El Escorial - ein Wunder an Größenwahn

Der Escorial westlich von Madrid gilt als Achtes Weltwunder, ist arrogant groß wie der Erbauer Felipe überheblich war  - und begeistert Architekturfans in aller Welt.

von Tobias Büscher

Man hat ihn das „Achte Weltwunder“, ein „Bollwerk des Glaubens“ und das „seltsam­ste und denkwürdigste Bauwerk der europä­ischen Geschichte“ genannt. Wahrscheinlich hat der Escorial von allem ein bisschen.

Sicher ist, dass Felipe II sich und dem spanischen Imperium des 16. Jh. ein gigantisches Denkmal gesetzt hat.

Die Ausmaße dieses Gebäudes, das gleichzeitig Kirche, Mausoleum, königliche Sommerre­sidenz, Bibliothek, Palast und Museum vereint, sind unglaublich:

die längste Fassade misst 204 m, insgesamt werden 86 Treppen, 1200 Türen, 2600 Fenster und 16 Innenhöfe gezählt.

500 Mio Golddukaten für den Bau

Der Gigantismus des Bauwerks westlich von Madrid spiegelt sich auch in den Kosten wider: über 5 Mio. Golddukaten verschlang der Bau.

Die Summe wird anschau­licher, wenn man sie mit den Jahresgehäl­tern der verantwortlichen Stararchitekten ih­rer Zeit, Juan Bautista de Toledo und Juan de Herrera, vergleicht:

Sie bekamen ganze 100 Golddukaten für ihr Schaffen. Unnötiges Geld allerdings wollte der gewissenhafte Felipe II. nicht „verschwenden“.

Er selbst führte die Bauaufsicht. Erschienen ihm die Kosten­voranschläge seiner Baumeister zu hoch, schmetterte er sie mit einem ener­gischen „mienta“ „Er lügt“ ab.

Die Historiker streiten sich über die Hintergründe des gewaltigen Bau­vorha­bens. Einige sehen in der Schlacht von Saint-Quentin 1557 den eigentlichen Entste­hungsgrund.

In den Kämpfen wurde die Kirche des San Lorenzo zerstört, und Felipe II. gelobte, für den Märtyrer eine neue Stätte der Verehrung zu errichten.

Doch dies kann wohl kaum der alleinige Anlass für die wag­halsigen Pläne gewesen sein. Als gehorsa­mer Sohn Carlos V. spielte sicherlich auch dessen letzter Wunsch nach einem ehrwür­digen Mausoleum für die Habsburger Kö­nige eine Rolle.

El Escorial als Symbol der Kolonialmacht

Doch was veranlasste Felipe II. zu den immensen Dimensionen des Escorials? Die Antwort darauf lässt sich aus der Gesamtentwicklung des 16. Jahrhunderts ableiten.

Das spanische Imperium war als unangefochte­ne Kolonialmacht an seinem Höhepunkt an­ge­langt. In der Ferne allerdings regten sich schon bedrohliche Geister: längst hatte Luther seine 99 Thesen proklamiert, die Reformation war eingeläutet.

Sollte man diesem Imperium und dem alten Glauben nicht ein adäquates Denkmal setzen?

Es scheint wahrscheinlich, dass Felipe derartige Überlegungen anstellte. Er wollte mehr schaffen als eine würdige Grabstätte und eine Kirche.

Im Esco­rial verband er Wis­senschaft, Literatur und katholischen Glau­ben.Tatsächlich entstand so etwas wie eine ka­tholische Akademie der Wissenschaften.

Ganze Bibliotheken wurden aufgekauft, See- ­und Landkarten gesammelt, Kenner der Archäologie und der Antike geladen und Künstler herbeigerufen. Der Escorial sollte einmalig werden.

Im Jahre 1584, nach 21 Jahren Bauzeit, war es schließlich so weit. Das Denkmal war gesetzt.Felipe II. lebte noch 14 Jahre – in dieser Zeit war er eng mit dem Escorial verbunden.

Als der todkranke König 1598 in einer qualvollen letzten Reise zum Escorial getragen wurde, war mit seinem Tod ein Jahrhundert spanischer Weltmacht vollendet.

Sehenswürdigkeiten im Escorial

Die Eintrittskarte berechtigt zur Be­sichti­gung aller sehenswerten Räumlichkeiten. Ohne Führer können die Bibliothek, die Sa­kristei, die Kapitelsäle, die Basilika und die Neuen Museen besucht werden.

Wer die Begräbnisstätten und Königsge­mä­cher be­sich­tigen will, muss sich einer Führung an­schließen. Diese werden auf Spanisch, Eng­lisch und Französisch angeboten.

Die Bibliothek (biblioteca). Juan de Herrera selbst ließ es sich nicht nehmen, den 52 m langen Bibliotheksaal zu entwerfen. Aus sei­ner Feder stammen auch die Pläne für die Bücherregale, in denen die kostbaren Werke kurioserweise alle mit dem Rücken zur Wand stehen.

Über 40.000 Bücher von unschätzbarem Wert sind heute hier untergebracht. Dazu gehören Seltenheiten wie arabische, grie­chische und hebräische Manuskripte.

Die Deckenfresken des Italieners Tibaldi unterstreichen den akademischen Gesamtein­druck durch die bildhaften Darstellungen verschiedener Künste und Wissenschaften.Die Sakristei (sacristía).

Viele der Gemälde, die ehemals die Sakristei schmückten, sind heute in den „Neuen Museen“ des Escorial und im Prado-Museum zu sehen.

Wichtigstes Bild der Sakristei ist nach wie vor „La Sagrada Forma“ von Claudio Coello, das Carlos II. kniend vor der Mons­tranz zeigt. Um ihn herum malte der Künstler Mitglieder seines Hofstaates.Die Kapitelsäle (salas capitulares).

Auch die vier Kapitelsäle haben an Attraktivität einge­büßt, seit ein Teil ihrer wichtigsten Gemälde in der Abteilung „Neue Museen“ unterge­bracht ist. Interessant sind die Deckenfresken von Granello.

Die Basilika (basilica). Durch den Haupteingang, den das Habsburger Wappen und eine Statue des San Lorenzo schmückt, kommt man über den Patio de los Reyes (Hof der Könige) in die Basilika.

Die 90 m hohe Kirchenkuppel bildet den höchsten Punkt des Escorials. Künstler aus ganz Europa ha­­ben sie mit ihren Werken ausgeschmückt: die Fresken stammen von Luca Giordano, die Gemälde sind Werke des Florentiners Zuccaro und des Bolognesen Tibaldi.

Übrigens: Bei all dem Gigantismus, die News auf El País zu El Escorial sind eher spärlich.

Prominenz im Altarraum

Aus Kammern im Altarraum blicken die vergoldeten Bronzestatuen der Familien Felipes II. und Carlos V. auf den Altaraufsatz.Rechts der Erbauer des Escorial, der sich von dem italienischen Künstler Leone Leoni und dessen Sohn Popeo mit seinen drei Gattinnen (María von Portugal, Isabel von Valois, und Anna von Österreich) und seinem aus dem Schiller-Drama so bekannten Sohn Don Carlos verewigen ließ.

Links Felipes Vater Carlos V. mit seiner Gemahlin Isabel, seiner Tochter María und seinen Schwestern Eleonore und María. Auch diese Statuengruppe wurde von den beiden Künstlern aus Mailand geschaffen.    

Das prunkvolle Altarbild ist in vier Stock­werken 26 m hoch, für den eingebauten Tabernakel in Form eines korinthischen Rundtempels wurden die teuersten und härtesten Edelsteine Spaniens verwendet.

Neue Museen (nuevos museos). Die Gemäldesammlung Felipes II. verkleinerte sich durch mehrere Brände, Raubüberfälle napo­leonischer Truppen und der Abgabe von Werken an den Prado.

Zur 400. Jahresfeier wurden im Escorial daher die Neuen Mu­seen eingerichtet. In den prachtvollen Räu­men hängt unter anderem Dürers Aquarell „Passstraße in den Alpen“, Tizians „Abend­mahl“ und Velázquez’ „Geschichte vom blu­tigen Rock Josefs“.    

Neben den Italienern Tintoretto und Veronese befinden sich die spanischen Meister des 17. Jahrhunderts Ribera, Murillo und Cano. Sogar der von Felipe II. verschmähte El Greco ist hier mit mehreren Werken ver­treten:

„Der heilige lldefonso“ und „Der heili­ge Petrus“. Auch Hieronymus Boschs „Die Dornenkrönung“ und eine Version des „Gar­ten der Lüste“ sind in den Neuen Museen zu sehen.

Die Grabstätten (panteones). In der Kö­nigsgruft (panteón de los Reyes) direkt unter dem Hochaltar befindet sich die Grabstätte fast aller spanischen Könige seit Carlos V. und seiner Gemahlinnen, sofern diese einen späteren König zur Welt brachten.

In der Hauptgruft setzte man die Leichname in den in Nischen eingelassenen Mar­morsarko­phagen bei, nachdem sie zu­nächst einige Jahre zur Vorverwesung in den pudrideros (Faulkammern) vor dem Pantheon lagen.    

Streng nach Geschlecht getrennt liegen links des Altars die Könige, rechts davon die Königinnen.

Nebengruft für Kinderlose

In den Nebengrüften (panteones de los Infantes), die im Gegensatz zur Königsgruft noch Platz für viele Jahre Monarchie bieten, sind Prinzen, Prinzessinnen, kinderlose Kö­niginnen und andere Angehörige der Kö­nigshäuser bestattet.

Makaber-kurios: Die tarta de comuniones, ein tortenförmiges Grabmal für Kinder, die noch vor ihrer Erstkommunion verstarben. Dies ist der einzige Raum, in dem mit Habsburger- und Bour­bonenkindern Mitglieder beider Dynastien Spaniens gemeinsam bestattet sind.

Die Königsgemächer (Beschilderung: pa­lacios).

Die Bourbonenkönige Carlos III. und Carlos IV. veranlassten gegen Ende des 18. Jahrhunderts die letzten großen Veränderungen am Escorial. Einzelne Trakte wurden zu einem Wohnpalast umgebaut, deren Räu­me größtenteils mit prunkvollen Wandteppichen dekoriert sind.

Die meisten dieser Gobelins wurden in der königlichen Tep­pichfabrik in Madrid gefertigt, in der noch heute produziert wird. Die Spanier Francisco und ­Ramón Bayeu und später vor allem Goya entwarfen die Vorlagen für die Gobelins.    

In die düster-wissenschaftliche Atmo­sphä­re des Escorials ziehen damit die lebensfro­hen, volksnahen Themen Goyas ein: die Madrider Majos und Majas, das Picknick im Grünen, spielende Kinder und Stierkämpfe.  

 Ein 55 m langes Wandbild italie­nischer Maler im Saal der Schlachten zeigt auf gan­zer Bandbreite den Sieg der Christen über die Mauren in der Schlacht von Higueruela bei Granada.

Verspielte Wohnräume eines strengen Baus

Die verspielten, genießerisch ausge­schmückten und farbenfrohen Wohnräume der Bourbonen stehen in starkem Gegen­satz zu den schlichten, schmucklosen Ge­mächern des Escorial-Erbauers.

Die Räume Felipes II. und seiner Gemahlin sind um den Altar der Basilika herum angeordnet. In ihren Schlafzimmern konnten König und Königin durch kleine Fenster bequem vom Bett aus der Messe beiwohnen.

Neben den einfachen Schlaf- und Arbeitszimmern des Königspaares ist in diesem Teil auch der Tragestuhl zu sehen, mit dem Felipe II. sieben Tage und Nächte lang zum Sterben von Madrid in den Escorial geschleppt wurde.

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