Lebensart in den Pyrenäen
Die Pyrenäen sind eine Welt für sich, bunt zusammengewürfelt und dennoch einheitlich. Wie die Menschen dort leben, was sie sprechen und wie sie feiern:
von Tobias Büscher
Vor allem am Atlantik und am Mittelmeer blicken die Bewohner der Pyrenäen auf eine lange Kulturgeschichte zurück. Basken und Katalanen beiderseits der Grenze gründeten schon früh Hafenstädte mit der bis heute höchsten Bevölkerungsdichte. In den Zentralpyrenäen, vor allem im Hochgebirge, lebten die Menschen von der Holzwirtschaft und der Rinderzucht. In einigen höher gelegenen Orten wohnen inzwischen nur noch eine Hand voll Menschen. Das spanische Aragón leidet wie kein anderes Gebiet der Pyrenäen unter der Landflucht. Ganze Dörfer sind inzwischen ausgestorben, doch es gibt erfolgreiche Initiativen, die aus den leer stehenden Häusern Sommerwohnsitze und Herbergen für den Tourismus gemacht haben. Aussteiger nennt man hier ›robinson crusoes‹.
Llívia, eine Art Gibraltar der Pyrenäen
In den schroffen Gebirgstälern entwickelten sich im Mittelalter ganz eigene Gesetzmäßigkeiten und Sprachakzente, die sogar die zahlreichen Kriege überstanden. Überhaupt erlebten die Pyrenäen-Bewohner selten friedliche Zeiten, dafür aber häufig willkürliche Grenzziehungen. Ein Beispiel hierfür ist der kleine Ort Llívia.
Im Pyrenäen-Frieden von 1659 einigten sich Frankreich und Spanien auf die Teilung der Cerdanye. Alle Dörfer sollten an Frankreich fallen. Dann stellte man aber kurz darauf urkundlich fest, dass Llívia einen Stadtstatus hatte.
Llívia ist heute der einzige spanische Ort auf französischer Seite – mit spanischer Polizei, siesta und farmacia. In größerem Stil als mit diesem ›kleinen Gibraltar‹ verfuhr man mit Andorra. Die Bischöfe von Urgell und die Grafen von Foix teilten sich jahrhundertelang die Hoheitsrechte über die Bergtäler, die problemlos auch ohne sie hätten auskommen können.
Am östlichen Gebirgsrand sah es für die Katalanen nicht besser aus. Mal war Perpignan mit Palma de Mallorca Teil des Königreichs Mallorca, dann wiederum gehörte Perpignan zu Frankreich und Palma nur noch zu Mallorca.
Renitente Katalanen, rätselhafte Basken
Heute trägt der katalanische Nationalismus unter den rund 300 000 Bewohnern des Roussillon eher kulturelle Züge, die 5 Mio. Bewohner auf spanischer Seite sind radikaler. Im Jahr 2013 fordert der Regierungschef Artur Mas sogar die Unabhängigkeit von Spanien.
Unbezwingbar in Norden Spaniens
Hatten sich die Katalanen an die zahlreichen Invasionen gewöhnt, fiel den Basken jede Art der politischen Anpassung besonders schwer. Weder Römer, Kelten noch Mauren konnten sie besiegen, und so kam es gerade auf spanischer Seite immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen, wenn es um die jahrhundertealte baskische Eigenständigkeit ging. Der Ursprung der Basken liegt im Dunkeln. Selbst Blutuntersuchungen, wonach in vielen baskischen Adern die Gruppe 0 negativ fließt, halfen nicht weiter. Auf eine uralte Kultur lassen die Bräuche schließen, die archaischer nicht sein könnten. Ob Steineheben (harrijasoketa) oder das Schleifen von kiloschweren Gewichten (idi probak), Muskelkraft ist gefragt.
Tyrannei und Freiheit der Basken
Im Mittelalter lebten die Basken in dem eigenen, Pyrenäen übergreifenden Reich Navarra, das noch bis ins 18. Jh. Sonderrechte genoss. Nach der Französischen Revolution wurden diese Sonderrechte aufgehoben, die baskische Kultur abgelehnt und auf spanischer Seite im 20. Jh. unter dem Diktator Franco dann gänzlich verboten.
Als Reaktion bildete sich die baskische Separatistenorganisation ETA, die auf französischer Seite nicht nur Sympathisanten, sondern auch immer wieder Unterschlupf fand. Im Zuge der Demokratisierung Spaniens (Transición) erhielt das Baskenland ein umfangreiches Autonomiestatut mit eigener Polizei, Selbstverwaltung und Kulturetat. Seit 1982 ermöglichte auch die Regierung in Paris eine Dezentralisierung, die der baskischen Region etwas mehr Autonomie zugesteht.
Sprachen und Dialekte
Im Baskenland wird auf französischer wie auf spanischer Seite die baskische Sprache gefördert und an den Schulen und Universitäten gelehrt. Allerdings als eine Art Sprachkonsens, denn ein einheitliches Baskisch gab es nie. Sprachwissenschaftler zerbrechen sich bis heute den Kopf über die Wurzeln des Baskischen und wissen nur mit Sicherheit, dass euskera älter ist als indo-europäische Sprachen. Und auch schwieriger: Der Teufel soll sieben Jahre lang vergeblich versucht haben, euskera zu erlernen.
Als es ihm nicht gelang, so die Legende, stürzte er sich in Bidarray bei Cambo-les-Bains von der Brücke in den Nive. Seither heißt die dortige Brücke Höllenbrücke. In jedem Tal sprach und spricht man Baskisch etwas anders, zumindest aber mit sehr begrenztem rein baskischen Sprachschatz. Moderne Wörter erhalten eine baskische Endung. Spanische und französische Basken können sich darüber hinaus auf Baskisch kaum verständigen. Der kulturelle Zusammenhalt hat darunter jedoch nie gelitten.
Català, eine romanische Sprache
Wie die Basken legen auch die Katalanen Wert auf ihr eigenes Idiom. Català ist als romanische Sprache nicht rätselhaft, ihre Beliebtheit von Perpig-nan bis Girona groß.
Zwar ist català weder im Roussillon noch in Catalunya erste Amtssprache, doch tröstet man sich damit, dass zumindest Andorra das Katalanische als einzige offizielle Regierungssprache angenommen hat – und bei internationalen Treffen auch anwendet.Im spanischen Aragón wiederum spricht man Kastilisch.
In manchen abgelegenen Tälern haben sich jedoch eigene Varianten entwickelt, wie etwa die fabla in den Tälern westlich von Jaca, der sich sogar noch manch traditionsbewusster Leitartikler in den Zeitungen bedient.In der zentralen Bergwelt von Südfrankreich lebt noch die okzitanische Sprache, die im Hochmittelalter von den Troubadouren gesungen wurde, nach den Albigenserkriegen aber deutlich an Einfluss verlor.
Seit 1970 wird occitan wieder als Wahlfach angeboten, trotz Artikel II der Konstitution: »La langue de la Républic est le français«.
Religion und Feste der Pyrenäen
Religiöse VielfaltDie meisten Bewohner der Pyrenäen, insbesondere auf spanischer Seite und in Andorra, sind katholisch. Patronatsfeste sind in den Bergdörfern ein buntes Spektakel, und Wallfahrten gibt es nicht nur entlang des Jakobswegs: Beliebt ist auch die katalanische Schutzheilige Núria, deren Heiligtum nahe Ripoll man mit einer kleinen Bahn erreicht.
Besonders in Navarra hat darüber hinaus die ultrakonservative Laienorganisation Opus Dei viel Gewicht – und in Pamplona sogar eine eigene Universität. In Südfrankreich wiederum hat sich im Ariège und im Béarn eine kleine protestantische Minderheit gehalten, die seit den Religionskriegen dort in Frieden lebt.
Feuerfeste und Folklore
Die Pyrenäenbewohner feiern vom ersten bis zum letzten Tag im Jahr, von der Neujahrsversammlung am Cap de Creus bei Cadaqués um 7 Uhr früh bis zu den Feuerwerksspektakeln am 31. Dezember um Mitternacht. Berühmt sind die Karfreitagsprozessionen in Perpignan, das Stiertreiben in Pamplona in der zweiten Juli-Woche und das Filmfestival in San Sebastián im September, dicht gefolgt von weiteren originellen Fiestas: Während Ende Juli in Bompas bei Perpignan Schnecken um die Wette kriechen, geht es in der Stadt Pau bei der Formel 3000 erheblich schneller zur Sache, wenn Rennwagen im Mai mitten durch den Stadtkern rasen.
Ob Mittelalterfeste in Oloron-Sainte-Marie, Foix oder Ainsa, kulinarische Veranstaltungen wie das Thunfischfest in Saint-Jean-de Luz oder das Musikfestival in Prades zu Ehren des Violoncellisten Pablo Casals, für jeden Geschmack ist etwas dabei. Romantischer Höhepunkt ist sicher das Johannisfeuer in den französischen und katalanischen Orten rund um den Berg Canigou.
Weiterführende Links
Wie die Pyrenäen entstanden: mehr
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Spaniens Sprachen: mehr