Der Heilige des Gemetzels

2021 steht vor der Tür. Für die Katholiken ist es ein Heiliges Jahr. Die Ursprünge des Heiligen Jakob hatten allerdings mit Frieden und Frömmigkeit wenig zu tun. Vielmehr diente der Apostel als Einpeitscher im Kampf gegen Al Andalus unter Herrschaft der Maurenfürsten.

von Tobias Büscher

Der 23. April ist der Tag des Heiligen Georg. Und in Alcoy, 1000 km von Santiago de Compostela entfernt, steigt an dem Tag normalerweise eines der besten Feste der Iberischen Halbinsel: Moros y Cristianos. Die Fiesta, die wegen Corona diesmal nur bedingt stattfinden wird, erinnert an die historischen Schlachten zwischen Mauren und Christen. Sie zogen sich über Jahrhunderte und gipfelten mit der Einnahme Granadas im Jahr 1492. Damit war die Herrschaft der Mauren am spanischen Mittelmeer Geschichte, die Rückeroberung (Reconquista) vollbracht. Und der letzte Kalif verließ das Land.

Dieses Spektakel in Alcoy mit seinen historischen Kostümen hat direkt mit dem Heiligen Jakob, ja mit dem ganzen Jakobsweg zu tun. Denn die Ursprünge des Jakobskults waren alles andere als fromm. Sie waren hochpolitisch und dienten einem militärischen Zweck.

Jakobs Gebeine, entdeckt auf einem Feld

Was war passiert? Mauren hatten ab dem Jahr 711 die labilen Truppen der Westgoten überrannt und in Südspanien eine blühende Landschaft geschaffen. Sevilla, Córdoba, Granada waren in der Hand der Kalifen und wurden zu Zentren von Wissenschaft, Kunst und Technik. In Folge zogen sich die christlichen Lokalfürsten schmollend nach Nordspanien zurück. Wütend. Sie wollten Rache.

Das Problem: Ihnen fehlte ein Motivator, ein Einpeitscher, ein Symbol. Und genau 102 Jahre nach dem Einfall der Mauren in Andalusien kam es 813 im fernen Galicien in Nordspanien zu einem höchst erwünschten Ereignis: Sterne wiesen einem Einsiedler namens Pelayo den Weg zu einem Grab südlich des heutigen Santiago de Compostela.

Und was fand er da? Die Gebeine des Heiligen Jakob, der angeblich zu Lebzeiten in Spanien missioniert haben soll. Für die damaligen Regenten und Religionsführer war das eine Top-News. Der Fund sprach sich in Windeseile in ganz Europa herum. Und Jakob nannten sie wörtlich: Matamoros, Maurentöter. 

Der Jakobsweg entstand und in Santiago eine erste Kirche zu Ehren des Apostels. Was wiederum den Mauren nicht gefiel. Kurz vor der Jahrtausendwende, also 997 n. Chr.. schleifte Abu Amir Muhammad ibn Abdallah ibn Abi Amir (Almanzor) mit seinen Truppen die Stadt und ließ die Glocken des Gotteshauses von Santiago nach Córdoba bringen.

Ein Grund mehr, fortan nicht nur Pilger anzulocken, sondern vor allem Kreuzritter im Kampf gegen das Kalifat. Die Idee schien gut, und die Christen hatten zu ihrem Glück noch keine Ahnung, was darauf folgte: Die Rückeroberung der südspanischen Gebiete dauerte eine halbe Ewigkeit an.

Und in dieser langen Zeit operierten die Mauren bereits mit der Brille auf der Nase innere Verletzungen, während für die Fürsten in Aragón und in Asturien das Wort Hygiene noch ein Fremdwort war.

Xacobeo, angelegt auf einer Serviette

Im Mittelalter pilgerten Gläubige in Scharen nach Galicien, auch um Ablass von den Sünden zu erhalten. Und auch wenn es in der Zeit der Reformation still wurde um Santiago, war der Boom ab 1993 wieder enorm.

Santiago ist neben Rom und Jerusalem das wichtigste Pilgerziel der Christenheit. Und manche haben sich in letzter Zeit die Augen gerieben, welche Massen auf dem Camino nach Santiago gepilgert sind. Dabei haben vor allem zwei Galicier für den aktuellen Boom gesorgt.

Der eine war Diktator Franco aus der Stadt Ferrol nördlich von Santiago. Er machte den 25. Juli zum spanischen Nationalfeiertag. Der andere war Victor Vázquez Portomeñe, ein Lokalpolitiker aus Santiago, der den 25. Juli 1993 zum Beginn des eigentlichen Jakobskult machte.

Ein Jahr zuvor hatte Barcelona die Olympiade gefeiert, Sevilla den 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas und Madrid war Kulturhauptstadt. Vázquez Portomeñe gelang es, die vielen Journalisten nun auf ein ganz anderes Thema aufmerksam zu machen:

Auf das sogenannte Heilige Jahr, wenn der 25. Juli auf einen Sonntag fällt und einem alle Sünden vergeben werden. So wie 2021. 

„Pilgern? Ich habe doch ein Auto“

Im Vorfeld zum Jahr 1993 lud der Poitiker dermaßen viele TV-Journalisten, Reporter und PR-Profis nach Santiago, dass Zigtausende zu Besuch kamen.

Sehr wichtig war es der galicischen Regierung, dass auch viele laizistische Besucher kamen, die vorher in Japan, den USA und Holland die Bilder von der wunderschönen Kathedrale gesehen hatten. Insofern sind weder Cees Nooteboom noch Shirley McLane den Jakobskult Schuld.

Und auch Hape Kerkeling nicht, dessen Buch „Ich bin dann mal weg“ erst 2004 erschien. Sondern eben dieser charmante Vázquez Portomeñe, der mir in einem Interview im Februar 2020 in Santiago gestand: „Ich bin noch nie auch nur einen Meter auf dem Jakobsweg gelaufen. Ich habe doch ein Auto.“

Wieso heißt der Köbes eigentlich Köbes?

Der 21. Oktober ist der Tag der Heiligen Ursula, der Schutzpatronin Kölns, rund 2000 km von Santiago entfernt. Dort, wo die Kellner Köbes heißen und bitte niemals mit Kellner angesprochen werden.

Der Name Köbes ist ihnen heilig. Doch so mancher in den Tavernen ist sich gar nicht bewusst, wie buchstäblich richtig das ist. Köbes ist das kölsche Wort für Jakobus. So hießen damals die Pilger, die sich in der Domstadt auf halbem Weg nach Santiago in den Brauhäusern ein Zubrot verdienten. Und wenn einer Durst hatte, rief er eben: 

Köbes, ein Kölsch bitte.

Zähler