Mehr Schutz für die Naturlandschaft Picos de Europa
Die Picos de Europa sind mit majestätischen Bergen und faszinierenden Tieren der älteste Nationalpark Spaniens. Auch wenn die Erderwärmung und Overtourism Sorgen bereiten: Stiftungen wie die Fundación para la Conservación del Quebrantahuesos (FCQ) setzen sich für die Vermehrung der bedrohten Bartgeier ein und zeigen: Die Natur hat eine Chance.
von Alina Brammer
Doch wie lässt sich dieser einzigartige Raum bewahren, ohne die Menschen zu vergessen, die hier leben? Die Herausforderung besteht darin, Naturschutz und regionale Entwicklung miteinander zu vereinen, statt sie gegeneinander auszuspielen.
Um genau das zu erreichen, setzt die Regierung von Asturien auf eine Reihe nachhaltiger Maßnahmen. Umweltfreundliche Mobilitätskonzepte, Wassereinsparung, erneuerbare Energien und energetisches Bauen sollen dazu beitragen, die Region langfristig zu schützen.
Auch die Gemeinden im Umfeld des Nationalparks profitieren von gezielten Förderprogrammen. 248.000 Euro investiert die Regierung Asturiens in den Erhalt der Natur und des kulturellen Erbes. Sechs Gemeinden (Amieva, Cangas, Onís, Cabrales, Peñamellera Alta und Peñamellera Baja) bekommen Fördergelder.
Bis August 2025 müssen sie nachweisen, dass sie die Gelder sinnvoll eingesetzt haben.
2 Millionen aus dem EU-Programm Next Generation
Neben diesen regionalen Initiativen fließen über 2 Millionen Euro aus dem EU-Programm Next Generation in nachhaltige Projekte. Das soll den Naturschutz und die wirtschaftliche Entwicklungen in Einklang bringen. Eine Aufgabe, die in enger Zusammenarbeit mit den lokalen Behörden und dem Organismo Autónomo Parques Nacionales (OAPN) umgesetzt wird.
Der Wolf stand zum Abschuss, heute steht er unter Schutz
Auch Landwirte und Viehzüchter spüren den Wandel. Wo früher noch freies Weideland war, regeln heute Naturschutzauflagen, was noch möglich ist. Die Angst geht um, dass mit den Feldern auch ein Stück Lebensgrundlage verschwindet. Was passiert, wenn niemand mehr bleibt, um die Landschaft zu pflegen? Ohne Menschen, ohne Weidetiere, ohne gelebte Traditionen drohen offene Flächen zu verbuschen und wertvolle Agrarlandschaften gehen verloren.
Auch die Wölfe kehren zurück: Ein Erfolg für den Artenschutz, doch Viehzüchter sind in Sorge. Für die einen sind sie ein Symbol der Wildnis, für die anderen eine Bedrohung für ihre Tiere. Während die einen Schutzräume fordern, kämpfen die anderen darum, dass ihre Lebensweise nicht zum Relikt der Vergangenheit wird.
Avelino Cárcaba, ein engagierter Bergsteiger, Aktivist und Gründer des Colectivo Montañero por la Defensa de los Picos de Europa, hat in einem Interview gesagt: „Die Bevölkerung, die sich dagegen wehrt, tut dies, weil sie die versprochenen Vorteile nicht erhalten hat. Um das zu ändern, müssen die in der Parkdeklaration vorgesehenen Maßnahmen und Pläne umgesetzt werden.“
Zu diesen versprochenen Vorteilen zählten unter anderem die Förderung der traditionellen Viehwirtschaft, der Ausbau nachhaltiger Tourismusangebote und eine bessere Infrastruktur. Doch vieles davon wurde nur unzureichend umgesetzt.
So gibt es in einigen Gemeinden Probleme mit der Abfallentsorgung und Landwirte kämpfen mit wachsendem bürokratischen Aufwand, während Schutzprogramme für Wildtiere Vorrang haben.


Ein Nationalpark, drei regionale Behörden
Drei Regionen teilen sich die Verantwortung für den Park. Oft bedeutet das drei unterschiedliche Meinungen, verzögerte Entscheidungen und wenig Klarheit für die Menschen, die hier leben. Auch hier bleibt wieder die Frage: Wie lässt sich Naturschutz mit regionaler Entwicklung vereinen, ohne die einen zu verlieren, um die anderen zu retten?
Über Jahrtausende hinweg, lange vor der Gründung 1918, hat der Mensch in den Picos de Europa seine Spuren hinterlassen. Siedlungen kamen und gingen, doch die raue Schönheit dieser Landschaft blieb.
Schon vor 20.000 Jahren hinterließen prähistorische Gemeinschaften ihre Zeichen, verewigt in den Felsmalereien der Buxu-Höhle. Heute zählen die Picos zu den artenreichsten Regionen Europas mit zwei handfesten Herausforderung: Klimawandel und Landflucht.


Schmelzende Schneedecke, veränderte Brutzeiten
Die Veränderungen sind längst spürbar. Die Winter werden kürzer, die Sommer heißer. Mit jedem Jahr schwindet die schützende Schneedecke auf den Gipfeln. Wasserquellen trocknen aus, Brutzeiten verschieben sich.
Die Natur gerät aus dem Gleichgewicht. Während sich die Tierwelt anpasst, kämpfen Pflanzen und ganze Ökosysteme, um zu überleben. Das Klima ist die eine Sorge, der Mensch die andere.
Seit 1950 hat sich die Bevölkerung halbiert. Wo einst Bauern mit ihren Herden die Täler durchstreiften, breiten sich nun dichte Büsche und Wälder aus. Was für den Naturliebhaber idyllisch klingen mag, bedeutet für viele Wildtiere den Verlust ihrer gewohnten Lebensräume.
Mit den Bauern verschwindet auch ein Wissen, das über Generationen weitergegeben wurde. Eine tiefe Verbundenheit mit dem Land, das Verständnis für den Kreislauf von Beweidung und Landschaftspflege.
Aquatische Ökosysteme
Verstärkter Naturschutz soll dieser Entwicklung entgegenwirken. Aquatische Ökosysteme werden wiederhergestellt, bedrohte Arten wie der Bartgeier geschützt und nachhaltige Besucherregelungen eingeführt. Die Mammutaufgabe lautet: den Zauber der Picos zu bewahren, ohne die Türen für kommende Generationen zu verschließen.
Große Pläne allein reichen nicht. Um wirklich zu verstehen, warum der Schutz der Picos de Europa so entscheidend ist, lohnt sich ein Blick auf das, was sie so besonders macht. Wie sah diese raue Bergwelt einst aus? Welche Tiere haben hier überlebt? Und warum ist dies der einzige bewohnte Nationalpark Spaniens?
Lange bevor moderne Schutzmaßnahmen ins Spiel kamen, war diese Landschaft bereits ein Zufluchtsort für seltene Arten und Schauplatz bedeutender historischer Ereignisse.
Schneehühner auf Kalksteinfelsen
Die Picos de Europa verteilen sich über die Regionen Asturien, Kantabrien, Kastilien und León. Sie bilden die größte Kalksteinformation des atlantischen Europas. Als Teil des Kantabrischen Gebirges sind sie geprägt von dramatischen Gipfeln, tiefen Tälern und markanten Karstformationen, die eine spektakuläre Kulisse erschaffen.
Der Autor Oliver Kneip (Ein Zimmer, Küche, Bart) beschreibt seine erste Begegnung mit den Picos de Europa als fast unwirklich schön:
"Ich durfte die Picos bei idealen Bedingungen kennenlernen. Blauer Himmel (zumindest oberhalb der Wolken), gelbe Sonne, grüne Wiesen und tiefblaue Seen, die das ikonische Bergpanorama widerspiegelten. Und ringsum die vielen Rinder mit ihren gigantischen Hörnern. Es sah fast schon zu perfekt aus, wie eine Kulisse. Da ich von der Existenz der Picos erst kurz vorher erfahren hatte, fühlte ich mich in eine andere, nahezu paradiesische Welt entführt. Und die Tatsache, dass sich dort in den Menschen, den Bräuchen und den Gerichten keltische Wurzeln mit spanischem Flair zu etwas ganz Eigenem vermischen, fasziniert mich auch.“
Diese raue, ungezähmte Natur ist seit Jahrhunderten eng mit dem ländlichen Leben verbunden. Vor über 100 Jahren wurden die Picos de Europa zum Nationalpark erklärt, um diese einzigartige Landschaft und ihre Bewohner zu schützen.
Heute sind sie ein wichtiger Rückzugsort für seltene Tier- und Pflanzenarten. In und an den Flüssen der Picos de Europa leben Bachforellen, Lachse, Frösche, Otter, Krebse und der sehr seltene Bergmolch. Laut der Webseite des Nationalparks gibt es zudem neben den seltenen Auerhühnern und Braunbären Spechte, Stare, Blaumeisen und Hirschkäfer.
Dazu kommt Rotwild, der Iberische Wolf, Marder, Dachse und Ginsterkatzen, Ginsterhasen und Schneehühner. Und besonders beachtlich: Neben den Geiern und den wenigen Steinböcken leben in den Picos de Europa 134 verschiedene Schmetterlingsarten, darunter der hyperaktive Schwalbenschwanz mit bis zu acht Zentimetern Flügelspannweite. Diese Insektenvielfalt ist einzigartig in ganz Spanien.
Einzig bewohnter Nationalpark Spaniens
Das Besondere ist: Es handelt sich um den einzigen bewohnten Nationalpark Spaniens. Obwohl das Wohnen in Nationalparks normalerweise verboten ist, wurde hier eine Ausnahme gemacht. Elf Ortschaften liegen innerhalb der Schutzgebiete.
Statt die Bewohner umzusiedeln, schufen die spanische Regierung und die regionalen Behörden einen rechtlichen Rahmen zum Erhalt der Natur und der traditionellen Lebensweisen. Die Menschen hier sind ein Teil des Ökosystems.
Ohne sie würden hier nicht nur Weideflächen verbuschen, sondern auch wirtschaftliche Strukturen wegbrechen – darunter die traditionelle Viehzucht, die Produktion regionaler Spezialitäten sowie der nachhaltige Tourismus.
Auch familiengeführte Betriebe der Einheimischen würden ohne sie verschwinden. Zudem würden geführte Wanderungen und Wildtierbeobachtungen entfallen, die zum Schutz und Verständnis der Natur beitragen.
Eine Herausforderung für den Naturschutz, aber auch ein Zeugnis dafür, dass Mensch und Natur hier seit jeher in Koexistenz leben.
Heute besticht die Landschaft mit einem beeindruckenden Farbenspiel. Saftig grüne Almen, durchzogen von weiten Weideflächen, treffen auf hell leuchtende Kalksteinfelsen. Ein Kontrast, der die wilde Schönheit der Picos de Europa unverwechselbar macht.
Der Berg ruft: Posada de Valdeón
Mitten im Herzen des Nationalparks liegt eine der unzugänglichsten Regionen der Iberischen Halbinsel: die Gemeinde Posada de Valdeón. Hier, wo sich steile Felswände auftürmen und tiefe Schluchten das Geländes durchziehen, wirkt die Landschaft fast unbezwingbar. Mit einer durchschnittlichen Steigung von 40,8 Grad auf 164 Quadratkilometern zählt Posada de Valdeón zu den extremsten Berglandschaften Spaniens.
Doch was bedeutet das in Zahlen? Ein Blick auf den sogenannten Rauheitsindex gibt Aufschluss. Mit einem Wert von 126,88 gehört dieses Gebiet zu den wildesten und schwierigsten Terrains Spaniens. Während das Flachland ruhige, sanfte Böden bietet, gleicht Posada de Valdeón einem steinernen Labyrinth aus Klippen, Felsstufen und zerklüfteten Hängen, das nur mit geübtem Blick und trittsicherem Fuß erkundet werden kann.
Hier gibt es kaum gerade Flächen. 86,2 Prozent der Gemeinde bestehen aus Hanglagen, die das Terrain zu einem echten Naturmonument machen. Nur wenige Orte bieten eine kleine Atempause inmitten dieser wilden Umgebung. Los Llanos de Valdeón ist eine dieser Ausnahmen. Eine vergleichsweise flache Oase inmitten der rauen Bergwelt.
Ein großer Teil der Picos de Europa erstreckt sich über diese Region in León, insbesondere über die Nachbargemeinde Oseja de Sajambre. Sie ist bekannt für ihre außergewöhnliche Artenvielfalt.
Posada de Valdeón hebt sich jedoch eindrucksvoll hervor. Sie ist die gebirgigste Gemeinde des spanischen Festlands. Ein beeindruckendes Beispiel dafür, dass Spanien nach der Schweiz das zweitgebirgigste Land Europas ist.
Von Linden und Legenden
In Posada de Valdeón verbirgt sich zudem ein wahres Naturjuwel. Der letzte wilde Lindenwald Europas, unberührt von menschlicher Hand. Wie ein grüner Ozean breitet er sich um die Ermita de Corona aus, eine kleine Einsiedelei, die still und erhaben inmitten der rauen Schönheit der Picos de Europa ruht.
Dieser abgeschiedene Ort liegt zwischen den Ortschaften Cordiñanes und Caín. Nur fünf Kilometer Luftlinie voneinander entfernt. Doch das Terrain ist so steil und zerklüftet, dass die Strecke eine Herausforderung darstellt. Ein Sinnbild für die Unbezwingbarkeit dieser Region, die sich über die Jahrhunderte immer wieder als Zufluchtsort für Freiheitskämpfer erwiesen hat.
Eine dieser Geschichten erzählt von Don Pelayo, der hier im Jahr 718 auf dem Monte Corona gekrönt wurde. Nach seiner Flucht aus Córdoba fand er in den schroffen Tälern der Picos de Europa Schutz vor seinen Verfolgern und vereinte die Bewohner der Region zum Widerstand gegen die Maurenherrschaft. Dies mündete schließlich in die berühmte Schlacht von Covadonga im Jahr 722.
Einige Kilometer entfernt, in Cangas des Onís, befindet sich der Real Sitio de Covadonga. Ein bedeutender religiöser und historischer Ort. Hier nahm die Geschichte Asturiens ihren Anfang. In dieser Gegend wurde das Königreich Asturien gegründet.
Die Santa Cueva (Heilige Höhle) und die imposante Basilika von Covadonga, die genau im Jahr 722 errichtet wurde, erinnern noch heute an jene legendäre Schlacht, die als Beginn der Reconquista gilt – der langen Rückeroberung der Iberischen Halbinsel durch christliche Königreiche, der erst 1492 mit der Einnahme Granadas durch christliche Truppen beendet war.
Eine andere Legende erzählt von einer verheerenden Dürre im Jahre 1580, die das Tal von Valdeón heimsuchte. Die verzweifelten Bewohner flehten die Jungfrau von Corona um Regen an. Sie wurden erhört. Seitdem wird jedes Jahr am 8. September die „Fiestas de Nuestra Señora de Corona“ gefeiert.
Dabei wird die Statue in einer feierlichen Prozession in eine der beiden Pfarrkirchen der Region gebracht: in geraden Jahren nach Santa Eulalia in Posada, in ungeraden Jahren nach San Pedro in Soto.
Die Wolfsfalle Chorco de los Lobos
Tief verborgen in den Wäldern des Monte-Corona-Gebiets liegt ein Ort voller Geschichte und alter Traditionen – der Chorco de los Lobos. Diese historische Wolfsfalle, auch als Chorco de Corona bekannt, diente einst den Bewohnern der Region als Schutz vor den gefürchteten Raubtieren, die in den kalten, entbehrungsreichen Wintern Leóns umherstreiften.
In dieser entlegenen Gegend mussten sich die Menschen vor den Wölfen schützen. Der Chorco war ein ausgeklügeltes System aus Steinmauern und Fallgruben, in das die Tiere getrieben wurden, um sie unschädlich zu machen.
Dabei folgte die Wolfsjagd strengen Regeln. Das älteste überlieferte Gesetz zu seiner Nutzung stammt aus dem Jahr 1610. Es legte fest, wer an den Jagden teilnehmen durfte. In der Regel Männer, doch auch Frauen war es nicht untersagt, sofern sie als Haushaltsvorstände galten.
Heute steht der Chorco de los Lobos als stilles Relikt einer vergangenen Zeit inmitten der rauen Schönheit der Picos de Europa.
Bartgeier und Braunbären
Die atemberaubende Tierwelt dieser Region ist in ihrer Vielfalt und Ursprünglichkeit kaum zu übertreffen. Tief in den Wäldern, auf schroffen Gipfeln und in weitläufigen Tälern finden zahlreiche seltene und geschützte Arten einen Lebensraum.
Von großen Säugetieren wie Braunbären und Iberischen Wölfen über Gämsen bis hin zu beeindruckenden Vogelarten wie Bartgeiern, Moorhühnern, Schwarzspechten, Kantabrischen Auerhühnern, Steinadlern und Gänsegeiern.
Einst war der Kantabrische Bär in den Wäldern Nordspaniens fast ausgestorben. Doch dank intensiver Schutzmaßnahmen erlebt die Art heute eine erstaunliche Erholung. Besonders in der Provinz León fühlt sich der Bär wieder heimisch. Fast die Hälfte der rund 370 Bären Spaniens streift durch diese urwüchsigen Landschaften. Ihr Überleben ist ein Zeichen dafür, dass es gelingen kann, Menschen und Natur in Einklang zu bringen.
Der Auerhahn: Spaniens seltener Vogel
Doch nicht alle Tiere der Region haben so viel Glück. Der Kantabrische Auerhahn zählt heute zu den am stärksten bedrohten Arten Spaniens. Nur noch etwa 300 Exemplare gibt es im ganzen Land.
Davon lebt die Hälfte in der Region León. Während sie früher das gesamte Kantabrische Gebirge bevölkerten, sind sie heute eine Rarität. Besonders Windkraftanlagen gefährden die Art, da der Lärm und die Veränderung der Landschaft ihre ohnehin empfindlichen Populationen weiter schwächen.
Um dem entgegenzuwirken, widmet sich das Auerhahn-Zentrum in Caboalles de Arriba (Villablino) dem Schutz und der Erforschung dieser faszinierenden Vögel. Besucher können hier nicht nur mehr über den Kampf um ihr Überleben erfahren, sondern auch aktiv zum Erhalt dieser bedrohten Art beitragen.
Das Leibgericht der Bartgeier: Tierknochen
Majestätisch und faszinierend gleitet der Bartgeier mit einer Flügelspannweite von bis zu drei Metern über die Gipfel der Picos de Europa. Einst war auch er ein selbstverständlicher Anblick, doch seit den 1960er Jahren galt er in der Region als verschwunden.
Seit Jahren setzt sich Parques Nacionales für die Wiederansiedlung dieser beeindruckenden Greifvögel ein und unterstützt gezielt Schutzmaßnahmen in mehreren spanischen Nationalparks. Einzelne Exemplare, die in den letzten Jahren gesichtet wurden, zeugen davon, dass der Bartgeier langsam beginnt, seinen einstigen Lebensraum wiederzuentdecken.
Doch der Bartgeier ist nicht nur durch seine Seltenheit bemerkenswert. Seine Lebensweise macht ihn zu einem wahren Exoten unter den Greifvögeln. Er ernährt sich fast ausschließlich von Knochen, die er aus großer Höhe auf Felsen fallen lässt, um an das nahrhafte Mark zu gelangen. Eine Strategie, die ihn einzigartig macht.
Seine Fortpflanzung ist ebenso spannend. Obwohl ein Paar meist ein bis zwei Eier legt, überlebt oft nur ein Jungtier, der so genannte Kainismus, bei dem das stärkere Küken das schwächere tötet, gehört zur Natur dieser Vögel.
Zudem dauert es fünf bis sieben Jahre, bis sie geschlechtsreif sind. Oft gelingt die erste erfolgreiche Brut erst mit acht oder neun Jahren. Die Küken schlüpfen gegen Ende des Winters, wenn genügend Nahrung verfügbar ist, doch nur die stärksten überleben.
Stechpalmen: die schützende Seele des Waldes
In den Wäldern der Picos de Europa wächst eine Pflanze, die besonders für ihre leuchtend roten Beeren bekannt ist. Für die Region ist sie ein essenzieller Bestandteil im Ökosystem: Die Europäische Stechpalme (Ilex aquifolium).
Diese immergrüne Schönheit bietet zahlreichen Tierarten wie der Misteldrossel, Schutz und Nahrung. Vor allem im Winter, wenn andere Nahrungsquellen knapp werden, spielt sie eine lebenswichtige Rolle.
Doch obwohl sie weit verbreitet war, ist die Stechpalme heute bedroht. Abholzung, Lebensraumverlust und übermäßige Entnahme für Weihnachtsdeko haben dazu geführt, dass sie in Spanien unter Schutz gestellt wurde.
Das Fällen oder Sammeln dieser Pflanzen ist ohne Genehmigung streng verboten. Unter anderem in geschützten Gebieten wie in den Picos de Europa. Alte Stechpalmenwälder sind ökologisch auch deshalb sehr wichtig, weil sie viel CO2 speichern.
Zum Erhalt dieses wertvollen Lebensraums gibt es mehrere Schutzprogramme. Das Projekt „Bosques para la Vida“ setzt sich für den Erhalt alter Wälder in Nordspanien ein, während das Netzwerk „Red de Bosques Maduras“ deren ökologische Funktion überwacht. In einigen Regionen werden Stechpalmen sogar gezielt neu gepflanzt, um geschädigte Waldflächen zu regenerieren – auch in Asturien, Kantabrien und Kastilien-León.
Die Zukunft der Picos de Europa
Die Picos de Europa sind ein historisch gewachsenes Wunder der Natur. Wie sieht aber ihre Zukunft aus? Wie kann der Mensch hier weiterhin leben und wirtschaften, ohne die Natur zu gefährden? Ist es möglich, jahrhundertealte Traditionen zu bewahren und gleichzeitig den Nationalpark zu schützen? Können Landwirtschaft und Naturschutz wirklich Hand in Hand gehen? Und was passiert, wenn wir nichts tun?
Der Blick nach vorn zeigt, dass genau diese Balance das Herzstück der Zukunft der Picos de Europa ist.
Fragiles Paradies
Dieses Naturparadies ist in Gefahr. Die letzten Bartgeier kreisen über den Bergen, die damals ein sicheres Revier waren, während versiegende Wasserquellen und der schleichende Verlust von Lebensraum, die Flora und Fauna an den Rand des Verschwindens drängen.
Jedes Jahr betreten Tausende von Besuchern dieses fragile Paradies. Doch was, wenn die Wälder verstummen, die Gletscher weichen, die Pfade erodieren? Klimawandel, Umweltverschmutzung und unkontrollierter Tourismus hinterlassen Spuren, die sich nicht einfach verwischen lassen.
Die Natur des Nationalparks kann sich nur dann entfalten, wenn der Mensch lernt, mit ihr zu existieren und nicht gegen sie. Jede Maßnahme, die jetzt getroffen wird, entscheidet darüber, ob künftige Generationen dieses wilde Herz Spaniens noch schlagen hören werden.
Tourismus als Chance und Verantwortung
Der Nationalpark gehört zu den meistbesuchten Nationalparks Spaniens und ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor für die Region geworden. Einige Orte sind gut erschlossen, wo sich die Wanderer auf beliebten Routen tummeln. In anderen Gegenden ist es überraschend ruhig.
Vor allem die Spanier selbst kommen, insbesondere um von der sommerlichen Hitze Andalusiens in die kühle Bergwelt des Nordens zu entfliehen. Dennoch: Hier bietet sich eine Landschaft, die trotz wachsender Besucherzahlen ihre Ursprünglichkeit bewahren konnte. Und auch hier muss die Natur unbedingt geschützt werden, sodass gleichzeitig die Wirtschaft davon profitiert. Die Antwort: Eine bewusste Lenkung der Besucherströme.
Mehr als 30 markierte Wanderrouten führen vorbei an hohen Gipfeln, tiefen Schluchten und unendliche Weite. Drei Besucherzentren bieten wertvolle Infos und Programme, die nachhaltigen Tourismus unterstützen.
Von Juli bis September können Naturliebhaber an kostenlosen geführten Touren teilnehmen, die in allen drei Provinzen des Parks im Angebot sind. Wer die Picos von oben bestaunen möchte, hat die Wahl zwischen 17 Aussichtspunkten, die atemberaubende Panoramablicke ermöglichen.
Auch wer beruflich mit den Picos de Europa zu tun hat, erlebt so einiges: Während der Fotograf Toni Anzenberger (Bildatlas Nordspanien von DuMont) mit dem unberechenbaren Frühjahrsregen kämpfte, erinnert sich der Texter des Bildbands, Tobias Büscher, wiederum an ein ganz eigenes Highlight.
"In einem alten Landhaus nahe Fuente Dé hab ich gerade am Manuskript gearbeitet, da wurde es plötzlich stockdunkel im Raum. Eine Kuh hatte ihren Kopf durchs Fenster gesteckt."
Auch er weiß: Ein geregeltes, aber freies Zugangssystem sorgt dafür, dass Besucher die unberührte Natur in ihrer ganzen Pracht genießen können – ohne sie zu gefährden.
Die legendäre Cares-Schlucht
Vor allem die berühmte Cares-Schlucht ist bei Wanderern beliebt. Diese Route führt über 11 km durch eine der dramatischen Landschaften der Region. Wer eine weniger anspruchsvolle Alternative sucht, kann mit der einzigen Seilbahn der Region Fuente Dé zum Torre de los Horcados Rojos (2503 Meter) aufsteigen und die Picos aus einer neuen Perspektive erleben.
Für erfahrene Kletterer ist der Naranjo de Bulnes (Picu Urriellu, 2518 Meter) ein absolutes Highlight. Der imposante Monolith ist das Wahrzeichen des Parks und zählt zu den anspruchsvollsten Klettergipfeln Spaniens.
Der Name „Naranjo“ kommt übrigens von der orangefarbenen Färbung des Kalksteins bei Sonnenuntergang. Weitere empfehlenswerte Ziele sind der Ercina-See, das geschichtsträchtige Cangas de Onís und die historische Ortschaft Potes.
Blauschimmelkäse aus den Bergen
Nach einem langen Tag in den Picos de Europa gibt es kaum etwas Besseres, als die regionale Küche Asturiens zu entdecken. Der berühmte Queso Cabrales wird hier aus Kuh-, Schaf- oder Ziegenmilch hergestellt. Mit seinem intensiven und würzigen Aroma wird der Blauschimmelkäse noch ganz traditionell in den Felshöhlen gereift.
Wer mutig ist, probiert ihn pur. Für alle anderen gibt es eine mildere Variante: Patatas al Cabrales, knusprige Kartoffeln mit cremiger Käsesauce. Eine der beliebtesten Tapas in der Umgebung. Wer es deftiger mag, kann sich an einer Asturischen Fabada (Bohneneintopf), würziger Chorizo oder dem berühmten Pitu de Caleya (ein langsam wachsendes Freilandhuhn mit intensivem Geschmack) erfreuen.
Und was wäre ein Essen in Asturien ohne Sidra? Der traditionelle Apfelwein wird in Sidrerías serviert und auf besondere Weise eingeschenkt. Aus großer Höhe, um das Aroma zu entfalten. Das Glas wird nur zu einem Drittel gefüllt und muss direkt getrunken werden. Es darf nicht abgestellt werden, bevor es leer ist.
Eine Wildnis ist kein Museum
Wer jetzt Lust hat den Nationalpark zu besuchen, betritt eine Welt, die sich ihren eigenen Gesetzen beugt. Wild, ungestüm und voller Geschichten. All jene, die hierherkommen, sollten sich in ihr Gewissen rufen: Diese Landschaft ist kein Museum, sondern ein lebendiges Gefüge aus Mensch, Tier und Erde.
Auch in der Filmwelt hat die raue Schönheit bereits Eindruck hinterlassen. Der spanische Schauspieler Mario Casas bereitete sich hier auf seine Rolle in „Bajo la piel del lobo“ (In der Haut des Wolfes) vor, einem Film von Regisseur Samu Fuentes, der in Asturien spielt.
Die Landschaft der Picos wurde zur perfekten Kulisse für die Geschichte eines einsamen Jägers, der in der Wildnis lebt. Casas, der bereits in mehreren großen Produktionen mitwirkte, war auch Teil des legendären Horrorfilms „Las Brujas de Zugarramurdi“ von Kultregisseur Álex de la Iglesia, in dem er an der Seite der bekannten Schauspielerin Carmen Maura spielte. Während dieser Film eine eher düstere Atmosphäre aufgreift, zeigt das Setting in den Picos eine eher natürliche Seite des Nationalparks.
Und vielleicht ist das die wahre Magie der Picos: Sie sollten bestaunt und erlebt werden. Mit der Verantwortung, auf alten Pfaden zu wandern, aber keine Spuren zu hinterlassen. Picos de Europa: Unendlich groß und doch so klein!

Unsere Autorin
Die Journalistin Alina Brammer engagiert sich in diesem Spanienmagazin für die Rubriken Umwelt und Literatur.