Die Anwohner von Santiago de Compostela

Warum geht es bei Stadtreportagen immer um Sehenswürdigkeiten? Bestenfalls mit Wortblasen über die Bewohner wie "ursprünglich", "weltoffen" und "typisch"? In Santiago de Compostela jedenfalls gibt es ein Alltagsleben jenseits des Tourismus. Die Anwohner sind genervt vom Rummel rund um die Kathedrale. Sie wollen lieber gute Jobs und auch mal ihre Ruhe. Das fällt vor allem in der Coronazeit auf, wo die Pilgermassen ausbleiben und Galiciens Hauptstadt fast ganz normal ist.

von Tobias Büscher

Wann eigentlich bekomme ich endlich mein Studentenzimmer, wann spielt der drittklassige Fußballclub SD Compostela endlich so gut wie Konkurrent Celta de Vigo? Und warum sind die Kita-Plätze so teuer?

Solche Fragen bewegen die Anwohner von Santiago de Compostela weit mehr als was so alles im Pilgerbüro von Santiago Thema ist.

Wobei durch den Pilgerboom seit 1993 viele Jobs in Hotels und Restaurants entstanden und in Coronazeiten wieder verloren gingen. Normalerweise arbeitet mehr als jeder zweite Anwohner im Dienstleistungssektor.

Andere wiederum lichten als Fotografen die Politiker des Galicischen Parlaments ab, stellen Regenschirme her oder versuchen, einmal so berühmte Künstler zu werden wie die Galicierin Maruja Mallo, das weibliche Pendant damals zu Salvador Dalí.

Sie stammt zwar aus Viveiro, doch auch aus Santiago kommen so einige Berühmtheiten: Um nur drei zu nennen: Mariano Rajoy, einst Regierungschef Spaniens, Rosalía de Castro, Galiciens berühmteste Schriftstellerin und Nerea Barros, eine hervorragende Schauspielerin.

Spaniens Städte wie Santander und Barcelona halten viele für die lebenswertesten Metropolen im Land. Doch niemand ist kulinarisch so reich gesegnet wie die Städte Galiciens, auch wenn sie wie Santiago nicht direkt am Meer liegen. Ein frisch zubereiteter Seeteufel kostet hier halb so viel wie in Köln.

Und geradezu super günstig sind Austern und Miesmuscheln. Das Einkommen der Compostelaner mag zwar mit durchschnittlich 20.000 Euro im Jahr nicht sonderlich hoch sein, fürs Essen geben die Anwohner hier jedenfalls deutlich weniger aus. Um sich einen Eindruck zu verschaffen, besuchen Sie einmal den Abastos-Markt östlich der Kathedrale. Das ist ein Blick in die Seele der Stadt. 

Touristenstadt? Uni-Stadt

2270 Hochschullehrer unterrichten in Santiago rund 26.000 Studenten an der Hochschule USC. Sie sind stolz auf ihre Uni, vor allem Biologie, Geschichte und Zahnmedizin sind gefragt. Laut World University Ranking rangiert die USC immerhin auf Platz 467 der Liste der besten Unis der Welt.

Und wenn Studenten ab Donnerstagmittag dann ins Wochenende starten, zeigt sich Santiago von ihrer lebhaften Seite. Bars und Discos besuchen sie in der Neustadt, und vor allem am Samstagabend geht es in den hippen Party-Ort Sanxenxo am Atlantik: zu den angesagtesten Discotheken weit und breit.

Nachtbusse pendeln dann bis zum Morgengrauen hin und her zwischen „San“ und „San“. Das kuriose an Santiago ist: Im Juli und August sind Semesterferien. Und so begegnen sich Studenten und Stadtbesucher in Santiago so gut wie nie.

Klerikales Santiago

Nach Santiagos Kathedrale ist das Kloster San Pinario das größte religiöse Gebäude der Stadt. Mit einer Grundfläche von 20.000 Quadratmetern. Dazu kommen San Poio, Santa Clara, San Paio de Antealtares und viele mehr.

Anders als im Umland sind die Nonnen und Mönche hier noch aktiv. Der Einfluss de Kirche mag in Nordspanien zurückgehen, in Santiago aber ganz bestimmt nicht.

Kein Kloster steht hier leer. In der Provinz Ourense im Südosten dagegen fast jedes. Oder es ist zum Parador umgebaut.

Aberhunderte Benediktiner, Dominikaner, Karmeliter und Franziskaner gibt es hier also, teils leben sie in Klausur. Nachwuchsprobleme wie anderswo in Spanien gibt es hier auch nicht, die Seminare sind voll. Und alle brauchen Fortbildungen, Bücher, Kleidung, Essen.

Das ist ein ganzer Wirtschaftszweig in der Stadt. Erzbischof Julián Barrio (archicompostela.es) ist der Chef aller Bischöfe in Galicien. Mit starkem Einfluss in die Politik, wie es heißt. Manche behaupten sogar, sein Einfluss sei enorm.

Auf den Bürgermeister der Stadt, und auf den Regierungschefs Alberto Feijóo. Der jedenfalls lobt betont häufig Barrios „intelixencia espiritual“.

Daten und Fakten zu den Anwohnern

Steckbrief Santiago:

Einwohner: 97.000
Fläche: 220 km2 gesamt
Höhe: 260 m
Klima: vom Atlantik geprägt
Provinz: A Coruña
Region: Galicien
Flüsse: keine
Postleitzahl: 15700
Telefonvorwahl aus Deutschland 0034 981
Wirtschaft: Tourismus (2019: 87%), Verwaltung, Landwirtschaft, Baugewerbe
Pro-Kopf-Einkommen: 20.000
Arbeitslosenquote: 12,70
Hochschule: Universidad de Santiago
Flughafen: Lavacolla
Stadtpatrone: Santa Susana und San Roque
Partnerstädte: Buenos Aires, São Paulo, Santiago de Cuba

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