach ziert oft ein Kreuz und eine pyramidenförmige Fica: Das Fruchtbarkeitszeichen der Kelten.

Und viele von denen stehen auch in den Landhäusern, Casas Rurales, die heute oft als Unterkünfte fungieren. Der Adel und die reichen Rückkehrer aus Lateinamerika wiederum bauten sich elegante Wohnanlagen, sogenannte Pazos.

Einer von ihnen machte unlängst Schlagzeilen: Der Pazo de Meirás, über Jahrzehnte im Besitz des Diktators Franco und seiner Nachkommen, soll laut Gerichtsurteil bald unter der Kontrolle der galicischen Regierung stehen.

Wichtig ist das auch für die Wissenschaftler, denn in der burgartigen Villa sind Tausende Bücher, die einst der hier lebenden Schriftstellerin Emilia Pardo Bazán gehörten.

Brücken

Galicien hat wegen der vielen Flüsse und Bahnlinien ziemlich viele Brücken, von der steinalten Eisenbahnbrücke Puente de Burgo in Pontevedra (Ursprung: 1165) bis hin zum hochmodernen Viaducto del Ulla (2015) über dem gleichnamigen Fluss, damals ausgezeichnet mit dem Preis San Telmo für den besten Zivilbau des Jahres.

Besonders befahren ist die Schrägseilhängebrücke von Vigo (1,6 km), so stabil gebaut, dass sie den täglich darüber herdonnernden Autobahnverkehr aushält.

Und noch einmal ein Brückenschlag zurück zur Kathedrale. Die besuchte einst auch Kubas Staatschef Fidel Castro. Sein Name ist auch kein Zufall. Die Vorfahren des Revolutionärs stammen aus Galicien und gehörten damals zu den vielen, die aus Hunger ihre Heimat in Richtung Lateinamerika verließen.

Einige machten dort ein Vermögen, kamen dann auber aus Heimweh (Morriña) wieder zurück in ihre Heimat.

PS: Über das galicische Heimweh hat der Comiczeichner Miguelanxo Prado ein super Buch verfasst: Ardalén

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