Valencia nach der Naturkatastrophe
Feuchtgebiete, Zugvögel, Küstenlandschaften – Die Region Valencia ist ein Naturparadies. Doch der Blick auf das Jahr 2025 zeigt: Zwischen freiwilligem Engagement und politischen Richtungswechseln ist der Schutz dieser Natur längst nicht mehr selbstverständlich. Wie ist die Lage Monate nach der katastrophalen Flut im Herbst? Und was sagt ein bekannter Romanautor dazu?
von Alina Brammer
Im Oktober 2024 überrollte DANA (Depresión Aislada en Niveles Altos) weite Teile der Region Valencia. Eine isolierte Höhenwetterlage mit zerstörerischer Kraft. 227 Tote, 306.000 Betroffene, verwüstete Küstenabschnitte, verdreckte Lagunen, ein Naturpark unter Schlamm und Schrott.
Die Schäden summierten sich auf mehr als 17 Milliarden Euro. Vor allem die Albufera, das ökologische Herzstück südlich von Valencia, traf es schwer. Im Naturpark, 10 km vom Stadtzentrum entfernt, wo sonst Reiher und Flamingos rasten, lagen plötzlich Autoreifen, Plastikberge und tote Fische im Wasser.
Die Stadt Valencia reagierte schnell. Ein Notfallfonds von 8,5 Millionen Euro wurde bereitgestellt, Aufräumarbeiten gestartet, spezialisierte Maschinen rückten an. Bis Mitte März 2025, so das Ziel, sollte alles rechtzeitig zur Brutzeit der Wasservögel sauber sein.
Aber die Realität ist eine andere. Als die Deadline näher rückte, war längst klar, dass die Arbeiten nicht ausreichen würden. Noch Ende März sammelten Freiwillige Müll in den Kanälen und Studenten halfen bei der Wiederherstellung der Feuchtgebiete.
Geplantes Flußbett, geballte Flut
Während in Gummistiefeln um jedes Nest gekämpft wird, brodelt die politische Debatte. Denn was vielen Bürgern und Wissenschaftlern als ökologischer Weckruf gilt, scheint in der Regierung der Comunidad Valenciana kaum Widerhall zu finden.
Seit dem Sommer 2023 regieren Carlos Mazón (Partido Popular) und seine Partner von der rechtspopulistischen Vox. Ihr Fokus liegt auf Wirtschaft, Infrastruktur und Tourismus. Umweltpolitik? Kein Kernanliegen. Doch das war nicht immer so:
Bis 2023 regierte eine progressive Koalition aus PSOE, Compromís und Unides Podem. Sie führte die Ley de Cambio Climático y Transición Ecológica ein, setzte grüne Steuerreformen durch und gründete die Unidad Valenciana de Emergencias – eine eigene Katastrophenschutzeinheit mit über tausend Einsatzkräften.
Maßnahmen, die heute ausgesetzt oder ganz abgeschafft sind.
Die neue Regierung bezeichnete die grüne Steuer als „Fake-Diskurs der Nachhaltigkeit” und bremste sie kurzerhand aus. Kritiker werfen PP und Vox vor, notwendige Präventionsmaßnahmen ignoriert zu haben.
Maßnahmen, die vielleicht sogar das Ausmaß der Flut hätten abmildern können. So war beispielsweise der Bau eines Staudamms an der Rambla del Poyo, ein temporäres Flussbett südwestlich von Valencia, seit Jahren in Planung.
Ein Projekt, das nie realisiert wurde, aber laut José Trigueros, Präsident der Vereinigung der spanischen Bauingenieure (Asociación de Ingenieros de Caminos, Canales y Puertos de la Ingeniería Civil) viele Todesopfer hätte verhindern können.
Die Folgen dieses politischen Richtungswechsels lassen sich in Zahlen fassen: Das Budget für Klimaschutz wurde um 38 Prozent gekürzt, das für die Brandprävention um 9 Prozent. Zugleich wurden Mittel für die Kanalisierung von Flüssen deutlich erhöht.
Ein Hinweis darauf, dass die Regierung auf harte Infrastruktur statt auf naturnahe Lösungen setzt. Ministerpräsident Pedro Sánchez warnt bereits: Entfernt sich die Regionen weiter vom Green Deal, könnten wichtige EU-Gelder für Spanien gefährdet sein.
Doch nicht nur aus Madrid kommt Kritik. Auch auf den Straßen Valencias wächst der Widerstand. Am 29. März 2025 protestierten 25.000 Menschen gegen die Umweltpolitik der Regierung, forderten Mazóns Rücktritt und warfen Vox Leugnung des Klimawandels vor. Ihr Vorwurf: Man kann nicht über Flutschutz reden und gleichzeitig den Umweltschutz streichen.
Was bleibt, ist eine Region im Widerstreit. Auf der einen Seite die Bürger, NGOs und Wissenschaftler, die auf freiwilliger Basis Lebensräume wiederherstellen. Auf der anderen Seite eine Regierung, die den ökologischen Wandel verlangsamt, während extreme Wetterlagen an Tempo zulegen.
Valencia hat viel zu verlieren. Die Albufera, die Küstenlagunen, die Vogelzugrouten, die Marschlandschaften und die Reisfelder. Es ist das natürliche Fundament einer Region, die sich entscheiden muss: Rückschritt oder nachhaltiger Neustart?
Wie die Albufera Kultur und Klimaschutz vereint
Die Albufera, ein Süßwassersee südlich von Valencia, ist seit Jahrhunderten ein Zentrum des Lebens und der Tradition. Bereits im 13. Jahrhundert, nach der Eroberung Valencias durch König Jaime I., wurde die Albufera in das Königreich Valencia integriert und diente fortan als wichtige Quelle für Fischerei und Reisanbau.
Diese landwirtschaftlichen Praktiken prägen bis heute das kulturelle Erbe der Region. Der berühmte valencianische Schriftsteller Vicente Blasco Ibáñez verewigte das Leben rund um die Albufera in seinem Roman Cañas y barro, wodurch die tiefe Verbindung zwischen Mensch und Natur literarisch festgehalten wurde.
Ökologisch gesehen ist die Albufera ein wahres Juwel. Mit über 800 Pflanzenarten, von denen viele als selten, endemisch oder bedroht gelten, bietet sie eine beeindruckende botanische Vielfalt. Die verschiedenen Lebensräume, von Dünen und Stränden über Welda bis hin zu Reisfeldern, schaffen ideale Bedingungen für zahlreiche Tierarten.
Besonders bemerkenswert ist die Vogelwelt. Mehr als 350 Vogelarten nutzen dieses Ökosystem, etwa 90 davon brüten hier. Arten wie der Rotschulterenten (Netta rufina) mit Populationen von über 10.000 Individuen, die Löffelente (Anas clypeata) und der Krickente (Anas crecca) finden hier ein Zuhause.
Trotz ihres Reichtums steht die Albufera vor erheblichen Herausforderungen. Die Urbanisierung hat zu einer Reduktion der Feuchtgebiete geführt, während intensive Landwirtschaft und Wasserentnahme die Wasserqualität beeinträchtigen.
Die verheerenden Überschwemmungen von 1957 und jüngst 2024 haben nicht nur menschliche Tragödien verursacht, sondern auch das ökologische Gleichgewicht gestört. Nach der Flut von 2024 wurde die Albufera mit Trümmern übersät, was die Dringlichkeit von Schutz- und Wiederherstellungsmaßnahmen unterstreicht.
Angesichts dieser Bedrohungen wurden verschiedene Programme ins Leben gerufen, um die Albufera zu schützen und wiederherzustellen:
Tancat de la Pipa
Im Jahr 2007 initiierte die Confederación Hidrográfica del Júcar ein ehrgeiziges Projekt. Die Umwandlung von 40 Hektar ehemaliger Reisfelder in ein vielfältiges Feuchtgebiet, bekannt als Tancat de la Pipa.
Dieses Gebiet wurde sorgfältig in verschiedene Süßwasserlebensräume umgestaltet, darunter Lagunen und grüne Filterzonen, die nicht nur die Wasserqualität verbessern, sondern auch zahlreichen Vogelarten als Brut- und Rastplätze dienen. Heute gilt der Tancat de la Pipa als Vorzeigebeispiel für die erfolgreiche Renaturierung degradierter Feuchtgebiete in Spanien.
Parador de El Saler
Eingebettet in den Naturpark Albufera, setzt der Parador de El Saler Maßstäbe in Sachen Umweltschutz und nachhaltigem Tourismus. Unter der Leitung von Direktor Francisco Contreras verfolgt das Hotel eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie.
Es nutzt ausschließlich Strom aus erneuerbaren Quellen, reduziert Plastikverbrauch und Lebensmittelverschwendung und engagiert sich aktiv in Projekten zum Schutz bedrohter Arten. Bemerkenswert ist die Zusammenarbeit mit lokalen Universitäten und NGOs bei der Überwachung von Nistplätzen der Unechten Karettschildkröte, um deren Fortbestand zu sichern.
Ein weiteres herausragendes Projekt ist die Integration von recycelten Materialien in die Hotelinfrastruktur. Beispielsweise wurden Gehwege und Möbel aus recyceltem Kunststoff gefertigt, der aus an den Stränden gesammelten Plastikabfällen und verlassenen Fischernetzen stammt. Für dieses vorbildliche Engagement wurde der Parador de El Saler 2025 mit dem Preis für Umweltverträglichkeit der Europäischen Grünen Hauptstadt ausgezeichnet.
UNESCO-Biosphärenreservat
Die Stadt Valencia arbeitet intensiv daran, die Albufera als UNESCO-Biosphärenreservat anerkennen zu lassen. Dieses Vorhaben zielt darauf ab, den internationalen Schutzstatus des Gebiets zu erhöhen und nachhaltige Entwicklungsmodelle zu fördern.
Obwohl der Prozess auf Herausforderungen stößt, insbesondere in der Abstimmung mit lokalen Interessengruppen wie der Landwirtschaft, bleibt das Engagement für dieses Ziel ungebrochen.
Albufera, die legendäre Marschlandschaft
Neben diesen Initiativen ist die Albufera auch ein Schauplatz jahrhundertealter Traditionen, die das kulturelle Gefüge Valencias prägen. Seit dem 18. Jahrhundert wird in den fruchtbaren Marschlandschaft in der Albufera Reis angebaut.
Diese Praxis formte die kulinarische Identität der Region, man denke nur an die weltberühmte Paella.
Was als einfache Mahlzeit der Landarbeiter begann, entwickelte sich zum kulinarischen Wahrzeichen Valencias. In großen, flachen Pfannen – der paella – bereiteten Bauern eine nahrhafte Mischung aus Reis, frischem Gemüse und Fleisch über offenem Feuer zu. Beliebt waren Huhn und Kaninchen, doch auch Schnecken oder Aale aus den Feuchtgebieten fanden ihren Weg in den Topf.
Mehr als nur ein Gericht, war die Paella ein soziales Ritual. Familien versammelten sich rund um die glühende Glut, die Pfanne im Zentrum – gemeinsames Essen als Ausdruck von Gemeinschaft und Tradition. Heute ist die Paella ein Symbol Spaniens, weltweit gefeiert in zahllosen Variationen.
Doch ihren Ursprung hat sie genau hier. Zwischen Reisfeldern, Süßwasserseen und alten Dörfern, die noch immer den Duft von Safran und Rosmarin in der Luft tragen.
Auch die Fischerei hat ihre Wurzeln in der Albufera, die bis ins Jahr 1250 zurückreichen. Traditionelle Techniken und Boote, wie der Barquet Albuferenc, sind bis heute im Einsatz und zeugen von einer reichen maritimen Kultur.
Diese nachhaltigen Methoden sichern den Lebensunterhalt der lokalen Fischer, tragen aber auch zum Erhalt des ökologischen Systems bei. Historisch diente die Albufera zudem als königliches Jagdrevier, ein Privileg, das den Bewohnern zusätzliche Einkommensquellen bot.
Mit der Zeit wandelte sich jedoch die Nutzung, und der Reisanbau gewann an Bedeutung. Heute steht die Jagd im Spannungsfeld zwischen kulturellem Erbe und Naturschutz, wobei nachhaltige Praktiken und Regulierungen eine Balance zwischen Tradition und Erhalt der Biodiversität anstreben.
Valencias Natur braucht keine Parolen
Valencias Natur braucht keine Parolen , sondern Menschen, die morgens in Gummistiefeln losgehen. Doch Tradition allein wird die Albufera nicht retten. Was über Generationen gewachsen ist, steht heute unter Druck. Nicht nur durch den Klimawandel, sondern auch durch politische Blockaden, zögerliche Entscheidungen und eine öffentliche Aufmerksamkeit, die sich zu oft in Debatten verliert.
„Alles, was Umweltschutz betrifft, ist bei dieser Regierung nicht mehr so wichtig wie früher”, sagt Krimiautor und Valencia-Kenner Daniel Izquierdo-Hänni, der selbst am südlichen Stadtrand der Stadt lebt. Genau diese Gegend ist Teil seines neuen Buches Gefährliches Wasser, in dem es um einen mysteriösen Todesfall nach einer verheerenden Flut geht – und um einen Ex-Inspektor, der zwischen Korruption, Schweigen und Schlick nach der Wahrheit sucht.
Izquierdo-Hänni war bei den Demonstrationen gegen die aktuelle Regierung dabei. „Im Vordergrund stehen politische Machtspiele, nicht der Schutz der Natur”, meint er. Seine Kritik zielt auf den Kurs von Mazón und Vox, die beim Haushalt 2025 Bedingungen akzeptierten, um EU-Umweltnormen bewusst zu umgehen.
Es ist eine Realität, die sich nicht nur in Zahlen, sondern im Schweigen zeigt. Nach der Flut von 2024 sprach niemand öffentlich darüber, welche Schadstoffe – von Auto, Benzin bis Chemikalien – in die Lagune und in die Reisfelder gespült wurden. „Das Bewusstsein ist da”, sagt Izquierdo-Hänni. “Aber die Aufmerksamkeit liegt woanders.”
Dabei gibt es auch positive Beispiele. Nachhaltiger Tourismus in der Albufera wächst. Projekte wie der Parador de El Saler zeigen, dass Umweltverantwortung und Gastfreundschaft kein Widerspruch sein müssen.
Besucher werden durch Schautafeln sensibilisiert, Führungen informieren über Flora, Fauna und Geschichte. Viele nehmen Müll mit, nicht Erinnerungsfotos. Es ist eine leise Veränderung, aber sie beginnt.
Vielleicht liegt die Zukunft Valencias in genau dieser Entschlossenheit. In den Händen derer, die Gummistiefel den Politpulten vorziehen. Die Studierenden, die Kanäle säubern, während das Parlament tagt. In alten Fischern, die wissen, wann das Wasser kippt.
Und vielleicht auch in einem Moment, wenn man früh morgens an der Albufera steht, während der Nebel über dem Wasser hängt, Reiher über den Schilfgräsern kreisen und das Licht so weich ist, dass alles für einen Augenblick still steht. Es ist ein Ort, der nicht laut sein muss, um zu zeigen, was auf dem Spiel steht.
Die Autorin
Alina Brammer ist Umweltexpertin unseres Magazins. Zu ihren jüngsten Veröffentlichungen zählen der Kampf Mallorcas gegen den Plastikmüll und die Schutzmaßnahmen für die Picos de Europa.
Lesermeinung
Eine Leserin am 7.4.2025: "Die Sinnflut ist bereits da"
"Die sachliche Darstellung der katastrophalen Situation macht dem Leser
klar, dass viele Politiker nur Massnahmen zum Erhalt ihres Postens
unterstützen. Nach ihnen die Sinnflut. Die Sinnflut ist leider bereits da;
Was mich in den französischen Nachrichten so wahnsinnig entsetzt, ist
dass dort nur von den Menschenopfern und nie von den Tieren gesprochen
wird. Sie verlieren wehrlos ihren Lebensraum auf brutalste Weise......
Wie gut, dass es Menschen wie Alina gibt die an die Natur und ihre so
bemerkenswerten Tierbewohner denkt!"
E. M. aus Frankreich