Spaniens Schauspieler Mario Casas im Porträt
Vom Jugendrebellen zum preisgekrönten Charakterdarsteller. Mario Casas hat in Spaniens Filmwelt längst Kultstatus erreicht. Mit jeder Rolle taucht er tiefer in Extreme ein. Von atemlosen Thrillern bis zum beklemmenden Kriegsdrama, er ist ein Schauspieler, der keine halben Sachen macht. Jetzt bringt er mit dem Action-Spionagefilm “Zeta” (2025) unter der Regie von Dani de la Torre eine neue dunkle Facette auf den Bildschirm. Der Film erscheint demnächst auf Amazon Prime Video.
Von Alina Brammer
Die Nacht liegt schwer über Barcelona, die Straßen glänzen wie zerbrochenes Glas im flackernden Licht der Neonreklamen. Ein Mann taumelt durch die Dunkelheit. Sein Atem keucht, bricht ab, setzt wieder ein – zu schnell, zu unkontrolliert, als hätte ihm jemand die Luft aus der Brust geschnitten.
Jeder Schritt hallt wie ein Schuss zwischen den engen Gassen wider und das Dröhnen der Stadt verschwimmt. Seine Hände zittern – nicht vor Kälte, sondern vor dem, was sie getan haben. Er rennt, stolpert, sieht Schatten hinter jeder Ecke und mit ihm taucht Mario Casas ein in einen Strudel aus Angst, Schuld und Wahnsinn, der ihm 2021 den wichtigsten Filmpreis Spaniens einbrachte: Den Goya.
Mario Casas: vom jungen Galicier zum spanischen Filmstar
Mario Casas Sierra (*12.6.1986 in A Coruña) hätte sich als Kind wohl kaum ausgemalt, dass er einmal zu den bekanntesten Schauspielern seines Landes zählen würde. Seine Eltern, Heidi Sierra und Ramón Casas, waren selbst noch Teenager als sie ihn bekamen.
Früh wagte die Familie aus dem spanischen Galicien einen Neuanfang in Barcelona, als Casas vier Jahre alt war. Sein Vater arbeitete in der Hauptstadt Kataloniens als Tischler und erledigte Bau- und Renovierungsarbeiten. Seine Mutter kümmerte sich um die wachsende Familie. Mario ist der Älteste von fünf Geschwistern und bezeichnet seine Familie als “sizilianisch”, mit einer starken Matriarchin im Mittelpunkt. Seine enge Verbindung zu ihnen zeigt sich in seinen Tattoos. Für jedes Familienmitglied trägt er die Initialen auf seiner Haut.
Vor der Kamera beginnt er als Kind und Werbegesicht. Seine ersten Träume waren Feuerwehrmann, Polizist oder Fußballer, doch nichts davon fesselte ihn richtig. Mit 18 zog er nach Madrid, um an der renommierten Schauspielschule Cristina Rota zu lernen.
Und sein Durchbruch lässt nicht lange warten: In der Jugendserie “SMS, sin miedo a soñar” (2006) sorgt er für Aufmerksamkeit. Dann folgt die erste Kinorolle in “El camino de los ingleses” (2006), inszeniert von niemand Geringerem als der Legende Antonio Banderas. Doch erst mit “Tres metros sobre el cielo” (2010) katapultiert er sich ins Rampenlicht – als rebellischer Hugo, gefangen zwischen wilder Liebe und unerbittlichem Schicksal.
Regisseur Fernando Gonzáles Molina inszeniert die Geschichte mit bildgewaltiger Intensität: Motorradrennen an der Küste, Sonnenuntergänge voller Sehnsucht, ein Rausch aus Freiheit und Schmerz. Der Film traf einen Nerv bei einer ganzen Generation. Eine erste Liebe, die alles verspricht und doch zum Scheitern verurteilt ist.
Mit seiner markanten Präsenz etabliert er sich jedoch schnell von einem romantischen Draufgänger zu einem führenden Kopf des spanischen Thriller- und Drama-Kinos. Besonders in “No matarás” (2020) riss Mario Casas das Publikum aus der Komfortzone. Ein Film, der keine Luft zum Atmen lässt.
Regisseur David Victori entfesselt eine nervenaufreibende Odyssee durch eine einzige Nacht, in der Dani (Mario Casas), ein unauffälliger Mann, an den Rand seiner Menschlichkeit getrieben wird. Casas liefert eine brutal ehrliche, physisch kompromisslose Performance, die ihm den Goya-Preis, die höchste und prestigeträchtigste Auszeichnung des spanischen Kinos, als Bester Hauptdarsteller einbrachte. Ein Thriller, der bei den Zuschauern die Frage aufwirft: Wie weit würdest du gehen, um zu überleben?
Der Fotograf von Mauthausen
Diese Frage wirft auch ein Licht auf seine Rolle in “El fotógrafo de Mauthausen” (2018), einem Kriegsdrama auf wahrer Begebenheit. Hierfür nahm der Schauspieler 12 kg ab, um die physische Erschöpfung und Mangelernährung eines KZ-Häftlings authentisch darzustellen.
Die Regisseurin Mar Targarona lobt Casas für seine Hingabe als Rolle des Francesc Boix. Sie betont im Interview mit dem spanischen Online-Magazin Espinof: „Er ist ein großartiger Schauspieler und ein großartiger Profi; das sollte man hervorheben. Es wurde viel darüber gesprochen, wie sehr er abgenommen hat, aber nicht darüber, dass er Deutsch gelernt hat und er einige sehr gut gespielte Szenen hat, und es ist gar nicht so einfach, in einer Sprache zu spielen, die nicht deine Muttersprache ist.”
Der Film beeindruckt mit einer kalten, bedrückenden Bildsprache, die die Grausamkeit des Lagers spürbar macht. Es ist eine intensive, visuell eindringliche und emotional aufwühlende Darstellung eines oft vergessenen Schicksals spanischer Republikaner, die nach dem Spanischen Bürgerkrieg von den Nazis als Staatenlose behandelt und in Konzentrationslager deportiert wurden.
„Für mich ist Javier Bardem mein Vorbild“
Mit voller Wucht wirft sich Mario Casas in seine Rollen und stößt oft an seine körperlichen und emotionalen Grenzen. Sein größtes Vorbild? Javier Bardem. In einem Interview (2024) sagt er: „Für mich ist es seltsam, das zu sagen, mich mit ihm zu vergleichen, aber für mich ist er mein Vorbild. Ich habe mir schon immer all seine Filme angesehen.“
Während Bardem wie ein langsam loderndes Feuer ist, dessen Intensität sich unterschwellig aufbaut und sich in einem einzigen Moment bedrohlich entlädt, brennt Casas hingegen lichterloh. Ein Flächenbrand, der sich unaufhaltsam ausbreitet. Bardem, der mit kleinen Gesten und kaum merklichen Wandel in der Stimme eine Welt voller Emotionen erschafft. Casas, der seine Gefühle ungefiltert und roh in den Raum schleudert, bis nichts mehr bleibt außer dem Puls seines Charakters, wie 2017 im Film Bajo la Piel del Lobo (Die Haut des Wolfes).
Beide spielen Männer am Abgrund, Figuren, die kämpfen, die lieben, die verlieren. Beide sind so erfolgreich wie kaum ein anderer Schauspielkollege aus Spanien. Doch ihre Wege dorthin können unterschiedlicher nicht sein. Bardem ist der Jäger, der im Schatten lauert. Casas der Krieger, der sich mit bloßen Fäusten in den Sturm wirft.
Willkommen Sport, adiós Alkohol
Privat bleibt Casas oft verschlossen und spricht selten über sein emotionales Beziehungsleben oder persönliche Angelegenheiten. Bekannt ist, dass er mit Schauspielkolleginnen, unter anderem María Valverde, die er am Set von “Tres metros sobre el cielo” kennenlernte, liiert war. 2024 sprach er jedoch erstmals in der TV-Sendung “La Revuelta” über ein sehr persönliches Thema – über seinen Verzicht auf Alkohol.
Er geht damit ehrlich an die Öffentlichkeit und betont, dass Alkohol oft als Brücke der Vernetzung und Gespräche in seinem Leben diente. Das macht ihn für viele Menschen mit ähnlichen Erfahrungen nahbar und greifbar.
Heute lebt er gesundheitsbewusst und hat sich 2025 auch vom Tabakkonsum abgewendet. Stattdessen setzt er nun auf Boxen und Gewichteheben als festen Bestandteil seines Alltags: „Für mich ist Sport jetzt wie Essen, es ist eine Form der Selbstfürsorge.”
Dabei bleibt ihm seine Familie eng verbunden. Sein jüngerer Bruder, Óscar Casas, tut es ihm gleich. Er ist nicht nur als Schauspieler längst in seine Fußstapfen getreten, sondern entschied sich ebenfalls für ein nüchternes Leben.
"Mario Casas ist unser Marlon Brando"
Spanien-Reisemagazin hat Regisseur Dani de la Torre gefragt, was er von seinem Star Mario Casas im neuen Film Zeta denkt. Hier seine Antwort:
"Mario ist ein außergewöhnlicher Schauspieler. Sehr vielseitig, sehr körperlich und gleichzeitig sehr technisch, mit einer Beherrschung der Stille, des Blicks. Er ist hart und zart zugleich. Er ist unser Marlon Brando. In Zeta zeigt er all diese Facetten"
Regiedebut mit Meine Einsamkeit hat Flügel
Mit dem Film “Mi soledad tiene alas” (2023), wo Óscar eine Hauptrolle spielt, wagt sich Mario Casas nach Jahren auf die Seite des Geschichtenerzählers hinter der Kamera. Sein Regiedebüt ist roh, authentisch, mit einem Blick für die Realität, was an seine eigene Karriere erinnert.
Doch er bleibt seinen Wurzeln treu. Mit “El secreto del orfebre”, der am 28. Februar 2025 erschien, kehrt Mario Casas vom intensiven Thriller zu den großen Liebesgeschichten zurück – ein Genre, das ihn einst zum Star machte. Damals ein ungestümer Rebell, der die erste große Liebe verkörperte, spielt er nun einen Mann, dessen Gefühle die Zeit überdauern.
Die Verfilmung des Romans von Elia Barceló zeigt ihn in einer Geschichte voller Sehnsucht, verpasster Chancen und der Frage, ob echte Liebe jemals vergeht.
Und wir sagen: Nein! Denn so erfolgreich Casas auch sein mag, er ist ein Top-Gesicht des spanischen Films. Ob auf der großen Leinwand oder in Netflix-Produktionen, er bleibt nicht nur seinem Genre treu. Seine bewusste Entscheidung, in der spanischen Branche zu bleiben, in der viele Schauspieler wie Javier Bardem oder Penélope Cruz den Sprung nach Hollywood gewagt haben, zeigt: Heimat ist ihm wichtig.
Trotz geringerer Gagen als in den USA oder Großbritannien, gewinnt Spaniens Filmindustrie zunehmend an internationalem Gewicht. 2025 wurde Spanien bei der Berlinale als Country in Focus hervorgehoben. Ein Zeichen für die wachsende Anerkennung spanischer Produktionen.
Doch bei aller Liebe zur Spanien: Mit Hauptrollen wie in “Escape” (2024) mit Martin Scorsese als Executive Producer scheint die Tür für Mario Casas zur internationalen Bühne offen zu stehen. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis er sich an das nächste Abenteuer wagt.