Barceloneta: dörflich-modern

Lebhaft, kultig und eher unbekannt: Ein Streifzug durch Barcelonas kleinstes Stadtviertel Barceloneta. Vor allem die Einwohner lieben das Gebiet.

von Brigitte Bonder

Die schwarzbraunen, tief liegenden Augen stehen weit offen, die Lippen sind eng zusammengepresst. Leicht rosa glänzt die feuchte Haut im warmen Scheinwerferlicht.

Seit Stunden schaut er gelangweilt geradeaus. Das bunte Treiben direkt vor seiner Nase interessiert ihn nicht. Menschen eilen vorüber, schleppen schwere Taschen und ziehen karierte Köfferchen hinter sich her.

Auch seine silbrigen Gefährten rechts und links ignoriert er seit dem frühen Morgen. Lluerna ist sein Name.

So betitelt ihn jedenfalls das kleine, handbeschriftete Schild neben ihm. Sein Preis liegt bei 19,90 Euro. Pro Kilo! Der Knurrhahn hat heute schon einen weiten Weg hinter sich.

Jetzt liegt er eisgekühlt in der Fischtheke von „Montse i Sònia“ in der Markthalle von Barceloneta, dem kleinsten Stadtteil Barcelonas. 

Frische Ware am Stand Nummer 48

Fische und Meeresfrüchte versprechen die schnörkeligen Buchstaben von Stand Nummer 48. Hellblau leuchten kleine Krabben, Seepferdchen und Muscheln auf dem Plakat - mit wenigen Strichen fast künstlerisch dahin geworfen und doch lebendig.

Im Gegensatz zum Großteil der Auslage. Rötlich streifige Thunfischstücke teilen sich das Eisbett mit orangefarbenen Langusten, Goldbrassen liegen neben einem Bund Stabmuscheln.

Ein Säckchen weiter bewegt sich doch noch etwas. Ein Hummer mit verbundenen Scheren wartet auf einen Käufer. Während sich im berühmten Mercado de la Boqueria an der Rambla unzählige Touristen drängen, kaufen in der kleinen Markthalle von Barceloneta zumeist Einheimische ein.

Die Produktpalette ist identisch, in dem kleinen Altstadtviertel zwischen Port Vell und Olympiahafen ist es aber ruhiger und ursprünglicher. Und die aufdringlichen Verkäufer von frisch gepressten Säften vermisst hier keiner.

Viel Flair rund um die Plaça de la Font

Ende des 18. Jahrhunderts entstand Barceloneta in einem sandigen, dreieckigen Areal außerhalb der damaligen Stadtmauern. Die Bewohner des Stadtviertels La Ribera mussten hierher umsiedeln, eine militärische Festung entstand an der Stelle ihrer alten Heimat.

Seeleute, Fischer und Kunsthandwerker ließen sich in den schachbrettartig angelegten Straßen direkt am Meer nieder. Mit dem Rückgang der Fischerei im letzten Jahrhundert verfiel auch das alte Viertel, die Kriminalitätsrate stieg.

Erst 1992 brachten die Olympischen Spiele Veränderungen für das Gebiet. Häuser wurden renoviert, kleine Fischrestaurants am Strand wichen einer modernen Promenade.

Dennoch hat Barceloneta seinen dörflichen Charakter behalten. Enge, lange Gassen durchziehen das Viertel in Nord-Süd-Richtung, das Zentrum bildet der Plaça de la Font mit der alten Markthalle.

Barceloneta bekommt wenig Besuch

„Señor, Señor!“ Die lauten Rufe des kleinen, dunkelhaarigen Jungen schallen über den ganzen Platz. Ein gräulicher, leicht schlaffer Fußball rollt einem der eher wenigen Touristen Barcelonetas vor die Füße.

Gekonnt kickt er den Ball zurück. Der Junge im rotblauen, viel zu großen FC Barcelona Shirt winkt glücklich. Jeden Tag spielen die Kinder des Viertels hier. Träumen von einer Karriere beim großen Barca-Verein auf der anderen Seite der Stadt.

Der Ball fliegt über dunkle Holzbänke, prallt an den halbhohen Metallpfeilern rund um den Sandspielplatz ab. Ältere Männer halten schützend die Hände über ihr Brettspiel.

Für die Frauen ist heute Waschtag. Auf nahezu allen Balkonen flattern bunte Handtücher, Kleider und Bettlaken hoch über der Straße. Entlang der Eisengitter ranken Grünpflanzen zwischen den Wäscheleinen hervor, die Bewohner haben Palmen in allen Größen in kleinen Terrakottakübeln vor die Fenster gequetscht.

Inlineskater, Jogger, Radfahrer

An der Meerseite des Viertels erstreckt sich die Bademeile Platja de Barceloneta. Inlineskater, Jogger und Radfahrer auf den rotweißen Leihfahrrädern Barcelonas flitzen über die Promenade, an dessen Ende seit 2009 das segelförmige Fünfsternehotel „W“ in den Himmel ragt.

Die Straßencafés und Restaurants sind voller Menschen. Besonders begehrt sind die Plätze mit Blick auf den alten Hafen. Die Takelage hunderter Segelboote klimpert im Wind, große Yachten dümpeln im Port Vell, dem alten Hafen.

Der Ausblick hat aber seinen Preis. Günstiger lässt es sich mitten in Barceloneta speisen. Hier gibt es noch Mittagstisch für kleines Geld. Calamares, Dorade oder Fideuà, die traditionelle Nudelvariante der Paella, stehen auf der Speisekarte.

Der Knurrhahn wird hier nicht angeboten, er muss einen anderen Käufer gefunden haben.

Teil 2: Barceloneta - Praktische Infos