Capas Seseña: Der Schneider von Madrid

Capas Seseña, das ist Mode aus Madrid in Reinkultur. Ein Besuch im letzten traditionsreichen Handwerksladen für die berühmten Umhänge in Spaniens Hauptstadt.

von Ralf Bender, Madrid

Die Calle de la Cruz gehört zu den ruhigeren Straßen von Madrid. Obwohl sie gleich im Zentrum liegt, zwischen Puerta del Sol und der Plaza Santa Ana, ist sie nicht wie die Verbindungsstraßen zwischen diesen beiden Plätzen ausschließlich mit Bars und Restaurants gesäumt, nur im oberen Teil, hin zur Plaza Jacinto Benavente haben sich einige Szenelokale installiert.

Fast unscheinbar, zumal zur Nacht, liegt das Haus mit der Nummer 23. Lediglich zu Geschäftzeiten an den Wochentagen geben die beiden großen Schaufenster den Blick in das Innere frei, das ansonsten hinter schweren, dunkelrot gestrichenen Rollläden verborgen ist. Und nur die Aufschrift auf den Läden und ein Metallschild, hoch über der Straße, verrät mit knappen Worten: "Capas Seseña. Fundada 1901".

Mehr ist offenbar nicht notwendig, Schließlich gehört das Familienunternehmen zu den Mode-Institutionen der Stadt und marktschreierisches Auftreten scheint kein Teil der Geschäftspolitik zu sein.

Der Ruf der Capas Seseña liegt in der Spezialisierung: Seit mehr als 100 Jahren dreht sich hier alles um die Capa, jenen besonders in Madrid typischen ärmellosen Umhang, der gleichzeitig vor Kälte, Staub und nicht zuletzt vor neugierigen Blicken schützen sollte.

Capa ist nicht gleich Capa

Natürlich ist Capa nicht gleich Capa. Fast vierzig Modelle unterscheidet die Asociación de la Capa Española, sei es in der Farbkombination, der Länge und Form, der verwendeten Materialien, ob mit oder ohne Kapuze, den Verzierungen und vielem mehr. Und natürlich unterschieden sich die Modelle im Laufe der Zeit von Region zu Region und von Stadt zu Stadt.

Welche Capa gerade favorisiert wurde, lag schließlich am gesellschaftlichen Stand und am Geschlecht des Trägers. Die Señora trug Kapuze, der Caballero nicht, und eine Zeit lang galt es als umso eleganter, je kürzer die Capa geschnitten war. "Die Capas die heute nachgefragt werden, sind in der Regel lang und haben einen gedeckten Farbton, vorwiegend schwarz oder dunkelblau, für das Futter stehen verschiedene Rottöne zur Verfügung", erklärt Lola Llanas, die mit ihrer Kollegin Carmen die Wünsche der Kunden entgegennimmt.

Wer nach Drücken der Klingel an der Eingangstür den Laden betritt, ist selten auf ein reines Verkaufsgespräch aus. Bis heute werden die Capas durchweg nach Auftrag geschneidert.

Im Vordergrund steht die persönliche Beratung, die Kunden haben in der Regel Zeit mitgebracht und oft auch eine kleine Aufmerksamkeit wie selbstgemachtes Gebäck oder Früchte.

Und weil die beiden Verkäuferinnen vergleichsweise jung sind, sind insbesondere die älteren Kunden nur allzu bereit, mit Geschichten aus den frühen Jahren der Casa Seseña für Kurzweil zu sorgen.

Schneiderhandwerk pur

Geschneidert werden die Capas bei Seseña gleich im selben Gebäude. Über eine Seitentür führt die Treppe zur oberen Etage, wo die Werkstatt untergebracht ist.

Es ist ein kleiner Raum, mit Stoffballen in den Regalen und vorgeschnittenen Elementen. Die Laufzettel, die mit Nadeln daran geheftet sind, geben Hinweise auf deren weitere Verwendung und den künftigen Besitzer. In einem Korb auf einem kleinen Tisch liegen Garnrollen, daneben die silbernen Schließen, verschiedenfarbige Knöpfe stapeln sich in Gläsern und über allem liegt die feuchte Luft der Dampfbügeleisen.

"Frieren müssen wir im Winter wenigstens nicht", scherzt Schneiderin Antonia, blickt kurz über ihrer Nähmaschine hoch, um dann weiter mit dem Säumen einer Kante fortzufahren. Währenddessen zieht das schwere Bügeleisen in der Hand von Kollegin Maria Luisa Bahn um Bahn über den dunklen Wollstoff.

Falten soll eine Capa nämlich nicht haben. Bis zu siebenhundert Stück schneidern die beiden pro Jahr. Die Preise liegen, je nach Aufwand und Material, bei wenigen 100 Euro, das teuerste Modell kostet knapp 1000.

Berühmte Kunden von Picasso bis Pierce Brosnan

Wer einen Blick auf die Wand hinter der Theke im Erdgeschoß wirft, wird jedoch feststellen, dass der finanzielle Aufwand für einen Großteil der Klientel eine Nebensache sein dürfte: hier zeugen, Bild für Bild, einige der Kunden von der langen Tradition des Hauses Seseña: Rodolfo Valentino und Picasso, Buñuel und Fellini, Philippe Noiret und Gary Cooper, Marcello Mastroianni oder Catherine Deneuve.

Über den Besuch von Michel Jackson bei Seseña läuft gar ein Video. Zu den Kunden aus jüngster Zeit zählen Hillary Clinton, die gleich mehrere Modelle  erwarb, sowie Pierce Brosnan, der im Mai dieses Jahres seine erste Capa aus den Händen von Lola Llanas in Empfang nehmen durfte. Insgesamt werden fast 40 Prozent der Capas im Ausland verkauft.

Trotz der treuen Kundschaft lässt sich zwar der Laden aufrecht erhalten, doch leben kann Marcos Seseña Blasco, der das Geschäft 1988 in vierter Generation übernahm, davon nicht. Aufgeben steht für ihn aber außer Frage. Schließlich ist er der letzte Capa-Schneider von Madrid.

Capas Seseña

Calle de la Cruz, 23Telefon +34 91 531 6840

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