Spaniens Feste: Die Liebenden von Teruel
Jeder kennt das Stiertreiben in Pamplona und den Karneval auf Teneriffa. Doch keine Fiesta liegt den Bewohnern einer Stadt so am Herzen wie das mehrtägige Event "Die Hochzeiten der Isabel de Segura" in Teruel. Die aragonesische Metropole verwandelt sich dabei in eine mittelalterliche Kleinstadt. Und die Organisatoren sorgen für eine darstellerische Qualität, die einzigartig in ganz Spanien ist.
von Tobias Büscher
Teruel - Die Mutter setzt ihren dreijährigen Sohn auf einen Holzsitz, der an Ketten hängt. Kurz darauf tritt die Betreiberin in die Pedalen und das Karussell nimmt Fahrt auf. Ganz ohne Strom, denn den gab es im 13. Jahrhundert noch nicht.
Überhaupt, bei dieser Fiesta hier erinnert wenig an das 21. Jahrhundert. Statt Polizisten sorgen Tempelritter mit rotem Kreuz auf weißem Umhang für Ordnung. Und selbst mein Presseausweis sieht aus wie die Steuerkarte eines mittelalterlichen Gemüsehändlers.
Das Drehbuch der tragischen Handlung
In Teruel wird im Oktober und Februar nachgespielt, was die Geschichte ausmacht. Es war also einmal Isabel, Tochter des reichsten Mannes von Teruel, und Diego aus der Unterschicht. Sie verlieben sich und wollen heiraten. Der Vater lässt das nicht zu. Er gibt Diego aber fünf Jahre Zeit, im Kampf gegen die Mauren zu Ruhm und Ehre zu gelangen.
Als der Vater in der Zwischenzeit den Adelssprößling Don Pedro aus Albarracín als Gemahl ins Spiel bringt, wehrt sich Isabel immer noch, obwohl sie nichts von Diego gehört hat. Dann aber kommt die Nachricht, Diego sei auf dem Schlachtfeld erschlagen worden.
Isabel muss nun Pedro heiraten (erste Hochzeit) um am nächsten Tag zu erleben, dass Diego lebendig in der Stadt aufgetaucht ist. Er schafft es sogar auf den Balkon der frisch Vermählten (siehe Bild oben), doch ein Kuss bedeutete damals Ehebruch. Vor Schmerz stirbt Diego, aufgebahrt bekommt er doch noch einen Kuss von Isabel, die darauf ebenfalls tot zu Boden fällt (zweite Hochzeit).
Solch tragische Liebesgeschichten gibt es viele, von Romeo und Julia bis Jan von Werth und Griet. Was in Teruel aber erstaunlich ist, sind die Mumien einer Frau und eines Mannes, die um 1217 gemeinsam beerdigt wurden, bis heute die Zeit überstanden haben und nach wie vor gewaltig die Phantasie anregen.
1533 tauchten diese beiden Mumien in der Kirche San Pedro auf und fortan hieß der Fundort " Kapelle der Liebenden". 1955 schließlich fertigte ein Künstler die Sarkophage aus Alabester an. Sie gehören heute zu den Top-Sehenswürdigkeiten der Stadt.
Isabel zwischen Last und Leidenschaft
Heute ist der große Tag. Da spielt Teruel die Ankunft Diegos mit den christlichen Truppen in die Stadt, wir werden sehen, wie er sich heimlich auf den Balkon von Isabels Haus schleicht, sich einen Kuss erhofft und das Drama seinen schaurigen Verlauf nimmt.
Für so etwas braucht man als Fotograf eine Pole-Position. Nur ein Motiv zählt: Das Bild, auf dem sie sich fast küssen. Mit gespieltem Selbstbewusstsein und garniert mit dem Presseausweis laufe ich Richtung Bühne, wo Diego zunächst auftritt. Und auf dem Balkon im Haus schräg gegenüber seine Isabel entdeckt.
Ein Tempelritter mit riesiger Pranke fasst mir auf die rechte Schulter: "Komm mal mit, mein Junge, setz Dich da zwischen die Benediktinerinnen und die Bauernjungs. Auf den Popo. Von dort hast Du den besten Blick auf das Geschehen."
Auf den Popo? Als Fotograf? Als er weg ist, hocke ich mich hin, jederzeit zum Absprung bereit. Die Benediktinerinnen kichern, die Bauernjungs gucken mich schräg an:
"Wo kommst Du denn her?"
"Aus Deutschland"
"Ach so".
Bereits am Vortag war ich da, habe mit meinen Kollegen vom Diario de Teruel die erzwungene Hochzeit erlebt. Und gestaunt, wie gut Pilar Fuertes Überschriften kann. Am Samstag, 22. Februar 2025 zitiert sie Isabel, die ihrem verhassten Gemahl entgegenschleudert:
Don Pedro, ich zweifel nicht daran, dass Ihr ein guter Ehemann wäret, aber ich liebe Euch nicht und ich werde Euch auch nie lieben.
Die Heldinnen hinter den Kulissen
Die Nonnen gucken jetzt gebannt auf die Szene, in der Diego Isabel auf dem Balkon trifft. Es ist eine merkwürde Stille plötzlich. Kein Pieps ist zu hören. Fiestas in Spanien sind normalerweise unglaublich laut: Böller, Raketen. satter Sound. Ich vergesse fast zu fotografieren, blicke in die Gesichter der Jungs neben mir mit weit aufstehendem Mund. Und ertappe mich dabei, dass mir fast die Tränen kommen. Nicht mal ein Rascheln. Teruel hält den Atem an.
Zwei Tage zuvor steht Isabel (Andrea Gálvez) in der Fundación vor der Ankleide, wo sie sich gerade hat schminken lassen. Die 25-Jährige hat sich in der Endrunde im vergangenen August gegen 125 hochmotivierte Mitbewerberinnen durchgesetzt und sich einen Traum erfüllt: Einmal Isabel zu sein, in Teruel am Guadalvia.
Sie erzählt mir, dass die Stiftung und die Bürgermeisterin ganz schön harte Trainer geholt haben für ihre Rolle: Einen TV-Komödianten und eine Theater-Regisseurin aus Zaragoza.
Und sie lässt durchblicken: Diego sei ein schöner Mann, ihr erzwungener Gemahl hätte aber ruhig etwas hässlicher sein können.
Die Bewohner feiern im nächsten Jahr 3o-jähriges Jubiläum. Und hoffen, dass das Tourismusministerium in Madrid die Bodas de Isabel vorher zum Fest ersten Ranges aufsteigen lässt. Denn dadurch bekämen Bürgermeisterin Emma Buj und die Stiftung 40.000 Euro mehr für die Vorbereitung. Was natürlich nicht reicht. Es gibt aber auch viele Spender.
Am 23. Februar titelt der Diario de Teruel: Die zerbrochene Seele wegen eines Kusses. Und im Leitartikel der Ausgabe heißt es: "Ein Kuss ist stärker als Tausend Kriege".
Ja klar, das lässt sich leicht sagen, wenn keine maurische Übermacht vor den Stadttoren Teruels steht. Wie damals im Jahr 1217.
Es ist der 23. Februar 2025. In Deutschland kommt Merz an die Macht. In Aragón feiern sie den 125. Geburtstag des Regisseurs Luis Buñuel.
Und in Teruel treffe ich noch einmal den Tempelritter mit der riesigen Pranke: "Und, hast Du gute Fotos gemacht?"
"Ja Chef, Du hast mich ja schließlich beschützt."
Der Autor
Tobias Büscher, Leiter dieses Magazins, im Interview mit TV-Aragón. Sein Lieblingsmaler ist Francisco de Goya. Und der stammte auch aus dem Aragón.