Carmen Maura: Eine Frau am Rande der Genialität

Carmen Maura ist die Ikone des zeitgenössischen spanischen Kinos. Ihre krawalligen, stillen, vor Leben sprühenden Filmfiguren begeistern weltweit seit über 40 Jahren. Dabei deutete zunächst wenig auf diese Karriere hin. Ein Porträt.

von Daniel Müller

Sie wirkt rehaugenhaft, verführerisch, verletzlich. Doch dann stöhnt sie und schreit. Als nächstes lächelt sie scheu. Plötzlich schlägt sie einen mächtigen rechten Haken. Der Getroffene kippt um. Jetzt tanzt Sie wild Flamenco, riecht als Hausfrau an ihrem Scheuermittel und schließlich erhebt sie in einer Hexen-Messe die Arme zum Segen.

Diese Schnitte stammen aus einer kurzen Film-Hommage auf der Facebook-Seite von Carmen Maura. Sie hat gefühlte 200 Schnitte in vier Minuten, was anstrengend werden könnte. Doch zeigte der Film ihre ständig am Rand des Genialen operierende Schauspielkunst.

Das lebendige Leben

Nächstes Jahr wird Carmen Maura 70. Schauspielerinnen dieses Alters haben, im besten Fall, mehr Zeit für sich als männliche Kollegen. Denn sie bekommen weniger Rollen. Nicht so Carmen Maura.

Sie spielt sich seit 1970 unentwegt durch Kinorollen unterschiedlichster Färbung. Dabei gelingt dem Vorbild spanischer Schauspielerinnen, wie Penélope Cruz, etwas ganz Besonderes: Sie lässt das lebendige, letztlich nicht fassbare Leben in ihre Rollen fließen. Und sei der Film noch so grotesk angelegt.

Fiebrige Anarchie im Charakter

Carmen Mauras Rollen sind meist mutige Skizzen des weiblichen Geschlechts. Ob  Psychologin, Hausfrau, Alternde, Junge, Wilde, Vamp: Sie reißt den Zuschauer temperamentvoll mit. Sie fordert ihn auf, genau hinzusehen. Nein, anders. Sie lässt nicht zu, dass er wegsieht.

Genau das mag Oscar-Preisträger Pedro Almodóvar angeturnt haben. Der spanische Filmregisseur drehte seit Anfang der 80er Jahre immer wieder mit Maura. Gleich einer ihrer ersten Rollen bei Almodóvar ist ein Transsexueller (Das Gesetz der Begierde, 1987).

Für die Darstellung der Schauspielerin Pepa in der Kultkomödie Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs (1988) erhält sie mehrere europäische Filmpreise. 2009 dreht sie mit Francis Ford Coppola und zuletzt spielt Carmen Maura für den Regisseur Álex de la Iglesia eine Hexe (Witching and Bitching, 2013).

Eine bewegte Künstler-Karriere, die immer den Geruch des Unkonventionellen, des Funkensprühenden hat. Doch der fiebrige, anarchische Charakter ihrer Rollen war in ihrem Leben nicht sofort sichtbar.

Vorbild für einen neuen Frauentyp

Carmen Maura ist die Enkelin des fünfmaligen spanischen Ministerpräsidenten Antonio Maura y Montaner (1853-1923). Anfang der 60er Jahre studiert sie Philosophie und Literatur an der Hochschule École des Beaux-Arts in Paris. Nebenbei entdeckt sie das Schauspielen für sich – zunächst am Theater. 1964 heiratet sie den Rechtsanwalt Francisco Forteza.

Das Paar bekommt zwei Kinder und Carmen Maura wird Hausfrau und Mutter. 1970 lässt sie sich scheiden und  kehrt zur Kunst zurück. Zunächst arbeitet sie als Sängerin in Cabaret-Shows. Schnell spielt sie in Filmproduktion und Anfang der 80er Jahre wird sie Moderatorin der  TV-Show  „Esta Noche“ bei Televisión Española.

Nach diesem Erfolg startet Ihre Karriere durch. Schon bald gilt sie als Paradebeispiel eines neuen Frauentyps der Post-Franco-Ära: unabhängig, selbstbewusst und sexuell selbstbestimmt.

2013 erhielt Carmen Maura beim Filmfestival von San Sebastián den Ehrenpreis für ihr Lebenswerk. Ein Werk, das besonders eines zeigt: Wie nah Schauspiel am Leben sein kann. Oder anders herum?

Der Autor

Daniel Müller ist 1975 in Düsseldorf geboren. Er hat an der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) studiert. Danach arbeitete er als freier Journalist (WDR, DLF, Deutsche Welle, ARTE) und in der Privatwirtschaft als Texter. Er ist Vater von zwei Söhnen und lebt in Köln.

Links
Kurzporträt der jungen Carmen Maura auf Youtube
Spaniens Schauspielerin Marisa Paredes
Spaniens Schauspielerin Elena Anaya