Spaniens Sprachen - ein Kommentar
Galicisch für Säuglinge, Katalanisch für Andalusier, Kauderwelsch für Erasmusstudenten. Vier Sprachen, jede Menge Politik und Bürokratie. Ein Kommentar von Tobias Büscher zu Spaniens Regionalsprachen.
Wer in Barcelona einen Hörsaal besucht, hat es nicht leicht. Denn dort – das hat schon der wunderbare Spielfilm „L’auberge espagnole“ gezeigt – gibt es die Kurse nicht in der Sprache, die man in Gießen oder Paris so lernt, sondern auf Katalanisch. Klingt ähnlich, birgt aber viele Missverständnisse.
Wer in Bilbao eine Demo der ETA sieht, ahnt, worum es geht. Ahnt, wohl gemerkt, denn die Plakate sind auf Baskisch verfasst. Klingt nicht ähnlich, versteht kaum einer.
Und in galicischen Tavernen ist die Speisekarte neuerdings en galego. Aus dem J wird ein X, der Besitzer Javier heißt jetzt Xavier und serviert Fisch nicht mehr als pescado, sondern als peixe ...
455 Millionen und ein paar Regionalisten
Was tun? Immerhin beherrschen die Weltsprache Spanisch rund 455 Millionen Menschen. Soll man jetzt eskerrik asko („Danke“ auf Baskisch) auswendig lernen, was weniger Menschen verstehen als Madrid Einwohner hat? Hilft das in Sevilla, Buenos Aires oder Havanna?
Sicher nicht.
Bußstrafen bei linguistischem Fehltritt
Dabei geht es um viel mehr als um die Sprachen an sich. Kneipiers in Barcelona bekommen Ärger mit den Behörden, wenn ihr Barname nicht auf català an der Fassade steht.
Baskische Fußballer müssen baskische Urahnen haben, um dort im Verein kicken zu dürfen. Und in galicischen Säuglingsstationen sind unlängst CDs mit Kinderliedern auf galego aufgetaucht.
Die Kleinen können nicht früh genug hören, wie es richtig klingt.
Franco war Galicier - und verbat Galicisch
Für Franco war Sprache Politik – für die Regionalisten ist es das auch. Sprache dient der Verständigung. Sie verbindet Menschen. Europa wächst weiter zusammen und in Spanien passiert das genaue Gegenteil.
Die von der Verfassung geschützten „historischen Autonomien“ Baskenland, Galicien und Katalonien sind auf dem besten Weg, sich nicht nur sprachlich vom Zentralstaat zu lösen.
Dabei haben sie eigene Rechte in den Bereichen Steuern, Pädagogik und Kultur, von denen ein Freistaat wie Bayern nur träumen kann. Es gibt sogar eine eigene baskische Polizei mit roten Baskenmützen.
Aber viel schöner wären doch baskische Grenzposten, am liebsten an den Südrändern Navarras und nördlich hinter Bayonne. Die Franzosen halten das für Folklore, Wirtschaftsfachleute für Wahnsinn und baskische Hardliner für den einzigen Weg.
Ach, diese bösen Españolistas ...
Es stimmt schon: Franco hat die Regionalsprachen verboten und die regionale Kultur gleich dazu. Doch der Diktator starb vor Jahrzehnten und die damaligen Opfer betreiben längst selber Sprachpolitik: sie grenzen das español aus.
Wer am Außenrand der Iberischen Halbinsel eine politische Rede hält, wettert am besten gegen die „Españolistas“. Das ist derzeit das Kultwort des „Bloque Nacionalista Galego“.
Die Regierung in Santiago de Compostela bezahlt Lokalzeitungen für Beiträge auf Galicisch. Und in Barcelona wird die Forderung nach weltweiten katalanischen Botschaften laut.
Man nennt sich ja bereits „Nación“ und ist auf der Frankfurter Buchmesse hofiert worden wie zuvor Ungarn und Indien.
Nachteil auch für Erasmusstudenten
All dies hilft einigen wenigen und geht zu Lasten vieler. Vier Wörterbücher, ein Land. In baskischen Büros haben Zugezogene bald baskisch zu reden: ein Sprachsammelsurium aus diversen Tälern, angereichert mit so modernen Worten wie Computer und iPod.
So einige Erasmusstudenten gehen aber schon jetzt nicht mehr nach Bilbao, Barcelona oder Santiago. Kultige Metropolen zwar, aber man versteht nicht viel.
Bleibt die Frage, was den Regionalsprachlern heute eigentlich noch das Wort „Völkerverständigung“ bedeutet. Im eigentlichen Sinne wohl: „mir doch egal“.
PS: an der Uni Madrid gibt es für Ausländer natürlich Kurse im gängigen Spanisch: zu den Infos
Kommentare zu Spaniens Sprachen
Ralf Bender, Hessen:
Auf die Spitze wurde die regionale Sprachverwirrung im letzten Jahr bei dem Besuch von Chávez in Spanien getrieben: Statt sich gemeinsam auf Castellano zu unterhalten, wurden sieben Übersetzer aufgeboten, davon zwei zuständig für Catalan, einer für Valenciano, zwei für Baskisch, zwei für Gallego und einer - zu Sicherheit - für Englisch. Darüber haben sich selbst die Katalanen gewundert ...
Margit Kunzke, seit 25 Jahren in Valencia
Dass es in Spanien vier offizielle Sprachen gibt, ist im Prinzip nicht schlecht. Nur das, was die jeweiligen Regionen daraus machen ist sehr schlecht. Den Katalanen, Valencianos, Gallegos und Basken wird die jeweilige Landessprache gewaltsam aufgezwängt. Viele wollen die Regionalsprache gar nicht lernen, müssen aber.
Außerdem verstößt dieser Zwang gegen Paragraph 3 der spanischen Verfassung, der besagt, dass Castellano die Staatssprache ist und dass jeder Spanier das Recht hat, Castellano zu kennen und zu lernen. Das interessiert die katalanischen, valencianischen, galicischen und baskischen Sprachfundamentalisten jedoch nicht im geringsten. Interessant ist auch, dass gerade die Politiker, die die Regionalsprache am lautesten verfechten, ihre Kinder auf (teure) Privatschulen schicken, damit sie dort Castellano, Englisch, Deutsch, Französisch und andere Fremdsprachen lernen. Die Regionalsprache steht da meist nicht auf dem Stundenplan.
Marion Sparrer, Galicien:
Richtig, auch in Galicien haben einige der härtesten politischen Verfechter der galicischen Sprache kurioserweise ihre Kinder auf Privatschulen, wo sie normales Spanisch lernen, damit sie später weltgewandter sind. Mein Sohn dagegen wird bald eingeschult, und lernt alles von Handball bis Mathematik auf galicisch. Das findet auch mein galicischer Mann zum Kopfschütteln.
Nina Gorsch, derzeit Barcelona:
Stimmt wirklich, hier in Barcelona redet mit mir keiner normales Spanisch. Aus Prinzip. Dafür hab ich mich gestern mit zwei richtig netten Chicas unterhalten. Aus Venezuela!
Jonas, aus Leipzig:
Es stimmt, die regionale Sprachpolitik treibt in Spanien bisweilen dolle Blüten, warum wohl? Sprache ist das wichtigste Ausdrucksmittel menschlicher Kultur. Stirbt eine Sprache, stirbt auch ein Stück weit die dazugehörige Kultur. Literatur in dieser Sprache kann plötzlich nur noch in der Übersetzung erschlossen werden (was alle Nachteile in sich birgt, die Literaturübersetzungen nun mal immer mit sich bringen), mündliche Überlieferungen und Sprichwörter verschwinden völlig, der Zugang zur (anderssprachigen) Vergangenheit wird erschwert, ganz zu schweigen von der kulturellen Verarmung und sprachlichen Monopolisierung, zu der jeder Sprachentod ein winziges Stück beiträgt.
Es ist daher richtig und wünschenswert, die Sprachenvielfalt Spaniens zu erhalten. Unter Franco war diese Vielfalt bedroht, daher ist die jetzige Sprachenpolitik (immer noch!) ein Reflex auf über 35 Jahre Franco-Faschismus. Die Rückbesinnung auf die eigene Regionalsprache ist also in gewisser Hinsicht eine Rückkehr zu vor-franquistischer Normalität. Leider schießen die an sich lobenswerten Ansätze zur Bewahrung der linguistischen Vielfalt Spaniens bisweilen übers Ziel hinaus. War früher das Baskische Zielscheibe engstirniger Nationalisten, ist es heute das Spanische. Das Trauma der repressiven franquistischen Sprach- und Kulturpolitik, das viele Basken, Katalanen und Galicier erlitten haben, lässt sich aber nicht durch eine Auge-um-Auge-Mentalität überwinden. Es wäre lächerlich und kontraproduktiv, wollten regionale Nationalisten das wertvolle Gut der Zweisprachigkeit allen Ernstes aufs Spiel setzen, denn gerade die Zweisprachigkeit ist doch das beste und schönste Beispiel für Völkerverständigung – sie erlaubt die Bewahrung und Pflege der eigenen Kultur, Literatur und Identität, ermöglicht aber zugleich das Brückenbauen über sprachliche Grenzen hinweg.
Die Pflege "kleinerer Sprachen" steht also keinesfalls im Widerspruch zur Völkerverständigung, sondern ist nachgerade eine Voraussetzung dafür, sofern sie nicht zur nostalgischen Folklore verkommt oder - wie in Spanien teils leider der Fall - in regionale Nationalismen ausartet. Erst die "kleinen" Sprachen machen uns deutlich, was Vielsprachigkeit und Multikulturalität wirklich bedeuten. Im Übrigen ist Katalanisch mit annähernd 10 Millionen Sprechern größer als so manche europäische Nationalsprache.Einige lakonische Bemerkungen des Autors lassen mich allerdings daran zweifeln, ob er das genauso sieht.
„In Panama hätte mir Katalanisch kaum geholfen“ – eine Binsenweisheit, schließlich wäre Spanisch in Swasiland oder Türkisch in Kuala Lumpur nicht minder „unnütz“. Was das nun aber über den „Wert“ (oder gar „Unwert“) einer Sprache aussagen soll, weiß der Autor wohl selber nicht so genau… „Danke, danke, nix kapiere“ zeugt jedenfalls nicht von besonderer Wertschätzung gegenüber „den anderen“ und ihrer Sprache und Kultur – und gleiches gilt prinzipiell auch für übertriebenen Sprachnationalismus, von welcher Seite auch immer.