Barcelonas kurioser Turm Torre Agbar

Der markant in den Himmel ragende Torre Agbar ist Barcelonas neues Wahrzeichen und Sitz von Aguas de Barcelona.

von Naja Schüller

Bei Tag ein Tanz aus funkelnd-roten, schillernd-blauen und glänzend-silbernen Pixeln - gebannt in einem Gitter aus Aluminium. Nachts ein Meer aus LEDs, dass die Stadt überstrahlt.

Der Torre Agbar, 2005 von König Juan Carlos eingeweiht, liegt im Dunstkreis des Plaça de les Glòries Catalanes, dem größten Verkehrsknotenpunkt der Stadt, einem Strudel aus Asphalt und Beton.

Eigentlich kein schöner Fleck, doch durch den Torre Agbar Anziehungspunkt für Einheimische und Touristen.

Ein Bauwerk von Jean Nouvel

Der Torre Agbar stammt aus der Feder des französischen Star-Architekten und Pritzker-Preis-Trägers Jean Nouvel (65).

Ein Mann mit Glatze, Lächeln und Vorliebe für schwarze Kleidung, der Bauwerke erschafft, die mit ihrem Umfeld interagieren. „The right building in the right place“, sagt Nouvel. Im Falle von Torre Agbar hieß das: Poblenou, Wasser und Antoni Gaudi.

Torre Abgar und das katalanische Manchester

Poblenou im Nordosten Barcelonas ist ehemaliges Industriegebiet. Doch seit dem Rückgang der Textilwirtschaft und der Abwanderung vieler Speditionen in die Außenbezirke stehen Fabriken leer und verfallen.

Stadtplaner sollen Abhilfe schaffen und Poblenou reanimieren: aus Distrikt 22a wird 22@, Hightech ist das Ziel und der Torre Agbar das Herzstück.

Da verwundert es kaum, dass Nouvel sich thematisch der Technik bedient. Wie Pixel einer Rastergrafik verteilt er Quadrate aus farbig-lackiertem Aluminium über die Außenfassade und verwirklicht Fenster-Freiflächen als Würfel, die – hinab gestürzt und am Fuß des Turms platziert – den Besucher zum Sitzen einladen.

Mit seinen 142 Metern ist der Torre Agbar im Vergleich zu anderen Wolkenkratzern wie Burj Chalifa (828m) und Taipeh 101 (508m) zwar relativ klein, doch schenkt ihm Nouvel Individualität, die den Torre Agbar zur urbanen Ikone macht. Landmark mit Prädikat  „herausragend“, so die Jury des Internationalen Hochhauspreises 2006.

"Vibrator himmelwärts"

Die agbar group, ein multinational operierender Konzern auf dem Wassermarkt, der seine Eigenschaften transportiert wissen mag. „Wasser?“, fragt sich der verdutzte Betrachter und Irritation macht sich breit.

Denn Torre Agbars phallisch anmutende Statur zieht Blicke magnetisch an und lässt Spielraum für Assoziationen. Granate, Gurke und Geschoss kommen in den Sinn, „Vibrator himmelwärts“, titelt ZEIT ONLINE.

Auf den zweiten Blick – und mit ein bisschen Theorie – erschließt sich Nouvels Idee: der Geysir als Leitgedanke. Feuer und Wasser, dargestellt als Pixelbild in 25 Farbtönen, quellen aus der Erde empor und bäumen sich dem Himmel entgegen.

Mittels einer zweiten Außenhaut aus transparenten Glaslamellen, unterschiedlich geneigt, wird das Sonnenlicht gebrochen und die „fluid mass“ verstärkt. Lichtreflexe im Rendezvous mit Feuer-Rot und Wasser-Blau bringen die Fassade zum Flirren, brechen Etagen auf und lassen Dynamik entstehen.

Torre Agbar und Gaudi

Nun denn, ein High-Tech-Haus: Symbol für Fortschritt und Wandel in Barcelonas Poblenou. Gläserner Glanz statt verspielte Keramik und so wenig an Gaudis Jugendstil erinnernd.

Wie passt das zusammen? Nouvel verzichtet auf Minimalismus und integriert Gaudis geschwungene Linien, fließende Formen und Natur-Motive im Bürokomplex der Gegenwart: Moderne trifft Tradition.

Doch vielmehr wird Nouvels Applaus für den lokalen Meister in den oberen Etagen sichtbar: An jener Turmseite, die zu Barcelonas noch immer unvollendetem Wahrzeichen, der Sagrada Familia, weist, häufen sich die wirr verteilten Fensteröffnungen.

Gelenkter Blick, gerahmtes Panorama. Wie wunderbar nuanciert!

Ein Tipp zum Schluss

Genießen sie des Torres Glanz, aber aus der Ferne. Sein Inneres bleibt der Öffentlichkeit verschlossen: Stadtblick nur für agbar. Vom Dachgarten der Casa Milà hingegen hat man gleich beide Schätze fest im Blick.

Die Autorin

Naja Schüller hat Volkskunde, Kunstgeschichte und Neuere Geschichte in Bonn studiert. Danach machte sie erste Schritte in TV-Redaktionen und ist nun auf dem Weg ins Web 2.0. Ein Beitrag für dieses Portal kam da ganz gelegen. Natürlich zum Thema Kunst und Kultur: der Torre Agbar in Barcelona.