El País: Spaniens Zeitung ist heute eine wankende Ikone
Millionenverluste, Verkauf des Mutterkonzerns und viele entlassene Redakteure: Spaniens größter Tageszeitung El País bleibt wenig erspart. Sogar Chefredakteur Javier Moreno muss seinen Hut nehmen, ähnlich wie seine Kollegen von El Mundo und La Vanguardia. Seit 2021 ist Pepa Buena Chefredakteurin von El País.
von Claudia Meier-Kortwig
Sie gilt als Symbol für den spanischen Weg in die Demokratie. Hans Magnus Enzensberger nannte sie „eines der besten Blätter der Welt“. Doch die Wirtschaftskrise und insbesondere die Krise des spanischen Zeitungsmarktes rütteln an den Festen der spanischen Ikone El País.
Zur Lage der traditionellen Medien in Spanien sagt der Journalist Pere Rusiñol: „Die Krise ist so akut, dass der einzige Zweifel darin besteht, ob sie noch atmen oder ihren Atem schon ausgehaucht haben“. Ganz so schlecht ist es um El País glücklicherweise noch nicht bestellt.
Dennoch: Die führende spanische Tageszeitung schreibt seit Jahren Verluste. 2007 lagen die Tagesverkäufe noch bei 435.000 Exemplaren, 2021 waren bereits gesunken auf 74.350.
Chefredakteur entlassen aus politischem Druck?
Zum 4. Mai 2014, dem 38. Geburtstag des Blattes, musste Chefredakteur Javier Moreno seinen Platz räumen. Sein Nachfolger war der langjährige Washington-Korrespondent Antonio Caño.
Moreno ist der zweite von drei Chefredakteuren renommierter spanischer Zeitungen, die innerhalb von drei Monaten ihren Job verloren hatten.
Zuerst traf es Pedro J. Ramírez, den Gründer und Chefredakteur von El Mundo, danach wurde Morenos Entlassung bekannt und im Anschluss die von José Antich von der Zeitung La Vanguardia aus Barcelona.
Konnte diese Häufung Zufall sein? Linke Kreise vermuteten den Einfluss der konservativen Regierungspartei unter Mariano Rajoy hinter den Entlassungen.
Debut: wirtschaftlich unabhängig
Aber hatte El País nun tatsächlich ihre politische Unabhängigkeit eingebüßt? Oder spielten Morenos ausbleibende Erfolge im Kampf gegen den finanziellen Niedergang doch die entscheidendere Rolle? Eine eindeutige Antwort darauf gab es nicht.
Sollte jedoch der Einfluss der damaligen Regierungspartei hinter dem Rauswurf stecken, ist es mit El País weit gekommen. Als die Zeitung am 4. Mai 1976 erstmals erschien, fünf Monate nach dem Tod des Diktators Franco, hatten sich dafür 500 Intellektuelle unterschiedlichster politischer Couleur zusammengetan: von Kommunisten bis hin zu Erz-Konservativen.
Und kein Aktionär des Verlagshauses PRISA durfte mehr als 5 Prozent der Anteile halten. Das sollte ein Garant sein für politische und wirtschaftliche Freiheit. Das Konzept ging auf und brachte der Zeitung auch im Ausland viel Anerkennung.
Berggruen Holding übernimmt die Mehrheit bei PRISA
2010 ging es PRISA dann aber wirtschaftlich so schlecht, dass 57 Prozent des Verlagshauses an die Investmentholding Liberty Aquisition von Nicolas Berggruen verkauft werden mussten.
Ein gravierender Bruch mit den Werten der Gründer. 2012 entließ El País ein Drittel seiner Belegschaft, allein 129 Redakteure mussten gehen. Ohne Qualitätseinbußen ist das nach allgemeiner Ansicht kaum möglich. Die regionale Berichterstattung wurde bereits auf ein Minimum reduziert.
Dabei sollte El País, wie es der Name sagt, eine Zeitung für das ganze Land sein, die von Bürgerkrieg und Diktatur gespaltene Bevölkerung der „las dos Españas“ zusammenführen und den Weg in die Demokratie ebnen. Beides gelang.
Starke Rolle beim Militärputsch im Februar 1981
Legendär ist vor allem der beherzte Einsatz der Redaktion bei dem Militärputsch am 23. Februar 1981, kurz 23-F. Noch während das Militär unter dem Kommando von Oberstleutnant Antonio Tejero die Abgeordneten im Parlament gefangen hielt, brachte El País innerhalb von zwei Stunden eine Sonderausgabe auf die Straße.
Ihre Antwort auf den Angriff auf die junge Demokratie lautete: „El País con la Constitución“ - ein kämpferisches Bekenntnis zur demokratischen Verfassung des Landes.
Print in der Krise, online rechnet sich noch nicht
Weniger eindeutig ist dagegen die Antwort der Zeitung auf die digitale Revolution. Mit etwa 13 Millionen Unique Usern hat sich El País zum führenden spanischsprachigen Onlinemedium entwickelt.
Bereits 1996 startete der Verlag den Onlineauftritt El País digital. Ende 2002 kam dann ein Bezahlsystem für die digitale Version der Zeitung.
Die Folge war ein drastischer Einbruch der Besucherzahlen. Nutznießer war das Konkurrenzangebot von El Mundo, dessen Inhalte weiterhin überwiegend frei verfügbar blieben. Im Juni 2005 gab El País auf und kehrte zu den kostenfreien Inhalten zurück.
Nach Ansicht des Herausgebers und Gründers Juan Luis Cebrián hat Print im Gegensatz zu Online keine Zukunft. Doch wie die Zeitung mit Online Gewinne machen kann, weiß offenbar auch er nicht.
Portugiesische Version zur WM: El País mit der Edicao Brasil
Deshalb kämpft die größte Tageszeitung Spaniens jetzt ums Überleben. Trotz ruhmreicher Vergangenheit und glänzender Autoren wie Antonio Muñoz Molina, Javier Marias und dem peruanischen Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa.
Aber wer mit dem Rücken zur Wand steht, sollte am besten nach vorn gehen. Das hat sich wohl das Verlagshaus gedacht und im Jahr vor der WM (November 2013) ein portugiesische Online-Version von El País für den brasilianischen Markt herausgebracht. Einen teils kostenfreien Online-Auftritt dazu gibt es auch. Wird das die Zeitung retten?
Heute ist die Lage von El País schwierig. Bezahljournalismus ist in Spanien kaum gefragt und die Anzeigen sind durch die Coronakrise auch zurückgegangen.
Ob sich das alte Schlachtschiff des spanischen Journalismus zumindest im Print noch lange halten kann, ist unsicher. Die Süddeutsche schrieb unlängst Journalismus sei in Spanien ein Hungerjob.
Die Autorin
Claudia Meier-Kortwig ist Regionalwissenschaftlerin Latein-Amerika, arbeitet als Wirtschaftsredakteurin, Texterin und in Zukunft immer mehr online. Besonders gerne reist sie nach Spanien und Kolumbien.