La Gomera, Insel der Kanaren

Die Kanareninsel La Gomera ist für Individualtouristen fernab vom Pauschalurlaub genau das richtige. Wandern macht hier genauso viel Spaß wie die lokale Küche.

von Petra Sparrer

Wenn sich die Fähre aus Teneriffa nähert, flimmern die Häuser der Inselhauptstadt San Sebastián am Fuß der Berge weiß. Steil und etwas abweisend ragt die schroffe Felsküste La Gomeras aus dem dunkelblauen Meer auf. Das rotbraune Felsgestein lässt kein Grün erkennen und meist hängen dichte Passatwolken über den Gipfeln. La Gomera liegt nur rund 350 km vor Afrika und bietet an der trockenen Südküste fast ganzjährig Badewetter. Zum Wandern und Mountainbiking in den Höhenlagen ist es wiederum selbst im Hochsommer nicht zu heiß. Serpentinenstraßen, eine traumhafte Vulkanlandschaft vor der Weite des Meers oder auch Teneriffas Teide, dicht umnebelter Zauberwald: der überraschend häufige Szenen- und Kleidungswechsel gehört auf dieser Insel dazu.

Die Hauptstadt San Sebastián schmiegt sich gemütlich zwischen die Berge. Von dem hoch gelegenen Parador, der vielleicht luxuriösesten Unterkunft der Insel, überblickt man sie. Sie bietet kleine Läden, Galerien und ein Kolumbus-Museum, Tauchschulen und Segelkurse, doch hier dominiert noch immer das einheimische Inselleben. Den Rest der Insel prägt eine zerklüftete Bergwelt. Über ihre Barrancos – die tiefen Schluchten hinweg – verständigten sich die Einheimischen einst mit der Pfeifsprache El Silbo. Ihre Pfiffe waren über sechs km weit zu hören und sie konnten alle Buchstaben des Alphabets in Pfeiftöne umsetzen und sich so in ihren lokalen Dialekten unterhalten. Die Pflege dieses kulturellen Erbes ist auf der Insel Ehrensache.

Die Regierung erklärte El Silbo zum Schulpflichtfach und so pfeifen sogar die Kinder deutscher Aussteiger und Einwanderer  ihren Eltern und Besuchern etwas vor. Rund 200 Ausländer, vorwiegend Deutsche, sind auf der Insel offiziell gemeldet. Sie leben hier als Vermieter, Wanderführer, Heilpraktiker oder Ärzte, keltern Wein oder bieten Massage und esoterische Kurse für Sonnen- und Sinnsucher an.

Inselszene, Klatsch und Tourismus-Light

Darunter sind allseits bekannte Lokalmatadore, wie „El Fotógrafo“: Thomas Müller, der vor über zwei Jahrzehnten mit selbst gemachten Inselpostkarten einen Laden eröffnete, ist heute mehrfacher Hotelbesitzer und hat mit seinem Castillo del Mar im abgelegenen Vallehermoso in das Kulturleben auf der Insel investiert, wenn auch mit geringem Erfolg. Oder Klaus Heinrich, ein einstiger Kapitän aus Norddeutschland. Er blieb nach einem Segeltörn auf La Gomera hängen und führt seit vielen Jahren den Club del Mar in Vueltas, ist aber vor allem durch seinen „Vallebooten“ bei der gesamten Urlaubergemeinde bekannt, einer humorvollen deutschsprachigen Inselzeitung.

Playa de Santiago wiederum ist ganz in der Hand des norwegischen Reeders Fred Ohlsen, der auf Gomera das Hotel Tecina errichtete, den Golftourismus einführte und den Inselklatsch durch immer wieder neue Hotels und Projekte ankurbelt. Pauschaltourismus und Tourismus überhaupt halten sich auf Gomera trotzdem in Grenzen. Man kann zwar in deutsch geführten Boutiquen shoppen, die sich weitaus sparsamer verteilen als auf Teneriffa, und relaxt zu Abend essen, denn die Karte ist auch auf Deutsch. Doch das Nachtleben ist nicht wirklich aufregend. Die meiste Infrastruktur sowie ein paar Diskos und vereinzelte Szenecafés und Kneipen gibt es im Valle Gran Rey.

Das Tal des Großen Königs ist nach Hupalupa benannt, dem letzten Herrscher aus der Zeit vor den Spaniern, der sich dem spanischen Eroberer Hernán Peraza  im 15. Jahrhundert tapfer widersetzte. Vor der Ära des Tourismus lebten die Menschen hier vom Terrassenfeldbau und im 20. Jh. wanderten viele Einheimische als Gastarbeiter nach Lateinamerika aus. Und in jüngster Zeit stranden hier ab und an Flüchtlingsboote aus dem nahen Afrika. In den kleinen Gassen von La Calera oder im Künstlerdorf El Guro finden Individualisten und Wanderer Unterkünfte in oft billig an Zuwanderer verkauften und phantasievoll restaurierten altkanarischen Häusern.

Unten am Strand von La Playa stimmen täglich ein paar Hippies mit ihren Trommeln zum Sonnenuntergang  auf den Abend ein. Schnell sind dann auch die Tische und Stühle vor Marías einfacher Bar und Pension besetzt. Sie bekochte seit den 1960ern Rucksackreisende -  preiswert und mütterlich. Einer ihrer Söhne hilft ihr dabei, ein anderer arbeitet auf der Tina, einem Ausflugsboot für Touristen. Strand und Bar sind Szenetreffpunkt und da sonst nicht viel passiert, ist dies eine kleine Attraktion.

Lorbeerwald und Magie der Natur

Szene und Nightlive ist woanders. Doch wer einmal hier war, kommen zumeist wieder, denn die große Attraktion von La Gomera ist ihre unerwartet vielfältige, bezaubernde Natur. Der feuchte Atem des Nordost-Passats begünstigt neben dem ganzjährig mildem Klima eine reiche Vegetation: 65 Pflanzenarten gibt es ausschließlich auf La Gomera, die meisten von ihnen zählen zu den wasserspeichernden Sukkulenten, die auf kargen trockenen Böden gut zurechtkommen.

Bis zu 600 m unterhalb der Passatwolken wachsen Agaven, Opuntien, Wolfsmilchgewächse und Sukkulenten. Ein Teil der über 165 000 Palmen, die sich in den tiefen Falten der Schluchten verstecken,  liefern den erfrischenden Saft („guarapo“), aus dem die Gomeros, insbesondere in der Gegend von Vallehermoso, süßen Palmhonig herstellen.

Wer ihre Zahl verifizieren will, kann sich bei den einheimischen Behörden erkundigen, denn jede einzelne Palme, von der Palmhonig geerntet wird, ist registriert. Immerhin dauert es ja auch etwa fünf Jahre, bis sich der kostbare Saft regeneriert. In höheren Lagen prägt häufig gespenstischer Nebel den immergrünen Lorbeerwald (Laurisilva), der märchenhaft und – je nach Wetter – durchaus auch etwas gruselig wirkt. Hier wachsen vier verschiedene Silberlorbeerarten, bizarr und filigran mit Moosen und Bartflechten behangen, sowie Farne und knorrige Zedernwacholder.

Fayal-Brezal, eine Mischvegetation aus Gagelbaum und baumhohen Erikagewächsen, ist ab 1000 m Höhe anzutreffen. Sie vertragen die kühleren Temperaturen in diesen Höhen. Gomeras Nationalpark Garajonay (3984 ha) blieb dank seiner isolierten Lage und warmer Meeresströmungen als prähistorisches Relikt Jahrmillionen alter mediterraner Küstenwälder selbst nach der Eiszeit erhalten. Er ist seit 1986 Weltnaturdenkmal der Unesco. Vergleichbare Vegetation gibt es außer auf den kanarischen Inseln auf den Azoren und auf Madeira. Der Garajonay (1487 m) ist der höchste Berg der mit nur 378 km2 zweitkleinsten kanarischen Insel. Sein Name ist einer Legende entlehnt, in der sich Gara, eine Prinzessin aus La Gomera, in den Bauernsohn Jonay aus Teneriffa verliebt.

Wie zu erwarten, endete eine solche Liebesgeschichte dramatisch: Die beiden wählten den Freitod durch eine Lanze aus Lorbeerbaumholz. Der Roque Agando bei San Sebastián und der Roque Cano bei Vallehermoso zeugen markant von der vulkanischen Entstehung La Gomeras vor über 20 Millionen Jahren. Diese nadel- und kegelförmigen Felsen sind die erkalteten Schlotfüllungen bereits seit langer Zeit fortgewaschener und erodierter Vulkankrater.

Tipps für Wanderer und Entdecker

Mit Mitteln der EU ausgebaute Straßen führen durch das Nationalparkgebiet zu dem imposanten Tafelberg La Fortaleza, der früheren „Festung der Guanchen“ und zu den Bergdörfern Chipude, Las Hayas und El Cercado, wo das Töpferhandwerk für die Touristen fortgeführt wird und  Wanderer wie Einheimische gern in einer Bar einkehren, die ebenfalls einer Maria gehört. An den serpentinenreichen Straßen, die den feuchtkälteren Norden und den meist wolkenlosen Süden miteinander verbinden, kann man von vielen Aussichtspunkten das Panorama genießen.

Doch ein Großteil der über 40 Barrancos, wilden Schluchten und Canyons, lassen sich nur in Tageswanderungen erkunden. Geführt oder ungeführt kann jeder die Insel nach seinem Geschmack erkunden, Begegnungen mit der Landbevölkerung oder der ein oder anderen Ziege inbegriffen. Steinmännchen und teilweise auch eine konsequente Beschilderung markieren die Wege. Genügend Wasser und gute Wanderschuhe sind auch bei kürzeren Ausflügen Gold wert, denn die Höhenunterschiede sind oft atemberaubend und in so mancher Schlucht geht es über Geröll und Steine.

Doch es gibt auch Wegstrecken entlang scharfer Kanten über dem Ozean, bei denen man besser schwindelfrei sein sollte. Giftige Schlangen leben auf der Insel nicht. Am ehesten verstecken sich flinke Eidechsen und Geckos vor den Wanderern. Im Jahr 1999 gelang es Wissenschaftlern in einem abgelegenen Tal im Inselwesten (Quiebracanillas), sechs Exemplare der Rieseneidechsenart Gallotia gomerana einzufangen, die bereits als ausgestorben galt. Sie wird jetzt in einer Eidechsen-Aufzuchtstation im Valle Gran Rey oberhalb der Playa del Inglès gezüchtet, erforscht und ausgewildert.

Schwebendes Dorf vor spektakulärer Wand

In dem malerischen, über dem Meer schwebenden Dorf Agulo startet eine als ebenso spektakulär wie gefährlich geltende Wandertour über die „Rote Wand“ zum Besucherzentrum des Nationalparks in Juego de Bolas und zurück über den Barranco de las Rosas. Am Berg Ungeübte sollten hier einen Wanderführer engagieren.  Von Vallehermoso aus führt eine schöne Wanderungen von der Landseite zu der an eine Orgel erinnernde Felsformation Los Organos, die man bei ruhiger See auch bei Bootsausflügen vom Meer aus fotografieren kann.

Ein Hexentanzplatz im Zentrum und der grüne Norden

Alternativen für kürzere Wanderausflüge findet man an der im Zentrum der Insel gelegenen Waldlichtung Laguna Grande. Der einstige große Kratersee ist ein beliebter Picknick- und Grillplatz. Hier starten beschilderte Wanderwege, z.B. zum Gipfel des Garajonay (6,2 km) oder in das Töpferdorf El Cercado (3,8 km). Von der magischen Lichtung führt auch ein 20minütiger Naturlehrpfad durch den Lorbeerwald. Nachts sollen bei Laguna Grande früher Hexen ihr Unwesen getrieben haben. Bis in die 1990er-Jahre ersetzten gute Hexen in vielen Bergdörfern auf La Gomera ärztliche Hilfe. Asthma z.B. behandelten sie mit gekochtem Borretsch, aber auch bei seelischen Problemen halfen sie mit Rat und Magie.

Über Generationen schworen die Inselbewohner auf das Wissen der Hexen  über Heilpflanzen und heilende Handlungen. So kennt noch jeder Gomero etwas höheren Alters den Namen der berühmten Doña Clothilde aus Chipude.

Dem Bach El Cedro und den Passatwolken verdankt das grüne Tal von Hermigua im Inselnorden seine Fruchtbarkeit. Bis heute prägen Bananenplantagen das nach Vallehermoso und dem Valle Gran Rey einst größte Bananenanbaugebiet La Gomeras. Die kanarische Banane wird nur noch für den Inselbedarf gezüchtet. Die Ausfuhr lohnt sich nicht mehr und immer mehr Anbauflächen weichen. Hermigua lebt dank der günstigen Lage in Fußnähe zum Nationalpark recht und schlecht vom Tourismus.

An die Blütezeit des Bananenexports bis Anfang des 20. Jahrhunderts erinnert das Meerwasserschwimmbecken aus Beton in den Trümmern der alten Mole. Es bietet Badenden Schutz gegen die Kraft der Wellen auf dieser Inselseite.

Auch kleine, geschützte Badebuchten gibt es an der ganzen Küste viele, allerdings erreicht man einige nur mühsam über lange, sich hinab windende Serpentinenstraßen. Überfüllt sind sie nur selten, da die Insel für einen reinen Badeurlaub ohnehin viel zu schön ist.

Praktische Infos zu La Gomera

Anreise: Von Teneriffas Flughafen-Süd Reina Sofia geht es mit dem Bus oder Taxi (ca. 15 Min.) bis zum Hafen von Los Cristianos. Fähre (Schnellboot von Fred Ohlsen oder Armas 45 Minuten) nach San Sebastián (Fahrpläne : www.fredolsen.es). Der Flughafen von La Gomera ist dem inländischen Flugverkehr vorbehalten (Flüge z.B. von Teneriffa-Nord und Gran Canaria).

Unterwegs auf La Gomera:

Busse: Es gibt täglich Linienbusse (guaguas) zwischen San Sebastián und allen Orten der Insel. Hauptbusstation (Estatión de Guaguas) befindet sich in San Sebastián, in der Avenida del Quinto Centenario.

Wandern und Radfahren:

Man kann die Insel an einem Tag umrunden, weniger hektisch sind mehrtägige Ausflüge. Geführte Wanderungen oder Mountainbiketouren (Bike Station, La Puntilla, www.bike-station-gomera.com) kann man im Valle Gran Rey leicht vor Ort buchen.