Madrids Schutzheiliger San Isidro im Porträt
Jeden 15. Mai breiten Familien im San-Isidro-Park von Madrid bunte Decken aus, öffnen ihre Picknickkörbe und feiern. Der Duft von Anis liegt in der Luft, Gitarren erklingen und Gigantes-Figuren laufen umher. Im Mittelpunkt steht dabei die Geschichte des Heiligen Isidro, der viele Wunder vollbracht haben soll.
von Alina Brammer
Rund um das Fest zu Ehren des Schutzpatrons San Isidro Labrador verschmelzen Tradition, Volksfest und Glaube. Männer tragen ihre Schiebermützen und Westen. Die Frauen glänzen in gepunkteten Kleidern und Blumen im Haar. Die klassischen chulapos und chulapas, welche die Stadtbewohner jedes Jahr aus den Kleiderschränken holen.
Auf kleinen Bühnen wird der traditionelle Chotis getanzt, während andere darauf warten, einen Schluck vom heiligen Wasser mit wundersamen Kräften, dem agua del santo, zu ergattern.
Dieses Fest bringt ganz Madrid auf die Straßen und feiert die Verehrung des Heiligen Isidro, der zu seiner Zeit als einfacher Bauer durch die Felder der Region zog. Heute erhält dieser Mann an einem einzigen Tag im Jahr eine so große Aufmerksamkeit.
Bei der feierlichen Messe und der anschließenden Prozession wird eine Statue von ihm durch die Gassen von Madrid getragen. Begleitet von Musik, Gebeten und einer tiefen Verbundenheit zur Geschichte der Gemeinde.
Aber hinter all diesem Trubel scheint eine stille Figur zu stecken, die nicht mit Rang und Namen aufgewachsen ist. San Isidro war kein König oder ein Eroberer. Er war ein unscheinbarer Landarbeiter.
Er war einer vom Volk. Ein Madrileño, bevor es das Wort überhaupt gab. Einer, der die Erde kannte, den Himmel suchte und dem man nachsagt, dass Engel ihm halfen, wenn er betete.
San Isidros Leben in Demut und Hingabe
Geboren um das Jahr 1082 im damaligen muslimischen Mayrit, dem heutigen Madrid, wuchs Isidro de Merlo y Quintana in einer Zeit auf, in der das christliche Kastilien zunehmend Gebiete unter islamischer Herrschaft zurückeroberte.
Eine Phase, in der Religion und Macht eng verwoben waren. Seine Eltern, Pedro und Inés, waren einfache Bauern mit christlichem Glauben. Die Familie gehörte zur mozárabischen Gemeinschaft, also Christen, die ihre Religion trotz der islamischen Dominanz praktizierten.
Schon in jungen Jahren zeigte Isidro eine tiefe Frömmigkeit und eine besondere Sensibilität für die Bedürfnisse anderer. Da seine Eltern zu arm waren, um ihm eine schulische Ausbildung zu ermöglichen, lehrten sie ihn zu Hause, Gott zu fürchten, Nächstenliebe zu üben und die Bedeutung des Gebets zu schätzen.
Das Haus seiner Familie stand an jener Stelle, wo sich heute die Calle de las Aguas im Stadtviertel Palacio befindet.
Mit etwa zehn Jahren war Isidro bereits Waise und musste selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen. Fortan begann er als Landarbeiter auf den Feldern zu arbeiten. Dem Vernehmen nach soll er sehr fleißig und hilfsbereit gewesen sein.
Dabei verlor er nie seine tiefe Hingabe zu Gott. Jeden Morgen besuchte er die Messe, bevor er sich seiner Arbeit widmete. Diese Arbeitsmoral machte ihn bei verschiedenen Gutsherren beliebt. So arbeitete Isidro im Laufe der Jahre auch für angesehene Familien, wie den Vargas.
Sie waren damals eine einflussreiche Adelsfamilie, die im mittelalterlichen Madrid sowohl politisch als auch wirtschaftlich engagiert war.
Im jungen Erwachsenenalter lernte Isidro die hübsche María Toribia in Torrelaguna kennen, vermutlich um das Jahr 1105. Sie war ebenso eine tiefgläubige Frau, die später sogar als Santa María de la Cabeza verehrt wurde.
Ihr Name „de la Cabeza” geht auf die volkstümliche Legende zurück, dass nach ihrem Tod ihr Schädel vom Körper getrennt in der Kapelle aufbewahrt werden soll, in der sie viele Jahre gedient hatte. Ihr Kopf wird bis heute in Prozessionen hervorgeholt, um für Regen zu beten.
Andere Gläubige sagen ihm eine heilende Wirkung bei Kopfschmerzen nach. Genauso ist ihr gemeinsamer Sohn Illán in der Legende um San Isidro als eines der bekanntesten Wunder eingebunden.
Sturz 27 Meter in den Brunnen: das Wunder von Madrid
Der kleine Illán verlor beim Spielen am Brunnenrand das Gleichgewicht und fiel in den Brunnen hinein. Die Familie befand sich zu diesem Zeitpunkt auf einem Feld in der Nähe Madrids, unweit der heutigen Pradrera.
Es war ein Sturz in über 27 Meter Tiefe, bei dem jeder Gedanke um Rettung vergeblich schien. Doch als Isidro und María davon erfuhren, knieten sie nieder und sprachen ein stilles Gebet, in der Hoffnung, ihren Sohn wieder lebendig in die Arme schließen zu können.
Dann geschah, was heute als erstes überliefertes Wunder des Heiligen gilt: Das Wasser im Brunnen begann langsam zu steigen. Zentimeter für Zentimeter, als würde es vom Himmel selbst gelenkt, trug es den reglosen Körper ihres Sohnes nach oben.
Als Illán schließlich die Oberfläche erreichte, atmete er. Der Brunnen ist noch heute im Museo de San Isidro in Madrid zu sehen und wurde zum Symbol für das Wunder, das aus dem Glauben geboren wurde.
Und es blieb nicht bei einem Zeichen. Die Geschichte über San Isidros innige Verbindung zu Gott verbreitete sich schnell. Es waren aber nicht nur Worte, denn eines Morgens kam Isidro spät zur Arbeit. Sein Herr, Don Juan de Vargas, beobachtete ihn heimlich, überzeugt davon, dass Nachlässigkeit der Grund für seine Verspätung sei.
Was Juan aber sah, erschütterte ihn: Isidro betete. Doch es war nicht das Beten, dass er seinen Augen nicht traute. Es waren die zwei strahlenden Gestalten, Engel, so hieß es, die die Pflugtiere spannten und auf dem Feld arbeiteten, als wollten sie demütig für den Diener Gottes einspringen.
Dieses Feld lag auf dem heutigen Gelände des Palacio de los Vargas, in der Nähe der Ermita de San Isidro.
Dat Wasser vun Kölle is jot, das in Madrid selten
Auch die Erde selbst schien auf seine Gebete zu hören. In Zeiten der Dürre, als das Vieh verdurstete und die Menschen verzweifelt auf den Regen warteten, soll Isidro an einem trockenen Hang seinen Stab in den Boden gestoßen haben.
An dieser Stelle sprudelte eine Quelle hervor, die noch heute fließt. Man nennt sie die Fuente de San Isidro, im Parque de San Isidro. Es ist ein Ort der Erinnerung, der Andacht und wo jedes Jahr Hunderte von Gläubigen zusammenkommen, um vom heiligen Wasser dieser Quelle zu trinken.
Andere Legenden sprechen von einem Tag, an dem San Isidro eine große Menge Gäste bewirtschaftete, obwohl er kaum Brot im Haus hatte. Als sein Herr eintraf, um ihn zurechtzuweisen, öffnete María de la Cabeza die Tür und offenbarte Töpfe, die sich wie durch ein Wunder mit Essen gefüllt hatten.
Viele sehen darin das Pendant zum biblischen Wunder der Brotvermehrung. Nicht zufällig wird San Isidro manchmal mit einem Krug und einer Schale in der Hand dargestellt.
Insgesamt werden ihm über 400 Wunder zugeschrieben. Manche davon ereigneten sich zu seinen Lebzeiten, andere wiederum erst nach seinem Tod. So behauptete beispielsweise der König von Kastilien, Alfons VIII., 40 Jahre nach dem Tod von Isidro, dass ihm ein Hirte im Traum erschienen sei.
Dieser zeigte ihm den entscheidenden Pfad in der Schlacht von Las Navas de Tolosa (1212), um die maurischen Truppen zu überraschen. Als der König später das Grab von San Isidro besuchte, erkannte er in dem Hirten die Gestalt des Heiligen.
Diese Wundertaten machten ihn im 17. Jahrhundert zu einem Anwärter auf die Heiligsprechung. Papst Gregor XV. erklärte ihn im Jahr 1622, gemeinsam mit anderen spanischen Heiligen wie Teresa von Ávila, Ignatius von Loyola, Franz Xaver und Philipp Neri, offiziell zum Schutzpatron Madrids. Zu diesem Zeitpunkt war San Isidro bereits fast 450 Jahre tot. Warum entschied sich also Papst Gregor XV. erst jetzt für seine Heiligsprechung?
San Isdro wird auch in Lateinamerika verehrt


Joaquín Martín Abad, Doktor der Theologie, Kanoniker der Almudena-Kathedrale und leitender Kaplan des Königlichen Klosters der Encarnación in Madrid, beschrieb diese Entwicklung so:
„Seit der Seligsprechung durch Papst Paul V. im 17. Jh. verbreitete sich die Verehrung des Heiligen dank des Konzils von Madrid, der Könige Philipp II., III. und IV. und des Erzbistums Toledo in Spanien. Und in Argentinien und Costa Rica gibt es Städte und Diözesen mit dem Namen San Isidro".
Es war Papst Johannes XXIII., der 1960 auf Bitten von Kardinal Pla y Deniel, dem Erzbischof von Toledo, den Heiligen Isidor zum Schutzpatron der spanischen Bauern erklärte".
Spanien befand sich damals in einer tiefen religiösen Erneuerung. Bis zu seinem Tod am 15. Mai 1172 blieb San Isidro ein einfacher Arbeiter auf dem Feld. Er erschien somit als ideales und glaubwürdiges Vorbild für einen demütigen Landarbeiter, der den Glauben der katholischen Kirche repräsentierte.
Ein Mann, der dem Volk nahe steht. Gerade deshalb feiert die Stadt ihn jedes Jahr an seinem Todestag, um seine Wunder sowie seine schlichte und geerdete Lebensweise zu ehren.
Papst Franziskus schrieb einmal: „Ich mag es, die Heiligkeit in den geduldigen Menschen Gottes zu sehen: in den Eltern, die ihre Kinder so liebevoll erziehen, in den Männern und Frauen, die arbeiten, um das Brot nach Hause zu bringen.” Kaum ein anderer Satz scheint treffender zu beschreiben, was San Isidro und seine Frau in ihrer stillen Art verkörperten.
Seit 1769 ruhen seine Gebeine in der Colegiata de San Isidro, einer der prächtigsten Barockkirche im Herzen der Altstadt. In einer silbernen Urne aufbewahrt werden seine Überreste bis heute jedes Jahr am 15. Mai durch die Stadt getragen.
Diese religiöse Tradition stammt sogar noch aus dem Jahr 1619. König Felipe III., der selbst schwer erkrankt war, ließ während der Heiligsprechungsprozesse die Gebeine von Isidro in feierlicher Prozession ausgraben und durch die Stadt tragen.
Man erzählt sich, dass der König im Beisein der Reliquien auf wundersame Weise genas, was den Ruf von San Isidro als Wundertäter noch einmal festigte. Dieses Ritual ist nicht unüblich.
Bis ins 20. Jahrhundert hinein, wurden Reliquien bei großen Katastrophen, wie zum Beispiel bei Seuchen oder Überschwemmungen, durch die Straßen Madrids geführt, in der Hoffnung auf göttlichen Beistand.
Eines von 20.000 Festen in Spanien
Dass San Isidro bis heute gefeiert wird, passt in ein Land, das mehr als 20.000 Feste im Jahr begeht. Spanien hat nie vergessen, wie man Geschichte lebendig hält. Im Vergleich mit anderen Festen wie dem „Entierro de la Sardina”, bei dem eine Papp-Sardine mit viel Spott und Satire zu Grabe getragen wird, oder dem sommerlich-urbanen Kulturfestival „Veranos de la Villa”, dann zeigt sich: Spanien kennt viele Arten des Erinnerns.
Auch der Künstler Francisco de Goya hat dieses kollektive Gedächtnis eingefangen. In seinem Gemälde La pradera de San Isidro von 1788 malte er die Menschen mit ihren Picknickdecken auf der legendären Wiese, die ihren heiligen Schutzpatron feiern.
Allerdings ist der Heilige selbst nicht zu sehen. Der eigentliche Protagonist bleibt im Hintergrund. Vielleicht liegt darin die Wahrheit. San Isidro ist für Madrid weniger ein lauter Held als ein stiller Begleiter. Jeder kennt das Fest, aber nicht jeder kennt die Figur dahinter.
Obwohl San Isidro der Schutzheilige Madrids ist, sucht man nach seiner Statue oft vergeblich. Während Figuren wie der Bär mit dem Erdbeerbaum (El Oso y el Madroño) auf der Puerto del Sol oder der gefallene Engel im Retiro-Park (El Ángel Caído) längst zu städtischen Wahrzeichen geworden sind, steht San Isidro an einem ruhigen Ort – auf der barocken Puente de Toledo, abseits im Süden Madrids.
Dort wo der Fluss Manzanares langsam fließt und die Brücke die Altstadt mit den damaligen Vororten verbindet. Und das ist vielleicht das Schönste: San Isidro ist hier nicht allein. In einer Nische ihm gegenüber steht seine Frau Santa María de la Cabeza. Beide blicken einander an, in Stein gemeißelt.
Es ist, als würden sie auch heute noch Seite an Seite über Madrid wachen.
Die Autorin
Alina Brammer ist Mitarbeiterin dieses Magazins.
Zu ihren Artikeln zählen u.a. der über den spanischen Papst Alexander sowie über Magie in Spanien damals und heute.