Spanien feiert am 23. April das Buch

Wenn der April nach Büchern duftet, dann ist Spanien mittendrin in seiner literarischen Jahreszeit. Zwischen Rosen und Romanen, Bühnen und Buchseiten feiert das Land die Kraft der Sprache. Nicht hinter verschlossenen Türen, sondern draußen, sichtbar und lebendig. Zwei Städte stehen dabei besonders im Rampenlicht: Alcalá de Henares, Geburtsort von Miguel de Cervantes, und Barcelona, die Verlagsstadt, die sich jedes Jahr in ein farbenfrohes Meer aus Geschichten und Gefühlen verwandelt.

von Alina Brammer

Am 23. April 2025, dem offiziellen Welttag des Buches, treffen sich in Spanien Literatur, Geschichte und Gesellschaft auf eindrucksvolle Weise. Es ist der Tag, an dem König Felipe im ehrwürdigen Auditorium namens Paraninfo der Universität Alcalá den renommierten Premio Cervantes verleiht – in diesem Jahr an den 85-jährigen Schriftsteller Álvaro Pombo.

Es ist auch der Tag, an dem ganz Katalonien – und vor allem Barcelona – das Fest des heiligen Georg (Sant Jordi) zelebriert: ein kulturelles Ritual, bei dem sich Paare, Freunde und Fremde gegenseitig mit Büchern und Rosen beschenken.

Die Feiern sind Teil eines größeren Rahmens. In Alcalá hat am 2. April das Festival de la Palabra begonnen – eine literarische Großveranstaltung mit mehr als 70 Programmpunkten an 22 Orten, das bis zum 11. Mai 2025 gefeiert wird.

Organisiert von der Universität Alcalá und dem Stadtrat, wird es unterstützt durch Kulturinstitutionen wie das Ministerio de Cultura und die Comunidad de Madrid. Der Kulturstadtrat von Alcalá de Henares, Santiago Alonso, hatte bereits 2024 die Bedeutung des Aprils betont:

„Es ist einer der kraftvollsten Monate im Kalender von Alcalá de Henares. Dank der Kultur und konkret des Wortes als Motor der Schöpfung. Das Ziel dieses umfangreichen Programms an Aktivitäten ist es, kulturelle Freizeit für alle Arten von Geschmäckern und für alle Altersgruppen rund um die faszinierende und inspirierende Welt der Bücher, der Literatur und des Lesens zu bieten.”

In Barcelona bereiten sich währenddessen Buchhandlungen, Verlage und Straßenverkäufer auf den wichtigsten Tag ihres Jahres vor. Getragen wird das Ganze auch von kulturellen Initiativen wie dem Festival Internacional de Cine de Barcelona-Sant Jordi (BCN Filmfest) und der Feria Literaria de Sant Jordi en Creu Coberta, aber auch durch die Beteiligung der Zivilgesellschaft und lokaler Politik.

So organisiert die Generalitat de Catalunya, die traditionelle Segnung der Rosen und verleiht der Sant-Jordi-Messe größere Bedeutung. Das Rathaus von Barcelona richtet großzügige Fußgängerzonen im Stadtzentrum ein, um den Feierlichkeiten mehr Raum zu geben. 

Während Deutschland nach Leipzig blickte, wo erst vor Kurzem die große deutsche Frühjahrsbuchmesse stattfand, lebt Spanien seinen Literaturfrühling auf eigene, besondere Weise. Nicht als Branchentreffen, sondern als Volksfest, als liebevolle Ehrung des geschriebenen Wortes, von der Schule bis zum Königshaus.

Denn die Sprache, das Buch, die Geschichte – sie sind in Spanien keine stille Kunst. Sie sind öffentliches Ereignis, kollektives Bekenntnis, Stolz einer Nation. Und dieser Stolz bekommt im April 2025 wieder ein Gesicht.

Alcalá de Henares: Literarisches Erbe trifft lebendige Stadt 

Im Herzen Spaniens, unweit von Madrid, entfaltet sich das jährliche Festival de la Palabra in Alcalá de Henares. Diese traditionsreiche Stadt verwandelt sich dabei in eine Bühne für die Worte.

Die Plaza de Cervantes wird zum pulsierenden Zentrum der 42. Feria del Libro de Novedad (Buchmesse), wo Verlage und Buchhandlungen ihre neuesten Werke präsentieren. In der Capilla del Oidor finden Lesungen, Buchpräsentationen und literarische Diskussionen statt, die den intimen Charakter des ehemaligen Sakralbaus nutzen.

Diese Orte werden durch sorgfältige Inszenierungen, Beleuchtung und Dekoration in literarische Erlebnisräume verwandelt, welche die Besucher in die Geschichte eintauchen lassen. Doch warum Alcalá de Henares? 
 
Die Stadt trägt den Titel UNESCO-Weltkulturerbe und das nicht umsonst. Bereits in der Antike war sie als Complutum bekannt, eine bedeutende römische Siedlung, deren Überreste noch heute besichtigt werden können.

Später erlebte die Stadt einen Aufschwung, als ein Kardinal namens Francisco Jiménez de Cisneros die dortige Universität gründete. Laut UNESCO ist diese Uni die erste der Welt und diente als Vorbild für andere akademische Zentren in Europa und Amerika.

Das übrigens pünktlich im Jahr 1499, also ein Jahr vor der beginnenden Neuzeit im Jahr 1500. Sie war der Mittelpunkt humanistischer Bildung und spielte eine Schlüsselrolle in der Verbreitung der spanischen Sprache. Das Konzept der “Civitas Dei“ (Stadt Gottes) wurde hier erstmals verwirklicht, ein Idealbild einer Stadt, die Bildung und Religion vereint. 

Die Uni zog zahlreiche Gelehrte und Schriftsteller an, die das Spanische Goldene Zeitalter prägten. Namen wie Lope de Vega, Francisco de Quevedo und Pedro Calderón de la Barca sind eng mit Alcalá verbunden, sei es durch Studium oder Lehre.

Der bekannteste Name unter den Schriftstellern ist jedoch Miguel de Cervantes Saavedra, der Autor des weltberühmten Romans Don Quijote. Geboren vermutlich am 29. September 1547 und getauft in der Kirche Santa María la Mayor, verbrachte Cervantes seine frühen Jahre in dieser Stadt.

Das Geburtshaus von Cervantes liegt in der heutigen Calle Mayor, eine der Hauptstraßen der Stadt, die von reicher jüdischer Geschichte zeugt und bekannt ist für ihre langen Arkadengänge, die zu den längsten in Europa zählen.

Inzwischen umgewandelt in das Museo Casa Natal de Cervantes, werden hier Besuchern Einblicke in das Leben und die Zeit des Schriftstellers geboten. Zudem beherbergt das Haus den Zyklus “Leer y recordar”, der bedeutenden spanischen Schriftsteller wie Ignacio Aldecoa, Ana María Matute, Ángel González und Carmen Martín Gaite gewidmet ist.

Für die spanische Kultur ist Cervantes von immenser Bedeutung. Sein Einfluss auf die spanische Sprache ist so tiefgreifend, dass sie oft als “la lengua de Cervantes“ bezeichnet wird. Sein Hauptwerk, Don Quijote, gilt als erster moderner Roman.

Alcalá de Henares ehrt seinen berühmtesten Sohn jährlich mit dem Mercado Cervantino, einem mittelalterlichen Markt, der Tausende von Besuchern anzieht und das kulturelle Erbe der Stadt zelebriert. Zudem wird der renommierte Premio Cervantes, der wichtigste Literaturpreis der spanischsprachigen Welt, jedes Jahr am 23. April im Paraninfo der Universität Alcalá von den spanischen Monarchen verliehen.

Der Cervantes-Preis: Wenn der König die Literatur ehrt

Der Premio Miguel de Cervantes, oft als der “Nobelpreis der spanischsprachigen Literatur“ bezeichnet, ist die höchste Auszeichnung für Autoren, die in spanischer Sprache schreiben. Seit seiner Einführung im Jahr 1976 ehrt dieser Preis jährlich Schriftsteller für ihr Lebenswerk und ihren bedeutenden Beitrag zur hispanischen Literatur.

Das Datum der Zeremonie, der 23. April, wurde nicht zufällig gewählt. Es ist der Todestag von Miguel de Cervantes und dient somit als Hommage an sein literarisches Erbe. 

In diesem Jahr wird der Preis an den spanischen Schriftsteller Álvaro Pombo verliehen. Geboren am 23. Juni 1939 in Santander, hat Pombo eine beeindruckende literarische Laufbahn vorzuweisen.

Er studierte Philosophie und Literatur an der Universität Complutense in Madrid und erwarb später einen Bachelor of Arts in Philosophie am Birkbeck College in London. Während seines Aufenthalts in London von 1966-1977 veröffentlichte er seinen ersten Gedichtband Protocolos im Jahr 1973.

Sein literarisches Schaffen umfasst sowohl Poesie als auch Prosa, wobei er für Werke wie El héroe de las mansardas de Mansard (1983) und Donde las mujeres (1996) bekannt ist. Sein Schreibstil? Ein einzigartiger Mix aus Ironie, Humor und tiefgehender psychologischer Analyse.

Die renommierte spanische Tageszeitung El País zitierte Álvaro Pombo in einem Interview mit den Worten: „Cervantes era un ‘pringao’ genial que sólo tuvo el talento y el buen humor.” Ein genialer Trottel, der nur Talent und guten Humor hatte.Das Königspaar Felipe und Letizia verleihen den Cervantes-Preis persönlich. Diese royale Präsenz soll zeigen, wie wichtig die Literatur für das Land ist.

Barcelona: Bücher, Rosen und Liebeserklärungen

Während in Alcalá de Henares noch die Stille der königlichen Ehrung nachklingt, rauscht Barcelona bereits wie ein offenes Buch durch die Straßen. Kein Festsaal, keine Bühne. Hier ist die Stadt selbst das literarische Schauspiel. Anderswo werden Preise überreicht, in Barcelona verschenkt man Geschichten. In gebundener Form, mit Widmung und eine Rose dazu. 

Der Día de Sant Jordi, also der Tag des Heiligen Georg, ehrt den Schutzpatron Kataloniens. Der Legende nach bedrohte ein furchterregender Drache ein Königreich und forderte täglich ein Menschenopfer. Als das Los auf die Tochter des Königs fiel, erschien der tapfere Ritter Sant Jordi, tötete den Drachen und rettete die Prinzessin. Aus dem Blut des Drachen soll ein Rosenstrauch erblüht sein, von dem Sant Jordi der Prinzessin eine rote Rose überreichte. 

Diese Erzählung bildet die Grundlage für die heutige Tradition, am 23. April Rosen zu verschenken. Seit dem 15. Jahrhundert findet an diesem Datum in Barcelona die “Liebenden-Messe” statt, bei der Männer ihren Partnerinnen eine rote Rose schenken. Im Laufe der Zeit entwickelte sich dieser Brauch weiter, und es wurde üblich, dass Frauen ihren Partnern im Gegenzug ein Buch schenken.

Diese Geste symbolisiert die Verbindung von Liebe und Kultur.

Parallel dazu erklärte die UNESCO 1995 den 23. April zum Welttag des Buches, um das Lesen und die Verlagswelt zu fördern. Dieses Datum wurde gewählt, da es mit den Todestagen von Miguel de Cervantes und William Shakespeare zusammenfällt.

Barcelona feiert den Día de Sant Jordi mit Herzblut. Auch Filmregisseur Pedro Almodóvar äußerte sich in den vergangenen Jahren positiv zu dieser Atmosphäre: „Es ist wunderbar, so viele Menschen mit guter Stimmung, so viel Lächeln und so viele Menschen zu sehen, vor allem, die sich um die Kultur sorgen.”

Und auch der uruguayische Schriftsteller Pablo Vierci, Autor von "La sociedad de la nieve" (Die Schneegesellschaft), ist fasziniert von dieser Tradition. Er sagt: „Das Buch berührt sowohl den emotionalen als auch den intellektuellen Teil des Menschen".

Ein zentraler Ort dieser Feierlichkeiten ist La Rambla, die als Promenade die Plaça de Catalunya mit dem Hafen verbindet. Diese etwa 1,2 Kilometer lange Allee ist gesäumt von Bäumen und bekannt für ihre lebendige Atmosphäre mit Straßenkünstlern, Blumenständen und Cafés.

Während des Festes reihen sich hier zahlreiche Stände mit Büchern und Rosen aneinander, die von Einheimischen und Touristen gleichermaßen besucht werden. Ein besonderes Highlight ist die Dekoration der Casa Batlló, eines der Meisterwerke des Architekten Antoni Gaudí.

Dieses Gebäude wird traditionell zum Sant Jordi mit roten Rosen geschmückt, die die Balkone und die Fassade zieren. 

Ein Frühling voller Geschichten

Literatur ist in Spanien kein Tagesereignis. Es ist ein ganzer Monat voller Bewegung, in dem Worte gefeiert werden wie Musik, Geschichten wie große Liebeserklärungen und Sprache wie ein Erbe, das geteilt werden will.

Hier geht es nicht nur um ein Event oder einen Programmpunkt, sondern um ein Gefühl. Dass Literatur in Spanien mehr ist als ein Kulturgut. Sie ist gelebte Gegenwart. Sie ist Teil des Selbstverständnisses. Sie ist öffentlich – sichtbar, hörbar, fühlbar.

Der 23. April ist nur der Höhepunkt – das Leuchten in einem ohnehin literarischen Frühling, der nicht in Bibliotheken beginnt, sondern auf Plätzen, in Stimmen und in der Luft. Und genau darin liegt die Magie: zwei Städte, ein Tag.

Doch zwei völlig verschiedene Arten zu lieben. Eine ehrt, die andere umarmt. Gemeinsam erzählen sie, wie eine Sprache nicht im Elfenbeinturm gepflegt wird, sondern unter Menschen lebt. 

Und wie ist das bei uns in Deutschland?

In Leipzig wird katalogisiert, verlegt und vorgestellt. Es wird diskutiert, sortiert, genetzwerkt. Eine wichtige Messe – aber mit Abstand. In Spanien dagegen wird der Abstand aufgehoben. Geschichten finden mitten auf den Straßen statt. Emotional. Laut. Zärtlich.

Was wir davon lernen können?

Dass Sprache nicht still sein muss, um stark zu sein. Dass Literatur nicht elitär sein muss, um groß zu wirken. Und dass Geschichten nicht nur gelesen, sondern geteilt werden wollen – im Café, auf der Plaza, mit einer Rose in der Hand. 

Oder wie es Miguel de Cervantes selber sagte: "Wer viel liest und viel reist, sieht viel und weiß viel" (El que lee mucho y anda mucho, ve mucho y sabe mucho).
Zitat von Miguel de Cervantes aus Don Quijote de la Mancha, Kapitel XXV.

Die Autorin

Alina Brammer ist Spanienmagazin-Expertin für Natur, Tierwohl und Kultur. Von ihr erschien auch ein Porträt des Schauspielers und Regisseurs Mario Casas