Cervera: kleine Stadt mit großer Geschichte
Cervera liegt 100 km westlich von Barcelona weit ab vom Meer in der Provinz Lleida. Die meisten Touristen haben von dem Ort noch nie gehört und bestellen eher ein Bier (cerveza). Erstaunlich, denn Cervera gilt als Wiege der katalanischen Regierung, hat eine riesige Universität und den derzeit besten Motorradfahrer der Welt.
von Tobias Büscher
Cerveras Grundriss ähnelt einem Drachen. Die Stadt war im Mittelalter allerdings zunächst ein Nest mit ein paar Gemüseständen. Erst im Spanischen Erbfolgekrieg kam sie richtig groß raus.
Heute hängen an den alten Gemäuern mit den schmiedeeisernen Gittern Plakate für die Unabhängigkeit Kataloniens. Auf dem Boden sprühen die einen auf Katalanisch „Wir sind die Republik“, die Zugezogenen kontern auf Spanisch mit „Wir kämpfen gemeinsam“.
Cervera ist ein politischer Ort. Auf einer Statue nahe der Stadtmauer steht: „Naixenca de la Generalitat Cervera 1359“. Will heißen: Hier liegt der Ursprung der katalanischen Regierung.
Verlorener Krieg, gewonnener Stolz
Dabei ist der Ort mit seiner schönen Altstadt unmittelbar verbunden mit einer der größten Tragödien Spaniens, beschrieben im Bestseller Der Untergang Barcelonas von Albert Sánchez Piñol: Im Spanischen Erbfolgekrieg verloren die katalanischen Truppen am 11. September 1714 endgültig gegen die Soldaten Felipes aus Madrid.
Pikanterweise kämpfte zuvor ausgerechnet Cervera auf Seiten des Bourbonen. Der bedankte sich, indem er Barcelona die Uni wegnahm und genau hier im Hinterland installierte. Was für eine Strafe.
Dennoch gilt Cervera in der Region als katalanischer Ort par excellence. Und der 11. September als katalanischer „Nationalfeiertag“.
Stille Gassen, röhrende Motoren
Gleichzeitig ist Cervera (nicht verwechseln mit Son Servera auf Mallorca), ein entspannter Ort mit gerade einmal 9000 Einwohnern.
Im riesigen Unikomplex lernen heute Schulkinder. Das Restaurant Marinada hat eine Art Nudelpaella namens Fideuà im Angebot. In der langen, etwas düsteren und überdachten sogenannten Hexengasse gibt es Katzen-Graffiti.
Auf dem Rathausplatz sonnen sich Pärchen auf Caféhausstühlen. Und in einem der wertvollen historischen Bauten im Stadtkern ist ein Museum voll mit Motorrädern und Trophäen (Carrer Major 115, Mo-Sa 11-14 und 18-20, So 11-14, 5 €).
Denn in der örtlichen Kirche erhielt 1993 Marc Márquez die Taufe, einer der besten Motorradfahrer der Welt. Auch sein drei Jahre jüngerer Bruder Alex hat Erfolg im Motorsport.
Die Anwohner feiern ihren Marc, der bereits als 20-Jähriger Weltmeister wurde (1993). Und haben extra für ihn einen örtlichen Fanclub ins Leben gerufen.
Nur eins finden sie weniger lustig. Ihr Held, offiziell für Spanien im Einsatz, fährt nach Siegen die Ehrenrunde mit der spanischen Flagge.