Ein Fotograf, der nie einer sein wollte

Porträt Joan Colom Altemir

Er liebte die verruchten Viertel von Barcelona. Eigentlich wollte der Katalane seine Fotos niemandem zeigen, nur aufnehmen. Die ehrlichen Bilder der Menschen im Rotlicht-Milieu lösten einen Skandal in der Zeit unter Franco aus.

von Ilona Kolar

„Jetzt ist alles anders“, sagte der über neunzigjährige Katalane den vielen jungen Besuchern einmal bei einerr seiner Vernissagen, die ihn mit Fragen überhäufen. Und sie wussten gar nicht, wie lange der bescheidene Fotograf auf so viel - auch internationale - Anerkennung warten musste.

Buchhalter aus Barcelona

Joan Colom kam 1921 als Sohn kolumbianischer Einwanderer in Barcelona zur Welt. Seine Eltern hatten einen Blumenladen in der Straße Joaquin Costa nahe der Ramblas. Hier wuchs er auf, studierte Rechnungswesen und arbeitete zwei Jahre lang bei einem Reklamehersteller für Kinoplakate.

Nach einer kurzen Zeit beim Militär begann er 1957 als Buchhalter bei einer Textilfirma, wo er bis zu seiner Pensionierung 1986 arbeitete.

Am Anfang war die doppeläugige Rollei

Erst mit 36 Jahren entdeckte er sein Interesse für die Fotografie. Colom kaufte sich eine doppeläugige Rollei und kurze Zeit später die Reportagekamera Leica.

Er trat der „Agrupación Fotográfica de Catalunya“ (AFC) - Gesellschaft für Fotografie - bei und ist dort heute noch Mitglied. Um sich am Wochenende von der Arbeit abzulenken, zog er durch die Gassen des „verbotenen“ 5. Distrikts.

Dort fühlte er sich wohl, das war seine Welt. Hier entstanden zwischen 1958 und 1964 seine eindrucksvollen Streetfotografien des Milieus.

Autodidakt mit innovativem Blickwinkel

Aus der Hüfte schoss er Bilder von Menschen, die es zumeist gar nicht merkten. Prostituierte in High Heels, Miniröcken und enganliegenden Strickkleidern erregten genauso sein Interesse wie lachende Straßenkinder und engagierte Händler.

Dadurch, dass er nicht durch den Sucher fotografierte, erfuhr er immer erst in der Dunkelkammer, welche Trophäen er von  seinen Wochenendausflügen mitbrachte.

Im Gegensatz zum Ehrenkodex der Pressefotografen entwickelte er die Bilder nicht nur, sondern vergrößerte Ausschnitte oder machte aus Hochkant Querformat.

Mit dieser Technik war er seiner Zeit weit voraus.

Neue avantgardistische Fotografie

 

1960 war er Mitbegründer der Künstlergruppe „El Mussol“, aus der später die „Neue avantgardistische Fotografie“ entstand. Obwohl Joan Colom seine Fotos nur aus Leidenschaft machte und sie eigentlich nie ausstellen wollte, drangen sie dann doch an die Öffentlichkeit.

Kurze Jahre der Anerkennung

Coloms Bilder waren inzwischen in Ausstellungen zu sehen und er hatte den heute legendäre Bildband „Izas, Rabizas y Colipoterras“ veröffentlicht, mit den Texten des späteren Literaturnobelpreisträgers Camilo José Cela.

Das Buch war so erfolgreich wie provokativ. Das prüde, von der Diktatur und seinen moralischen Auflagen geprägte spanische Volk war entsetzt von den unverblümten Aufnahmen der Prostitution, des Drogenhandels und Elends der armen Bevölkerung.

Als dann auch noch eine der von Joan Colom fotografierten Frauen Anzeige gegen ihn erstattete, zog er sich zurück und fasste 20 Jahre keine Kamera mehr an.

Neue Welt und „alte“  Sichtweisen

Das Franco-Regime war beendet, Joan Colom pensioniert, Spanien erwachte und seine Bilder wurden plötzlich wieder beliebt. Colom, der eigentlich nie Fotograf sein wollte, hatte plötzlich wieder die Kamera in der Hand.

2002 bekam er den spanischen „Premio Nacional de Fotografía und 2003 die Goldmedaille für kulturelle Verdienste der Stadt Barcelona.

Seine Fotos waren auf wechselnden Ausstellungen im In- und Ausland zu bewundern und im Besitz der Foto Colectania in Barcelona.

Joan Colom lebte immer noch in Barcelona und mit ein wenig Glück begegnet man ihm bei einem seiner Spaziergänge durch das Raval Viertel. Er starb im Jahr 2017.

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