Mallorca sagt dem Plastikmüll den Kampf an
Einwegverbot, Umweltstrafen und Trinkstationen: So versucht die Urlaubsinsel Mallorca, sauber zu werden. Doch während an den Stränden Müll gesammelt wird, ist die Bilanz für die Naturschützer noch immer durchwachsen.
Von Alina Brammer
Es ist ein ehrgeiziger Plan, der in Europas Urlaubsziel Nr.1 seit einigen Jahren Realität wird. Mallorca will zur plastikfreien Insel werden. Die Grundlage dafür schuf die Regierung bereits im Februar 2019 mit einem der strengsten Umweltgesetze Spaniens: dem balearischen Abfallgesetz Ley 8/2019.
Es wurde zwar früh beschlossen, doch viele zentrale Maßnahmen traten erst im März 2021 in Kraft, um Handel und Tourismus Zeit zur Umstellung zu geben. Seitdem sind Produkte wie Plastikteller, Strohhalme oder sogar Kaffeekapseln aus Aluminium offiziell verboten.
Nur kompostierbare Alternativen sind noch erlaubt. Selbst Hotels, Supermärkte und Veranstaltungen müssen mitziehen, sonst drohen Bußgelder. Unterstützt werden solche Ansätze von europäischen Netzwerken wie Zero Waste Europe, die das balearische Abfallgesetz als wegweisendes Beispiel für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft hervorheben.
91 Verstöße, 120.000 Euro Bußgeld
Trotz des klaren gesetzlichen Rahmens läuft die Umsetzung jedoch schleppend. Viele Gastronomiebetriebe auf den Balearen halten sich nicht an die Regeln, die Kontrollen sind rar. Zwischen 2021 und 2023 wurden nur 143 Betriebe überprüft. Bei über 12.000 Verkaufsstellen auf den Inseln ist das ein Tropfen auf dem heißen Stein. Immerhin: 91 Verstöße wurden geahndet, rund 120.000 Euro Bußgeld flossen in die Staatskasse.
Bis 2021 sollte das Abfallaufkommen bereits um 10% gesenkt werden. Das langfristige Ziel liegt bei 20% weniger Müll bis 2030. Doch auf dem Weg dorthin warten Hindernisse – nicht nur logistisch, sondern auch politisch.
Die balearische Regierung will das strenge Abfallgesetz 2025 überarbeiten und möglicherweise entschärfen. Einige Umweltziele gelten als zu ambitioniert, etwa die geforderte Wiederverwendungsquote von 70 Prozent. Diego Viu, Generaldirektor für Kreislaufwirtschaft, Energiewende und Klimawandel, erklärte dazu im Wirtschaftsausschuss des Parlaments, dass das bisherige Gesetz zwar wegweisend gewesen sei, es aber auch Verbesserungspotenzial habe.
Viu betonte: „Das Streben der Regierung ist es, dass alles, was funktioniert, gestärkt werden muss”, doch seine Worte lassen auch erkennen, dass die neue Linie weniger in gesetzlichen Verboten denkt und mehr in marktfreundlichen Anreizen. „Man sollte den Menschen nicht sagen, wie sie die Dinge tun sollen, sondern was sie erreichen müssen”.
Die Kritik der balearischen Umweltverbände ist scharf
Umweltverbände wie Grup Balear d’Ornitologia i Defensa de la Naturalesa (GOB) und Amics de la Terra sehen das kritisch. Denn wenn gesetzliche Leitplanken zu wagen Zielvorstellungen werden, könnte Mallorca genau den Vorsprung verlieren, den es sich beim Thema Plastikvermeidung in den letzten Jahren aufgebaut hat.
Zugleich steigen die Touristenzahlen. Über 12,5 Millionen Menschen kamen 2023 nach Mallorca. Das bedeutet einen immensen Verbrauch an Wasser, Energie und Ressourcen. Fast drei Viertel des geklärten Abwassers stammt inzwischen von Touristen.
Das entspricht in etwa dem Wasserverbrauch einer Großstadt, verursacht von Menschen, die nur wenige Tage bleiben. Deshalb ist die Touristensteuer, die sogenannte “Ecotasa”, besonders zentral.
Die Idee dahinter: Wer die Insel nutzt, soll auch etwas zu ihrem Schutz beitragen. Rund 780 Millionen Euro wurden seit 2016 eingenommen. Ein großer Teil davon fließt in Umweltprojekte wie den Schutz von Seegraswiesen, Müllvermeidung und Wiederaufbereitung von Wasser.
Wenn diese Steuer konsequent und transparent eingesetzt wird, könnte sie tatsächlich zum Gamechanger werden.
Wie das Mittelmeer unter Plastik leidet
Mallorca ist weit mehr als nur Strand und Sangría. Die größte Insel der Balearen beeindruckt mit einer überraschenden Vielfalt. Von zerklüfteten Steilküsten im Norden, goldene Sandbuchten im Süden, dichten Pinienwäldern, trockenen Ebenen und türkisfarbenen Buchten bis hin zu kleinen Dörfern, in denen noch Oliven gepresst und Trockenmauern von Hand gesetzt werden. Aber der wahre Schatz befindet sich unter der Wasseroberfläche.
Vor Mallorcas Küsten erstrecken sich riesige Posidonia-Seegraswiesen, ein uraltes Ökosystem, das nur im Mittelmeer vorkommt und zu den wichtigsten CO2-Speichern in der Region zählt.
Diese Unterwasserwälder sorgen für sauberes Wasser, stabile Strände und sind Rückzugsorte für viele Meerestiere. Darunter winzige Seepferdchen und die unechte Karettschildkröte. Letztere ist sogar eine echte Überlebenskünstlerin.
Seit Millionen von Jahren zieht sie ihre Bahnen durchs Mittelmeer, kehrt zur Eiablage an sandige Buchten zurück und spielt eine große Rolle im marinen Gleichgewicht.
Doch all das ist aufgrund von riesigen Mengen Mikroplastik im Mittelmeer gefährdet. Rund um Mallorca sind es bis zu eine Million Partikel pro Quadratkilometer. Sogar in geschützten Gebieten wie dem Nationalpark Cabrera wurden extreme Belastungen festgestellt.
Die Auswirkungen auf die Tierwelt sind verheerend. 97 Prozent des Mageninhalts verendeter Karettschildkröten bestand laut Greenpeace aus Plastik. Das beweisen Studien der Universitat de les Illes Balears (UIB), wo man auch Schwermetallen im Gewebe der Schildkröten feststellte.
Antoni Sureda, Forscher der Fakultät für Wissenschaften der UIB, erklärte 2021 auf der Pressekonferenz im Palma Aquarium, dass sich „Kohlenwasserstoffschadstoffe mit den Strömungen überall hinbewegen und da Schildkröten viel zirkulieren, ist es schwierig, die Exposition zu kontrollieren.”
Vögel und Fische fressen, was sie für Nahrung halten
Vögel, Fische, Delfine – sie alle fressen, was sie für Nahrung halten. Hinzu kommen Geisternetze, die sich an den Seegraswiesen verfangen.
Jahr für Jahr werden sie durch Bootstouristen beschädigt, beispielsweise durch Anker, die sich tief in den Meeresboden graben. In einem Interview erklärt María Rubio, leitende Technikerin für technische und berufliche Aktivitäten am Mediterranean Institute for Advanced Studies (IMEDEA), wie wichtig eigentlich der Schutz dieser Seegraswiesen ist.
Getragen wird der Anti-Plastik-Kurs aber nicht nur von der Regierung, sondern auch von lokalen Initiativen. Die Fundación Cleanwave hat ein Netz von Trinkwasserstationen aufgebaut, an denen Touristen und Einheimische ihre Flaschen auffüllen können, ganz ohne Einwegplastik.
Auch die Initiative Plastic Free Balearics oder Save The Med arbeiten an nachhaltigen Lösungen. Ob in der Landwirtschaft, in Schulen und mit Unternehmen. Dazu kommen regelmäßig organisierte Cleanups an Stränden und in Naturgebieten.
Fundación Cleanwave
Wer beispielsweise mit einer Edelstahlflasche unterwegs ist, landet früher oder später bei einer der Cleanwave-Trinkstationen. Seit 2017 baut die Fundación Cleanwave an einem Inselnetz, das es möglich macht, Wasser ganz ohne Plastikflaschen zu tanken und das kostenlos mitten in Palma oder im Naturschutzgebiet.
Es ist eines der größten aktiven und passiven Projekte zur Wiederherstellung der Meeresumwelt im Mittelmeerraum, das sich auf die Regeneration von Posidonia oceanica und anderen wichtigen Meeresökosystemen konzentriert. Lucía Borges (Communication Managerin von Cleanwave) hat uns in einem exklusiven Interview erzählt, wie positiv die Auswirkungen ihrer Arbeit sind.
„Ausgehend vom durchschnittlichen Wasserverbrauch pro Station schätzen wir, dass seit der Installation der ersten Cleanwave-Station im Juli 2019 über 13.900.000 Plastikflaschen vermieden wurden. Derzeit sind auf den Balearen 91 öffentliche Wasserstationen installiert.”
Auch bei der Bevölkerung komme das Projekt gut an. „Das Bewusstsein und die Nachfrage nach nachhaltigen Alternativen und Zugang zu plastikfreiem Wasser nehmen zu.” Doch eine der größten Herausforderungen sei noch darin, Touristen auf das Netzwerk von Nachfüllstationen aufmerksam zu machen.
„Die Ausweitung des Netzwerks auf weitere Gemeinden erfordert auch die Zusammenarbeit mit wichtigen Interessengruppen wie lokalen Regierungen und Unternehmen.”
Besonders interessant sind die vielen verschiedenen Bildungsprogramme, die die Cleanwave Foundation anbietet. So zum Beispiel Fora Plastics und Alga Cadabra, welches für Vorschulkinder und Grundschüler konzipiert wurde, mit Storytelling-Elementen, emotionalen Bildungsaktivitäten mit Fokus auf partizipatives Lernen.
„Wir sind davon überzeugt, dass emotionale Bildung eine Schlüsselrolle bei der Förderung eines verantwortungsvollen Plastikkonsums und nachhaltiger Gewohnheiten spielt. So integrieren wir beispielsweise Yoga-Sitzungen, um Kindern zu helfen, Wohlbefinden zu verstehen, sich mit der Natur zu verbinden und achtsame Verhaltensweisen anzunehmen, die zur Reduzierung von Plastikmüll beitragen.”
Das Projekt verfolge dabei nicht nur einen lokalen Ansatz, sondern soll ein Signal für den gesamten Mittelmeerraum senden.
"Unser Ziel ist es, durch Projekte wie MedGardens sieben weitere Wiederherstellungsgebiete zu schaffen und so letztendlich 1000 Hektar wiederhergestellter Meeresökosysteme im gesamten Mittelmeerraum zu erreichen."
Save The Med Foundation
Hier wird Meeresschutz zum Mitmachprojekt. Die Save The Med Foundation arbeitet auf Mallorca mit Wissenschaftlern und vor allem mit Jugendlichen. In Workshops, Projekttagen und Challenges entwickeln sie Ideen gegen Plastikmüll.
Dort lernt man, wie zerbrechlich und wertvoll das Mittelmeer ist. Ihre bekannteste Aktion: das „Changemakers Project”. Statt bloßer Appelle setzt die Stiftung auf Erlebnisse, Beteiligung und Aufklärung mit Tiefgang. Ihre Vision ist es, eine Generation zu schaffen, die das Meer kennt, liebt und schützt.
Plastic Free Balearics
Weniger Plastik – mehr Verantwortung. Mit genau diesem Ziel wurde 2021 Plastic Free Balearics ins Leben gerufen. Die Initiative verleiht ein Sterne-Siegel an Restaurants, Hotels und Cafés, die aktiv Einwegprodukte einsparen.
Statt Plastikstrohhalm und Einwegteller gibt es dann recycelbare Alternativen, Nachfüllsysteme und kreative Lösungen. Das Besondere ist, dass das Projekt die Betriebe auf ihrem Weg Schritt für Schritt begleitet. So entsteht ein Netzwerk aus Unternehmen, die zeigen, dass Nachhaltigkeit auch im Tourismus funktioniert und sichtbar wird.
Mallorca als Kultur des Mitmachens
Gemeinsam zeigen diese Initiativen, dass Veränderung nicht immer von oben kommen muss. Es sind genau solche lokalen Bewegungen, die den Wandel greifbar machen – leise, aber stetig. Auch wenn der Weg noch lang ist, wächst auf Mallorca eine Kultur des Mitmachens, die dem Plastikproblem echte Alternativen entgegensetzt.
Die langfristige Vision ist klar: Eine plastikfreie, ökologische Vorzeigeregion im Mittelmeer. Cleanwave spricht sogar davon, die Balearen bis 2030 zu einem globalen Modell für „regeneratives Leben” zu machen.
Wenn Mallorca also weiterhin ein Sehnsuchtsort bleiben soll, der für manche ein zweites Zuhause ist, eine perfekte Postkarten-Idylle, so bleibt die Frage: Wie viel Tourismus verträgt die Insel? Und was braucht es, damit die Natur nicht zum Opfer des Erfolgs wird?
Der Kampf gegen Plastikmüll ist dabei nur ein Puzzleteil, aber ein wichtiges. Denn am Strand von Es Trenc, zwischen den Dünen und dem schimmernden Meer, sieht man die Spuren. Mal eine Zigarettenkippe, mal eine leere Verpackung. Aber manchmal eben auch eine Hand, die sie aufhebt.
Wer selbst helfen will, kann das übrigens ganz einfach tun: Mehrwegflaschen statt Plastik kaufen, Refill-Stationen nutzen, achtsam mit Abfall umgehen oder bei einer der regelmäßigen Beach-Cleanups mitmachen. Es sind kleine Gesten, die große Wirkung zeigen können.
Die Autorin
Alina Brammer ist Redaktionsmitglied von Spanien Reisemagazin. Sie engagiert sich vor allem für die Themen Umwelt und Natur. So verfasste sie unter anderem ein Feature über den Iberischen Pardelluchs.