Leben & Legende: Spaniens Ritter El Cid

Wie viel Held braucht die Nation? Hätten die Menschen im 11. Jh. schon etwas von Merchandising verstanden, wäre Kastilien überschwemmt worden mit Fan-Artikeln seines Nationalhelden El Cid. Jedes Kind hätte das Schwert Tizona in Miniaturform gehabt und Hengst Babieca als Plüschtier.

von Eva Schürg

Denn die Spanier lieben ihren Cid nicht nur, sie verherrlichen ihn seit jeher als Beschützer des Christentums und Bezwinger der Mauren. Ob der kastilische Ritter als ideologisch verklärter Nationalheld wirklich taugt, ist indes fraglich.

Rodrigo Díaz de Vivar kommt um 1043 als Sohn eines Kleinadeligen nahe Burgos zur Welt. Nach dem Tod seines Vaters wird der knapp 15-jährige am Hof des Königs von Kastilien und León, Ferdinand des Großen, mit dessen Sohn Sancho zum Ritter erzogen.

Als Ferdinand stirbt und das Reich unter den drei Söhnen aufgeteilt wird, schließt sich Rodrigo seinem Ziehbruder Sancho an. Seinem Beinamen El Campeador (Kämpfer bzw. Champion) macht er als Truppenführer alle Ehre.

Raubritter oder Verteidiger der Christen

Soweit so gut, bis hierhin ist die Heldenkarriere quasi vorgezeichnet. Doch dann wird der König getötet und Rodrigo fällt beim neuen König, Alfons VI., in Ungnade.

Er wird aus seiner Heimat Kastilien verbannt und geht ausgerechnet an den Hof des maurischen Fürsten al-Mu’tami nach Zaragoza.

Dort gründet er eine Sölndertruppe und finanziert sich mit Beutezügen. Der „Warlord“ und seine Männer kämpfen gegen benachbarte Regionen, egal ob christliche oder islamische.

Ironie der Geschichte: der Beiname, mit dem die Spanier ihren Verteidiger der Christenheit benennen, stammt vom arabischen Wort Al Sayyid (der Herr) ab.

Der Mythos vom toten Reiter

Als die nordafrikanischen Almoraviden von den maurischen Fürsten ins Land gerufen werden und immer weiter nach Norden vorrücken, wechselt Rodrigo ganz in Söldnermanier wieder die Seite und verbündet sich erneut mit dem kastilischen König. Seine Truppe erobert Valencia.

Bis zu seinem Tod am 10. Juli 1099 beherrscht er das Königreich als oberster Richter und Señor (Herr) und wehrt erfolgreich den Ansturm der Almoraviden ab.

Sein Ruf als erfolgreicher Ritter und Militärstratege im Kampf gegen die Mauren wird zum Mythos „El Cid“.

Auch die Legende über seinen Tod passt dazu: In einer Schlacht binden seine Mitkämpfer den Leichnam ihres Herrn auf sein Pferd und schicken ihn ins Getümmel.

Seine Leute erringen daraufhin einen glänzenden Sieg über die zu Tode erschreckten Berber.

Epos für die Ewigkeit

Schon das altspanische Epos „El Cantar de Mio Cid“ (die älteste Handschrift stammt aus dem Jahr 1235) verherrlicht El Cid als Idealfigur spanischen Rittertums und stellt ihn sogar als Vorreiter der Kreuzzugsidee dar.

In einer alten Chronik heißt es über seinen Tod: „Die Männer schlugen sich mit den Fäusten auf die Brust, die Frauen kratzten sich das Gesicht mit ihren Nägeln blutig und streuten Asche auf ihr Haupt; das Wehgeschrei erfüllte die Luft, und tagelang konnte man Jammern und Klagen vernehmen.“

El Cid ist tot – es lebe der Nationalheld

Heute, fast 1000 Jahre später, sind Merchandising und Produktpolitik allgegenwärtig. Auch deshalb heißen in Spanien fast so viele Restaurants und Herbergen El Cid wie Spanierinnen María.

Seit 2007 wandeln Verehrer des Mythos Cid auf dem „Camino del Cid“ von Schauplatz zu Schauplatz des spanischen Richard Löwenherz. Auch die Filmbranche hat den Ritter ohne Furcht und Tadel längst entdeckt: Jüngstes Werk über den fragwürdigen Helden ist der Animationsfilm von José Pozo aus dem Jahr 2003 „El Cid – Die Legende“ (siehe youtube unten).

Und heute? Irgendwo in Spanien kämpfen bestimmt ein paar Jungs mit einem kleinen „Tizona-Schwert“ gegen das Böse. Doch heute ganz ohne ideologisches Beiwerk.

Die Autorin

Eva Schürg ist Rundfunkjournalistin und Autorin mehrerer Bücher. Als Historikerin führt sie Besucher durch das Haus der Geschichte Baden-Württemberg, die Stauffenberg-Erinnerungsstätte und das Gefängnismuseum Hohenasperg.

Weiterführende Literatur

Stöcker, Marco: El Cid – Realität und Mythos, Kassel, 2010

Fletcher, Richard: El Cid. Leben und Legende des spanischen Nationalhelden. Eine Biografie, Berlin, 1999

Der Cid - das altspanische Heldenepos, aus dem Spanischen übersetzt von Fred Eggarter, Stuttgart, Reclam

Isabel Blanco del Piñal: Maurenland, Christenland: Ein Ritter, ein König und ein Poet: drei Jahrhundert spanische Reconquista, München, 2008

Bossong, Georg: Das Maurische Spanien. Geschichte und Kultur, München, 2010